Mozartsaal des Mannheimer Rosengartens: Das umstrittene Herzstück

Vor genau 50 Jahren ist er eingeweiht worden: der Mozartsaal des Mannheimer Rosengartens. Davor tobt lange ein heftiger kommunalpolitischer Streit und in den 13 Jahren Planungs- und Bauzeit explodieren die Kosten

Von 
Peter W. Ragge
Lesedauer: 
Der Mozartsaal mit dem Nationaltheater-Orchester auf der Bühne © m:con-Archiv

Mannheim. Ein Ministerpräsident, der reimt – das kommt nicht alle Tage vor. Aber am 19. Oktober 1974 bekennt der 1913 in Mannheim geborene Hans Filbinger nicht nur, Baden-Württemberg sei „stolz auf Mannheim“ und der neue Saal im Rosengarten „eine weitere große Bereicherung“. Er wird noch euphorischer. „Der Rosengarten gefällt“, sagt er. Und dann fängt er an zu reimen. „Freude schöner Götterfunken, das Werk ist optimal gelungen. Modern gepaart mit Jugendstil, für Tanz, Musik und heitres Spiel. Freude, Freude sei gesungen! Doch auch für ernstes Bürgerwort, wird dieses Haus der rechte Ort: ein Treffpunk für die Stadt, fürs Land, vom Rhein und Main und Neckarstrand. Dem Rosengarten wünscht guten Start, ein Mannheimer aus Stuttengart“, so der Ministerpräsident.

Diese „Ode an den Rosengarten“, wie es der 1978 wegen seiner Marinerichter-Vergangenheit in der NS-Zeit zurückgetretene Filbinger nennt, passt zur „Ode an die Freude“. Der Schlusssatz der neunten Sinfonie von Beethoven erklingt bei der Einweihung, am Abend spielt das Orchester des Nationaltheaters das komplette Werk beim ersten Akademiekonzert. Doch trotz „Freude schöner Götterfunken“ – so ungeteilt ist die Freude über den neuen Saal keineswegs.

Der gescheiterte Bürgerentscheid

Architekt Karl Schmucker beklagt bei der Einweihung das „Dauerfeuer ätzender Kritik und persönlicher Verunglimpfungen“. Oberbürgermeister Ludwig Ratzel (SPD) spricht von „teilweise geradezu unerträglichen persönlichen Angriffen“ sowie von „Kränkungen und Schmähungen“, aber er reicht auch Kritikern die Hand: „Ab heute soll für die gegnerischen Lager in Sachen Saalbau gelten: Unser Schuldbuch sei vernichtet! Ausgesöhnt die ganze Welt!“, zitiert auch er Schillers Ode.

Doch wie kommt es, dass das Projekt – lange nur „Saalbau“ genannt, denn die Taufe zum „Mozartsaal“ folgt erst bei der Einweihung – ein derart emotional hoch umstrittenes Thema wird?

Das Mannheim Anfang der 1970er Jahre – das ist eine Stadt im Aufbruch. Mit der Vogelstang ist gerade ein völlig neuer Stadtteil entstanden, nun werden die Wohnbebauung im Herzogenried sowie an den Neckarufern in Angriff genommen. „Urbanität durch Dichte“ propagieren die Stadtplaner. Zwei neue Brücken (1972 Kurt-Schumacher-Brücke über den Rhein und 1973 Carlo-Schmid-Brücke über den Neckar) entstehen, 1974/75 vier neue Hallenbäder, der Fernmeldeturm wächst empor und aus den Planken wird eine Fußgängerzone – alles mit Blick auf die Bundesgartenschau 1975. Sie bedeutet für die Stadt einen enormen Entwicklungsschub.

Exklusive Leser-Führung

  • Anschrift: Congress Center Rosengarten, Rosengartenplatz 2, 68161 Mannheim
  • Rosengarten: mit 44 Sälen auf mehr als 22 000 Quadratmetern bietet er Platz für über 9000 Teilnehmer, über 8000 Quadratmeter Ausstellungsflächen und neueste Technik
  • Mozartsaal: Größter Saal im Rosengarten, je nach Bestuhlung Platz für 2273 (in Reihen), 1134 (Bankett) oder 986 (Parlamentsbestuhlung) Besucher, unbestuhlt 3000 Gäste, Deckenhöhe von 13,5 Metern, feste Bühne mit 200 Quadratmetern. Neun Bühnen- und fünf Saalzüge.
  • Leserführung: Am Samstag, 9. November, 12 Uhr, bietet der Rosengarten exklusiv für Inhaber der Morgencard Premium eine Führung in den Mozartsaal, hinter die Kulissen des Kongresszentrums und auch zur Baustelle der Erweiterung.
  • Anmeldung: Wer teilnehmen will, meldet sich bei service@meinmorgen.app. Einsendeschluss ist Montag, 28. Oktober. Melden sich mehr Interessenten als Plätze vorhanden sind, dann entscheidet das Los. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Wer teilnehmen kann, wird rechtzeitig über den Treffpunkt informiert. pw

Dazu passt, dass sich die Stadt ein neues Kongress- und Veranstaltungszentrum wünscht. Das gibt es seit 1903 – den Rosengarten. Sein Name hat nichts mit blühenden Blumen zu tun. Roßgarten oder Roßengarten heißt, nachgewiesen seit 1663, das Gewann östlich der Quadrate, wo einst Pferde gegrast haben. Seit 1892 diskutiert, wird hier auf – bis auf den Wasserturm – völlig freiem Feld ab 1898 nach dem Entwurf des Berliner Architekten Bruno Schmitz in einer Stahl-/Sandsteinkonstruktion und unter anderem mit 100 italienischem Gastarbeitern der Rosengarten errichtet.

Schon damals explodieren die Baukosten – von den 1,59 Millionen Mark des Kostenvoranschlags auf 3,8 Millionen Mark. Aber Mannheim ist stolz auf die, zumindest bis 1913, größte Halle Deutschlands mit 3600 Sitzplätzen, 1400 Stehplätzen und Platz für 1000 Sänger auf der Bühne des Nibelungensaals.

Aber in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs wird dieser Nibelungensaal, der größte Saal des Rosengartens, weitgehend zerstört. Er brennt aus. Das Stahlskelett indes erweist sich beim endgültigen Abriss 1950 als stabiler als gedacht. Schneidbrenner reichen nicht, die Feuerwehr muss helfen. Im Rest vom Rosengarten, wenn auch mit Bombensplittern übersäht, erwacht nach 1945 das gesellschaftliche Leben. Ab 1947 spielt das Nationaltheater in der Wandelhalle unter dem heutigen Musensaal, 1948 findet hier der erste Weihnachtsmarkt nach dem Krieg, 1949 der erste Maimarkt statt und 1952 ist auch der Musensaal wieder betriebsbereit.

Architekt Karl Schmucker am Rednerpult © con-Archiv

In der Wirtschaftswunder-Zeit wächst der Wunsch nach einem größeren Saal. Zeitweise soll er außer Bällen, Konzerten und Versammlungen sogar Platz für Boxkämpfe und Radrennen bieten – was aber wieder verworfen wird. Aus einem Architektenwettbewerb 1961 gehen die Mannheimer Architekten Wilhelm Schmucker und sein Sohn Karl als Sieger hervor. Aber der Baubeginn verzögert sich wegen der Diskussion, was wichtiger ist – ein neues Rathaus auf N 1 (auf das der Gemeinderat dann verzichtet) oder ein neuer Saal am Rosengarten. Beides könne sich die Stadt nicht leisten.

Und für den Saalbau bleibt der Standort lange strittig. In Frankfurt entsteht zum 100. Geburtstag der Firma Hoechst nämlich die Jahrhunderthalle – auf der grünen Wiese. Das liefert in Mannheim den Befürwortern eines neuen Standorts das Argument. Sie wollen den alten Rosengarten erhalten, aber zusätzlich einen Neubau mit größerem Saal am Friedensplatz, etwa auf der Fläche zwischen dem heutigen Technoseum und dem Luisenpark. Das, so ihr Argument, sei eine Chance für die Stadtentwicklung Richtung Osten.

Ein Bürgerbegehren für einen Standort am Friedensplatz unterzeichnen etwa 30 000 Mannheimer. Also kommt es, nach hitzig-emotionalem Wahlkampf, zum Bürgerentscheid – dem ersten in einer baden-württembergischen Großstadt. 51 945 Mannheimer stimmen ab und davon 67,3 Prozent für einen Bau am Friedensplatz, während 32,7 Prozent die Erweiterung des Rosengartens befürworten. Doch trotz klarer Mehrheit – der Bürgerentscheid scheitert, da die Wahlbeteiligung insgesamt nur bei 24,4 Prozent liegt, die Gemeindeordnung aber 50 Prozent verlangt. Dieses Quorum wird später gesenkt, aber dennoch scheitert an dieser Hürde auch der Stadthaus N 1-Bürgerentscheid 1986.

Mit dem Baubeginn am Rosengarten ist der Streit nicht zu Ende – im Gegenteil. Während der Bauzeit steigen die Kosten von den 1969 beschlossenen 40 Millionen D-Mark auf 75 Millionen D-Mark. Einmal kommt es zu enormen Problemen mit dem Baugrund, der sich als nicht tragfähig genug erweist. Zudem hat „die Kostenexplosion bei Eisen und Stahl nicht nur uns die Kostenentwicklung völlig aus den Händen genommen“, wie Oberbürgermeister Ratzel bei der Einweihung sagt. Die Junge Union, Verfechter eines anderen Standorts, verteilt zur Einweihung sarkastisch ein „Schuldbuch“.

Mehr zum Thema

Zeitreise

Geschichte der Mannheimer Kaufhäuser: Paläste des Handels

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren
Zeitreise

So hat Kurfürst Carl Theodor im Schwetzinger Schloss gespeist

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren
Zeitreise

Vor 75 Jahren: Konrad Adenauer wird erster Bundeskanzler

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren

Doch den Standort verteidigt Ratzel 1974 erneut als „optimal“, und der Bau sei keineswegs „Großmannssucht“, sondern notwendig und Zeugnis für den Selbstbehauptungswillen der Stadt. „Es ist ein wahres Meisterwerk“, lobt Ratzel die Architekten, und tatsächlich bekommen sie bei der Einweihung viel Beifall und das Publikum äußerst sich angenehm überrascht, wie gut die Kombination aus Jugendstilbau und Neubau gelungen ist.

Und es bestätigt sich auch, was Ratzel vorhersagt – dass der Mozartsaal „dem Kongress- und Veranstaltungsleben in Mannheim neuen Auftrieb geben wird“. Schon 1975 finden im Rosengarten zwei bedeutende Bundesparteitage statt. Die CDU beschließt die „Mannheimer Erklärung“ und stärkt mit Blick auf die Bundestagswahl 1976 Helmut Kohl demonstrativ den Rücken, die SPD wenige Monate später ihrem Kanzler Helmut Schmidt.

Viele Stars und ein Tiger im Buffet

Gleich mehrfach wird im Rosengarten Parteiengeschichte geschrieben. 1980 halten CDU und CSU hier ihren ersten und bisher einzigen gemeinsamen Kongress mit ihrem Kanzlerkandidaten Franz-Josef Strauß ab. Und 1995 wählt die SPD erstmals in ihre Geschichte einen amtierenden Bundesvorsitzenden ab. Rudolf Scharping wird von Oskar Lafontaine abgelöst, manche sagen auch: weggeputscht.

Dramatische, lustige, glanzvolle Momente gibt es unzählige in diesen fünf Jahrzehnten im Mozartsaal. Was erlebt der Saal nicht alles für festliche Bälle! Die Abschlussbälle der Tanzschulen finden traditionell hier statt, lange Zeit auch der große Schifferball, der Nikolausball des Deutsch-Amerikanischen Frauenarbeitskreises. Aber viele sind Geschichte, zuletzt geben die Harmonie-Gesellschaft 2017 und der ADAC 2013 auf. Zwischen 1990 und 2010 bringt die Benefizgala „Ball der Sterne“von Radio Regenbogen unzählige Prominente nach Mannheim, die hier von Sterneköchen verwöhnt ein gigantisches Showprogramm etwa mit Juliette Gréco, Gilbert Becaud, Chris de Burgh, Harry Belafonte, Joe Cocker, Ray Charles und Roger Hodgson genießen und für gemeinnützigen Institutionen aus der Region sowie das Kuratorium ZNS – Hannelore Kohl Stiftung spenden.

Der Mozartsaal von Außen – inzwischen von der Erweiterung von 2007 umgeben. © m:con-Archiv

Übrig geblieben ist der traditionsreichste Ball. 1906 veranstaltet der Großherzogliche Geheime Rat Carl Reiß, nach dem Reiß-Insel und Reiß-Museum benannt werden, den ersten „Weißen Ball“ im Nibelungen-Saal des Rosengartens. Nach dem Ersten Weltkrieg wird er vom Feuerio wiederbelebt. Nach der Mozartsaal-Eröffnung gestalten immer wieder Weltstars die Mitternachts-Show. Circus Roncalli gastiert hier, Udo Jürgens, Jennifer Rush und Marlène Charell, aus New York fliegt Julia Migenes ein, und einmal sitzt mitten im Buffet gar ein lebendiger Tiger, ausgeliehen vom Circus Sarrasani aus seinem Winterquartier in Mörlenbach. Das ist vorbei, solche Gagen kann heute niemand mehr zahlen. Aber an keinem Abend ist der Mozartsaal so prachtvoll mit Blumen geschmückt wie beim „Weißen Ball“, der unverändert ein Glanzlicht des gesellschaftlichen Lebens in Mannheim darstellt.

1987 bis 2003 tanzen im Mozartsaal Paare aus nahezu allen Kontinenten bei den German Open Championships (GOC). Das wunderbare Tanzsport-Festival mit 5000 Teilnehmern bringt besonderes Flair nach Mannheim, endet indes durch Intrigen von Tanz-Funktionären. Fasnacht, Shows, klassische Konzerte der Musikalischen Akademie des Nationaltheaterorchesters und weitere Abonnementreihen prägen das Geschehen im Mozartsaal ebenso wie die für den Rosengarten insgesamt wichtigen Kongresse, ob von Medizinern oder Ingenieuren, oder Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften.

Einmal ist alles geheim: 1980 karrt die Firma Rosenthal mit zwei Sonderzügen 1250 Gäste von der Frankfurter Messe nach Mannheim, um das 100-jährige Bestehen der Porzellanmanufaktur zu feiern. Danach wird alles schnell aufgeräumt, als wäre nichts gewesen. Doch er habe eben, so sagt Philipp Rosenthal, in einem der schönsten Festsäle Deutschlands feiern wollen.

An über 200 Tagen im Jahr belegt

Für Bastian Fiedler, den Geschäftsführer der mannheim:congress-gmbh (m:con), ist der „Mozartsaal das Herzstück des Congress Center Rosengarten und ein bedeutender kultureller Ankerpunkt für Mannheim und die Region“. Das kann er mit Zahlen belegen: Von 365 Tagen war der Saal in 2023 an 207 Tagen belegt, im laufenden Jahr bis Ende Juni bereits an 131 Tagen. „Seine einzigartige Akustik und vielseitige Nutzung machen ihn zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Kulturszene und der Kongresslandschaft der Stadt“, so Fiedler. Seit seiner Eröffnung vor 50 Jahren sei der Mozartsaal nicht nur eine Plattform für herausragende Künstler, sondern auch für zahlreiche Kongresse und Events, „die zur Entwicklung und Vernetzung der Region beitragen“, so der Geschäftsführer. Schon 22 Jahre arbeitet er im Rosengarten: „Da habe ich viele persönliche Geschichten rund um den Mozartsaal gesammelt“, so Fiedler: „Eines meiner größten Highlights waren immer die Stehkonzerte – die besondere Atmosphäre, die dabei entstand, erfüllte den Saal mit Energie und Leben,“ schwärmt er.

Allerdings ist der Rosengarten für heutige Anforderungen, gerade bei Kongressen, viel zu klein. Bereits 2007 erfolgt daher eine riesige Erweiterung. Dabei wird die Foyerfläche vom Mozartsaal verdoppelt und darauf ein Aufbau gesetzt, der neue Säle, darunter einen Hörsaal, beinhaltet. Derzeit erfolgt die wohl letzte Erweiterung. Auf das Mittelfoyers zwischen Musen- und Mozartsaal wird – in den freien Luftraum zwischen Altbau und Neubau, wo er das Stadtbild nicht stört – bis März 2025 noch ein Saal gesetzt.

Redaktion Chefreporter

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke