Mannheim. Verwandte mögen sich nicht immer, das weiß jeder. Streit kommt in den besten Familien vor, auch in Herrscherfamilien. Die Herrschaft der Wittelsbacher über Bayern geht auf das Jahr 1180 zurück, als der legendäre Kaiser Friedrich I. „Barbarossa“ Otto von Wittelsbach mit dem Herzogtum belehnt. 1214 erwerben die Wittelsbacher dazu die Pfalzgrafschaft bei Rhein mit Heidelberg als Mittelpunkt. So entstehen die beiden Linien des Hauses Wittelsbach.
„Aber sie standen über Jahrhunderte mehr in Konflikt zueinander oder auf dem Schlachtfeld gegeneinander, denn dass sie vereint waren“, sagt Uta Coburger, Konservatorin für Schloss Mannheim bei den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg: „Die Pfälzer führten die Protestantische Union an, die Bayern die Katholische Liga, und man traf sich auf den Schlachtfeldern des Dreißigjährigen Krieges“, so Coburger, und auch danach dauert der Konflikt an.
Dabei gibt es früh den Versuch einer Einigung. 1314 bis 1347 amtiert mit Ludwig dem Bayern erstmals ein Wittelsbacher als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. 1329 schließt er mit den Söhnen seines Bruders Rudolf in Pavia bei Mailand ein Abkommen, „Hausvertrag von Pavia“ genannt. Es ist der erste offizielle Beleg für zwei getrennte Linien: Die bayerischen und die pfälzischen Wittelsbacher, wobei den Pfälzern auch zuvor zum Herzogtum Bayern zählende Gebiete nördlich Regensburg zuerkannt werden. So entsteht der Name „Oberpfalz“.
Seit der „Goldenen Bulle“ gibt es Streit
„Beide räumen sich Vorzüge und Erbrecht ein“, fasst Coburger zusammen, „und die Kurwürde soll abwechseln“. Um diese Kurwürde drehen sich die meisten Auseinandersetzungen über die Jahrhunderte. Es handelt sich um das nur wenigen Fürsten zustehende Recht, den Kaiser mitzuwählen. Daher tragen sie den Titel Kurfürsten. In Pavia einigen sich die Verwandten, diese Kurwürde abwechselnd wahrzunehmen. Das geht aber nicht lange gut.
In der Ära Kaiser Karls IV. (1347- 1378) wird nämlich die Herrscherwahl neu geregelt, eine Art Grundgesetz des Reichs beschlossen: die „Goldene Bulle“ von 1356, die immerhin bis 1806 gilt. Benannt ist die Verfassung danach, dass sie ein goldenes und nicht – wie sonst – bleiernes Siegel erhalten hat.
Das kostbare Pergament regelt, dass künftig drei geistliche Fürsten und Erzbischöfe (Mainz, Köln und Trier) sowie vier weltliche Fürsten (nämlich der König von Böhmen, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und der Pfalzgraf bei Rhein) den Kaiser wählen. Von Abwechslung ist nicht mehr die Rede. „Auch wenn Youtube-Beweise fehlen – die bayerischen Herzöge müssen geschäumt haben!“, sagt Uta Coburger ironisch.
Es kommt noch schlimmer. In der „Goldenen Bulle“ werden auch die Ämter im Reich verteilt – heute würde man Ministerien sagen. Die Pfalzgrafen bei Rhein erhalten den Titel Erztruchsess. Im Mittelalter oberster Aufseher über die fürstliche Tafel, ist die Bezeichnung mittlerweile symbolisch, steht aber für „eines der höchsten Ämter im Reich“, so Coburger. Als Symbol dafür darf der Reichsapfel im Wappen geführt werden, und genau dieser Reichsapfel entwickelt sich zum Zankapfel.
Von zeremoniellen Aufgaben bei der Krönung abgesehen fungiert der Pfälzer als Erztruchsess – zusammen mit seinem sächsischen Kollegen – als Reichsvikar. Das ist mehr als heute Vizekanzler, denn außer der Stellvertretung des Kaisers und Ausübung seiner Amtsgeschäfte im Todesfall gibt es ein weiteres Privileg. „Theoretisch wären die Vikares sogar berechtigt gewesen, über den Kaiser Gericht zu halten, als einzige irdische Richter – wozu es natürlich nie kam“, verdeutlicht Coburger. „Nun tobte man in München vermutlich endgültig vor Wut“, ahnt sie.
Der „Winterkönig“ regiert nur einen Winter
Der „Winterkönig“ macht aber alles kaputt: weil dem protestantischen Friedrich V. (1596-1632) das alles nicht reicht, sondern er sich 1619 auch noch die Königskrone von Böhmen aufsetzen lässt. Seine Regentschaft währt nur einen Winter. Sein katholischer bayerischer Verwandter Herzog Maximilian I. hilft dem katholischen habsburgischen Kaiser, ihn zu besiegen. Zum Dank erhält er 1623 die pfälzische Kurwürde und die Oberpfalz. Damit sind die Bayern „endlich wieder Kurfürsten nach bald 300 Jahren Schmach“, verdeutlicht Coburger.
Im Westfälischen Frieden 1648 erhält der Sohn des vertriebenen „Winterkönigs“ Friedrich zwar die Pfalz zurück, ferner eine neu geschaffene, achte Kurwürde – aber ohne solch ein hohes Reichsamt. Aber auch das bekommen die Pfälzer wieder, nämlich 1706. Zuvor erzürnt nämlich Maximilian II. Emanuel, Kurfürst von Bayern, den Kaiser, da er im Spanischen Erbfolgekrieg mit dem französischen Regenten Ludwig XIV. paktiert. „Der Kaiser nahm die prestigeträchtige fünfte Kur und übertrug sie schwuppdiwupp an die Pfälzer zurück“, so die Konservatorin.
Davon profitiert Johann Wilhelm, Jan Wellem genannt. „Der ließ umgehend Porträts, Wappen, Gold- und Silberschmiedearbeiten anfertigen, die den Reichsapfel wieder im Pfälzer Wappen zeigen“, weiß Coburger. Ab 1690 schon Erzschatzmeister, darf er 1711 sogar wirklich für ein paar Monate den verstorbenen Kaiser vertreten, also Vikar sein. Weil wegen des Dreißigjährigen Krieges Heidelberg zerstört ist, residiert er zwar in Düsseldorf, aber im heutigen Mannheimer Schloss gibt es, obwohl viele in Inventaren genannte Einrichtungsgegenstände verloren sind, ein Exponat aus seiner Ära mit Reichsapfel: die Boulle-Uhr.
Rangfragen waren damals das A und O
Die gelangt 1731 nach Mannheim, als Kurfürst Carl Philipp die Residenz von Düsseldorf hierher verlegt. Er tritt nach dem Tod von seinem Bruder Johann Wilhelm 1716 dessen Nachfolge an. Erst bleibt der frühere Generalfeldmarschall der Türkenkriege in Innsbruck, wo er als kaiserlicher Statthalter fungiert.
Als er nach Heidelberg ins Schloss umzieht, verkracht er sich schnell mit den – überwiegend protestantischen – Bürgern über die beiden Konfessionen zustehende Heiliggeistkirche, die er allein für die Katholiken reklamiert. Daher entschließt er sich 1720 zum Umzug nach Mannheim und zum Bau eines neuen Schlosses, dessen Grundstein er am 2. Juli 1720 legt. Das ist freilich erst ab 1731 bewohnbar. Als es um die Hausunion geht, residiert der Kurfürst daher noch am Marktplatz in R 1,1 im Stadtpalais von Emanuel Oppenheim, Sohn des kaiserlichen Hofjuden Samuel Oppenheimer in Wien. Das Haus wird zum Zentrum der Verhandlungen.
Carl Philipp selbst ist es nämlich, der die Verhandlungen anstößt. Eigentlich soll er nach dem Tod von seinem Bruder die Kurwürde wieder an Bayern zurückgeben, „was er aber ignorierte, stur diverse Reichstage dadurch lahmlegte und was ihm Ärger mit dem Kaiser, seinem Neffen Karl VI., einbrachte“, sagt Coburger.
Schon Johann Wilhelm hat zuvor den Versuch einer Einigung mit den südlichen Verwandten gemacht, „aber die verliefen erst mal im Sande“. Der Grund: Das Schreiben trägt ein Wappen mit Reichsapfel, „den die Bayern ja wieder für sich reklamierten“, so die Konservatorin: „Dies erscheint uns heute albern, aber diese Rangfragen waren das A und O damals, sie definierten den Status und bildeten die Ordnung des alten Reiches ab“. Sie weiß auch, dass es mit Carl Philipp „ein wüstes Hickhack“ um die Sitzordnung bei Reichstagen gegeben habe.
Hinter den Kulissen treibt Carl Philipp indes die Aussöhnung mit den Verwandten voran, vor allem durch seinen Wiener Gesandten und späteren Minister Wolfgang von Sickingen, den Coburger als „Vater der Hausunion“ charakterisiert. Es sei „nichtss beyträglicher“, als wenn „künfftig eine enge Vertraulichkeit und vollkommene gute Verständnis“ erzielt werden könne, schreibt der Diplomat an seinen Chef. Allerdings ziehen sich die Verhandlungen einige Jahre hin, auch weil Carl Philipp 1720 einen Schlaganfall erleidet, und es gibt mehrfach Rückschläge und Gefeilsche.
Joseph Clemens, Erzbischof von Köln, macht 1722 auf einer Reise zurück von der Hochzeit des bayerischen Erbprinzen Karl Albrecht in München in Mannheim Station und unterbreitet Carl Philipp den Entwurf. Sieben Punkte und zwei geheime, separate Artikel umfasst das Papier. Geregelt werden das gemeinsam auszuübende Vikariat, Zusammenarbeit der Gesandten, Bischofswahlen und vieles mehr. Der Vertrag „umfasste ein gemeinsames Agieren aller Wittelsbacher – von der Heiratspolitik über das Vorgehen im Kurkolleg bis zur Bereitstellung von Truppen im Bündnisfall“, fasst die Konservatorin zusammen, denn damals fürchtet man immer wieder einen preußischen Überfall.
Trotz Carl Philipps Einverständnis lässt der bayerische Kurfürst den Vertrag aber eine Weile liegen. Erst am 15. Mai 1724 ist es geschafft, der in München verhandelte Vertrag fertig. Am 29. Mai schickt Carl Philipp ihn unterzeichnet nach München zurück.
„Kaiserliches Quartier“ im Mannheimer Schloss
Als „pikant“ bezeichnet sie, dass die Familienmitglieder im Geheimen agieren: „Der Kaiser in Wien wusste von nichts!“ Ziel der Hausunion sei schließlich gewesen, „die seit über 300 Jahren währende Habsburger Herrschaft durch einen Wittelsbacher zu beenden“. Immerhin kommen zu jener Zeit vier Kurfürsten (Köln, Trier, Pfalz und Bayern) aus der Verwandtschaft. Bereits während der Verhandlungen sei von Carl Philipp der Ausspruch überliefert, die nächste Kaiserkrone solle an den bayerischen Kurfürsten gehen.
Ein bisschen dauert das noch. Mit dem Tod von Kaiser Karl VI. 1740 aber seien die Abmachungen deutlich geworden: Plötzlich treten nämlich wieder die Regenten von Bayern und Pfalz, wie einst, gemeinsam als Reichsvikare auf. Und 1742 gelangt tatsächlich ein Wittelsbacher auf den Kaiserthron: Karl VII. – der erste Nicht-Habsburger auf dem Kaiserthron seit 1437.
Im Mannheimer Schloss gibt es daher, im Ostteil der Bel Etage, das „Kaiserliche Quartier“. Hier wohnt der Bayrische Kurfürst Karl Albrecht 1742, als am 17. Januar die prunkvolle Doppelhochzeit der zwei Enkelinnen von Carl Philipp stattfindet, mit Opernaufführung und prächtiger Stadtillumination. Elisabeth Augusta heiratet Carl Theodor, den späteren Nachfolger von Carl Philipp und Kurfürsten. Ihre jüngere Schwester Maria Anna ehelicht Herzog Clemens von Bayern. Clemens August von Köln traut sie, fast alle Wittelsbacher sind da. Dann wird Karl Albrecht zum Kaiser gewählt, und als Karl VII. tritt er von Schloss Mannheim aus seinen Krönungszug nach Frankfurt an.
Schloss Mannheim
- Anschrift: Schloss Mannheim, Bismarckstraße, 68161 Mannheim
- Zu besichtigen: Haupttreppenhaus, je vier rekonstruierte Räume des Kaiserlichen Quartiers und des Appartements der Großherzogin einschließlich „Erlebnisraum Hofmusik“, der Gang hinunter zum Fundament sowie das Schlossmuseum im Erdgeschoss mit Dauerausstellung zahlreicher Kunst- und Alltagsgegenstände des Hofs. Rittersaal derzeit wegen Wasserschaden gesperrt.
- Eintritt: Schloss mit Audioguide oder App für Erwachsene acht Euro, für Ermäßigte vier Euro und für Familien 20 Euro.
- Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr.
- Führungen: Klassische Schlossführung Samstag, Sonntag und Feiertag 11 bis 15 Uhr stündlich. Eintritt inklusive Führung Erwachsene elf Euro, Ermäßigte 5,50 Euro.
- Anfahrt: Bis Hauptbahnhof Mannheim, dann weiter mit Stadtbahnlinien 1, 4/4 A und 5 bis Haltestelle „Schloss“ oder zu Fuß in 12 Minuten. Mit dem Auto ab Autobahneinfahrt Mannheim oder aus der Pfalz über B 37/Konrad-Adenauer-Brücke, in Mannheim der Beschilderung folgen; Parkmöglichkeit in der Parkgarage Universität/Mensa oder Tiefgarage Stadthaus N 1.
Coburger wertet die Hausunion rückblickend als „eines der wichtigsten politischen Erfolge Carl Philipps“: „Sie ebnete den Weg für ein glückliches und friedliches Jahrhundert für die Kurpfalz“. Carl Philipp, der 1742 stirbt, habe der Pfalz Kriege erspart und den Streit mit Preußen um das zur Kurpfalz zählende wohlhabende niederrheinische Erbe des Herzogtums Jülich-Berg endgültig für sich sichern können. Der „Soldatenkönig“ genannte Friedrich-Wilhelm I. von Preußen will sich da Herzogtum nämlich einverleiben. Letztlich habe er „den Weg bereitet für die Blütezeit unter Carl Theodor“.
Allerdings auch für das Ende Mannheims als Residenz. Bestandteil der Hausunion ist nämlich die Festlegung: Sollte eine der beiden Linien ohne Erben aussterben, übernimmt die andere Linie – jedoch mit Residenz in München. Daher muss Carl Theodor, als am 30. Dezember 1711 der bayerische Kurfürst Maximilian III. Joseph an den Pocken stirbt, das bayerische Erbe antreten. Er ist fortan Regent im Kurfürstentum Pfalz-Baiern, dem nach Österreich und Preußen drittgrößten Staat im Heiligen Römischen Reich.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/leben/erleben_artikel,-erleben-der-lange-streit-im-haus-wittelsbach-der-reichsapfel-als-zankapfel-_arid,2202380.html