Kino

Ben Kingsley als Salvador Dalí in neuem Kinofilm "Dalíland" zu sehen

Regisseurin Mary Harron nähert sich im Film „Dalíland“ dem spanischen Surrealisten und fokussiert sich dabei auf dessen späte Jahre sowie die turbulente Beziehung zu Ehefrau und Muse Gala

Von 
Gebhard Hölzl
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Ben Kingsley als Salvador Dalí und Barbara Sukowa als Gala in einer Szene des Films „Dalíland“. © picture alliance/dpa/SquareOne Entertainment

Das Kino war Salvador Dalí (1904-1989) nicht fremd. Der spanische Maler, Grafiker, Schriftsteller, Bühnenbildner und Bildhauer, ein Hauptvertreter des Surrealismus, zählt zu den bekanntesten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit Luis Buñuel realisierte er 1929 den Kurzfilm „Der andalusische Hund“, in dem ein Mann einer Frau mit dem Rasiermesser ein Auge durchschneidet. 1945 gestaltete er die Traumsequenz für den Psychothriller „Ich kämpfe um dich“, in dem Gregory Peck als Psychiater unter schweren Albträumen leidet. Mit der Psychoanalyse Sigmund Freuds setzt sich Alfred Hitchcock in der Hollywood-Produktion auseinander. Ein Thema, das auch Dalí nachhaltig beschäftigte, der Freud 1938 in dessen Londoner Exil besuchte, ihn porträtierte und anhand des Gemäldes „Metamorphose des Narziss“ erklärte, wie die surrealistische Malerei das Unbewusste vergegenwärtigt.

Die Ehe gerät fast ins Wanken

In der Welt des Traumes, des Rausches, des Fiebers und der Religion bewegte der Katalonier sich bevorzugt, oft ist seine Frau und Muse Gala in den Arbeiten zu sehen. 1974 verbringt der 70-Jährige wie jedes Jahr zusammen mit ihr ein paar Monate im noblen St. Regis Hotel in New York. Der junge Galerieassistent James Linton (Christopher Brinley) wird von Dalí (Ben Kingsley) überraschend gebeten, ihn bei den Vorbereitungen für eine neue Ausstellung zu unterstützen. Damit führt der Weg direkt ins schillernde „Dalíland“, eine von Models und Millionären, Adabeis und Schnorrern, Musik- und Filmstars bevölkerte Welt.

Sir Ben: Kleiner Mann ganz groß

  • In zwei Krimis trat er auf, ehe er sich fast zehn Jahre lang dem Theater zuwandte und dann 1982 von Richard Attenborough als „Gandhi“ besetzt wurde. Einen Oscar als bester Hauptdarsteller brachte Ben Kingsley der Part ein.
  • Kingsley, eigentlich Krishna Bhanji, halb Inder, halb Brite, trat wieder in die zweite Reihe zurück, unterstützte in Ensemble- und TV-Filmen („Der Zug“) die Stars. Bis er Anfang der 90er Jahre den endgültigen Durchbruch schaffte. Als Mafia-Boss Meyer Lansky in „Bugsy“ (1991) und als jüdische Buchhalter in „Schindlers Liste“ (1993).
  • Besonders gut ist der Glatzkopf wenn er böse sein darf, etwa als Folter-Arzt in „Der Tod und das Mädchen“ (1994).
  • Königin Elizabeth II. ernannte ihn 2001 zum Sir. 2007 heirate er in vierter Ehe Daniela Lavender. Der Quäker hat vier Kinder

Im Zentrum steht der alternde Monomane Dalí - „Dalí ist fast Gott. Wenn Dalí Gott wäre, gäbe es keinen Dalí, das wäre eine Tragödie.“ -, der sein Umfeld mit seiner Genialität beeindruckt, und gleichzeitig eine berührende Verletzlichkeit offenbart, besonders in Hinblick auf seine von ihm hoch verehrte, fast vergötterte Frau. Als Gala (Barbara Sukowa) - dazu Dalí: „Sie hat die Macht. Sie kümmert sich um die Finanzen.“ - sich in den aufstrebenden, nichtsnutzigen „Jesus Christ Superstar“-Darstellers Jeff (Zachary Nachbar-Seckel), „Jesus“ gerufen, verguckt und diesen großzügig finanziert, riskiert sie damit nicht nur den gemeinsamen Ruin, sondern bringt zudem die fast fünfzigjährige Ehe ins Wanken.

Wechsel zwischen damals und heute

„Alter schützt vor Torheit nicht“ scheint für die einschlägig erfahrene Mary Harron, siehe „Betty Page: Begehrt und berüchtigt“ oder „I Shot Andy Warhol“, das Motto für ihr schillerndes Biopic gewesen zu sein. Nach dem Drehbuch ihres Ehemannes John Walsh („Am Anfang war es Liebe“) beleuchtet sie die späten Jahre in der gleichermaßen seltsamen wie faszinierenden Beziehung des Ehepaars Dalí. Streng aus der Sicht des kunstinteressierten, naiven James - der Langhaar-Beau erweckt ebenfalls Galas Begehren - erzählt sie ihre in der 1970er-Glam-Rock-Ära Manhattans angesiedelte Story.

In den sporadisch eingestreuten Rückblicken erfährt man, wie Dalís (Ezra Miller) Liebe entbrennt, als er erstmals den Rücken von Gala (Avital Lvova) erblickt, oder wie er dabei zusieht, wie unter gleißender Sonne Käse schmilzt: Inspiration für die zerflossene Uhr - Synonym für den Lauf der Zeit - in „Die Beständigkeit der Erinnerung“, bis heute wohl das bekannteste Werk des Maestros.

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Aller Rest ist Party - Genie und Wahnsinn paaren sich zum atemlosen Rausch. „The Dalí is here!“, kündigt sich der als König verkleidete Exzentriker an und knallt sein Zepter auf den Boden. Der Schnurrbart akkurat hochgezwirbelt, am Arm die royal ausstaffierte Gattin. Die Feier in der Luxusherberge kann beginnen, unter den Gästen, allesamt „beautiful people“, befinden sich Disco-Queen Amanda Lear (Andreja Pejic) und Schock-Rocker Alice Cooper (Mark McKenna). In wüsten Orgien münden diese Zusammenkünfte häufig, gerne wird über des Mannes „beste Stück“ räsoniert. Etwa im Bezug aus Dalís Plan eine Penisskulptur zu errichten, die auf das UN-Gebäude ejakuliert: „Es gibt eine allgemeine Fixierung auf die Penislänge. Kein sterblicher Penis schafft es, diesem Anspruch gerecht zu werden, also erschafft Dalí selbst den ultimativen Penis… um die Welt von ihrer Angst zu befreien.“

Mehr Tiefe wäre möglich gewesen

Amüsant und kurzweilig ist das alles, nur in die Tiefe gegangen wird bei dem von Marcel Zyskind („Die zwei Gesichter des Januar“) farbintensiv und schön fotografierten, bestens ausgestatteten Film kaum. Viel Kolportage, Klischees vom „großen, selbstverliebten Kind“ reihen sich aneinander. Die Nähe Dalís zu Diktator Francisco Franco bleibt vollkommen unerwähnt. Wirklich interessant ist das Werk nur, wenn sich die Ausnahmekönner Kingsley („Gandhi“) und Sukowa („Hannah Arendt“) - gerne über Geld bzw. das Fehlen desselben - in die Haare geraten, oder über zeitgenössische Kunst, bei der die Farbe „aus der Tube direkt auf die Leinwand gedrückt wird“, echauffieren. In diesen Augenblicken offenbart sich, wie viel mehr Potenzial in diesem „saftigen“ Stoff gesteckt hätte.

Freier Autor Gebhard Hölzl, Print-/TV-Journalist, Autor und Filmemacher.

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