Mannheim. Ausbildung oder Studium? Vor der Frage stehen vermutlich auch in Mannheim viele Schülerinnen und Schüler, die demnächst ihr Abi-Zeugnis in der Tasche haben. Aber macht es überhaupt Sinn, dass sich junge Menschen direkt nach der Schule auf eine der beiden Optionen festlegen müssen - obwohl sie weder das eine noch das andere wirklich kennen? Harald Töltl jedenfalls hat da seine Zweifel. Als Geschäftsführer Berufsbildung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar beschäftigt er sich seit Jahren mit der Frage, wie man die Konkurrenz zwischen Hochschulen und Ausbildungsbetrieben, die beide um Schulabgänger buhlen, auflösen kann.
Ein Baustein könnte dabei laut Töltl die „BerufsHochschule“ sein, ein neues Angebot, das die IHK in der Region initiiert und am Mittwoch vorgestellt hat. Auszubildende haben dabei die Möglichkeit, während ihrer Lehre in ein Studium hineinzuschnuppern. Nach einer Orientierungsphase können sie entscheiden, ob sie bei einer reinen Berufsausbildung bleiben oder ob sie eine Art Kombi-Modell wählen, an dessen Ende sie sowohl eine abgeschlossene Lehre als auch einen akademischen Bachelorabschluss haben. Statt Studi oder Azubi also: Stuzubi. „Wir nehmen den jungen Menschen das Problem ab, dass sie sich zwischen Lehrstelle und Studium entscheiden müssen“, sagt IHK-Geschäftsführer Töltl.
Abends und am Samstag Kurse an der FOM Hochschule Mannheim
Als Partner bei dem Projekt ist die FOM Hochschule für Oekonomie & Management an Bord, eine private, staatlich anerkannte Hochschule, die auch in Mannheim einen Standort hat und die sich vor allem an berufstätige Menschen richtet. Vorlesungen und Kurse finden deshalb dort am Abend und samstags statt. Außerdem sind zwei Berufsschulen aus der Region - die Mannheimer Werner-von-Siemens-Schule und die Schwetzinger Carl-Theodor-Schule - beteiligt.
Angeboten wird das Modell ab Herbst 2024 für folgende Ausbildungsberufe: Angehende IT-System-Elektroniker und Fachinformatiker können ihre Lehre mit den Bachelorstudiengängen Wirtschaftsinformatik bzw. Informatik kombinieren. Bei Kaufleuten im E-Commerce ist eine Kombination mit dem Studiengang Marketing und digitale Medien möglich.
In der Praxis kann das dann zum Beispiel so aussehen: Eine Abiturientin startet zunächst ganz regulär eine Ausbildung, zum Beispiel als Kauffrau im E-Commerce. Während des ersten Lehrjahrs hat sie die Möglichkeit, über einzelne Unterrichtsmodule parallel in das Studium zu schnuppern. Entscheidet sie innerhalb der ersten zwölf Monate, dass die Hochschule nichts für sie ist, kann sie ganz normal ihre dreijährige Ausbildung zu Ende bringen.
Entscheidet sie sich unterdessen für die Variante Studium und Ausbildung, werden ihr einzelne Module aus der Berufsschule für das Studium angerechnet. Außerdem belegt die „Stuzubi“ ab dem zweiten Lehrjahr dann zusätzlich zur Ausbildung in Betrieb und Berufsschule noch Studienmodule an der FOM. Konkret heißt das: drei Tage pro Woche Arbeit im Ausbildungsbetrieb, zwei Tage pro Woche Berufsschule plus zwei Abende pro Woche und zwei Samstage im Monat Vorlesungen in der FOM-Hochschule.
Ausbildungsabschluss nach drei Jahren, Bachelor nach vier
Ein knackiges Programm also - doch Florian Fuß, Abteilungsleiter bei der Carl-Theodor-Berufsschule in Schwetzingen, ist trotzdem zuversichtlich, dass sich für das integrierte Modell genügend Interessenten finden. „Gerade in den anspruchsvollen kaufmännischen Ausbildungsberufen sitzen inzwischen viele Abiturienten bei uns im Unterricht“, sagt er.
Diese seien teilweise durch die betriebliche Ausbildung und die Berufsschule nicht ausgelastet - und suchten entsprechend nach weiterem Input. „Wir versuchen bereits, auf die steigende Heterogenität in den Berufsschulklassen mit differenzierteren Angeboten zu reagieren, aber unsere Ressourcen sind begrenzt“, sagt Abteilungsleiter Fuß. Die Kombi-Variante mit dem Studium biete den jungen Menschen entsprechend mehr Möglichkeiten.
Nach drei Jahren schließen die „Stuzubis“ zunächst ihre Berufsausbildung regulär mit dem IHK-Abschluss ab - und können dann ihr Studium berufsbegleitend fortsetzen. Nach dem vierten Jahr steht dann zusätzlich der Bachelor-Hochschulabschluss an, erklärt Katrin Martin, Geschäftsleiterin der FOM Hochschule in Mannheim.
Unternehmen sollen Studiengebühren übernehmen
Die Studiengebühren von 345 Euro im Monat sollen, so die Idee der Initiatoren, die jeweiligen Ausbildungsbetriebe der Teilnehmerinnen und Teilnehmer übernehmen. IHK-Geschäftsführer Töltl glaubt, dass sich das Investment für die Unternehmen lohnt: „Sie gewinnen dadurch gut ausgebildete Hochschulabsolventen, die gleichzeitig betriebliche Praxis mitbringen.“
Das Modell BerufsHochschule ermögliche es Ausbildungsbetrieben, die Potenziale ihrer Mitarbeitenden zu entwickeln, sagt auch Harald Beschorner, Kanzler der FOM Hochschule. Welche Bildungswege junge Menschen einschlagen, sei in Deutschland immer noch sehr stark durch den familiären Hintergrund bestimmt. Durch das neue Modell könnten Teilnehmer nun während der Ausbildung ausprobieren, ob ihnen ein Studium liege oder nicht.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/wirtschaft_artikel,-regionale-wirtschaft-berufshochschule-ihk-rhein-neckar-stellt-neues-projekt-vor-_arid,2217551.html