Walldorf. Die jüngsten Gespräche in Brüssel haben bei Christian Klein offensichtlich eher Frust als Aufbruchstimmung ausgelöst. Warum das so ist, erklärt der Vorstandschef des Walldorfer Softwarekonzerns SAP der europäischen Presse via Teams mit einem Vergleich. „Wenn sich in Washington die CEOs und Regierungsvertreter treffen, reden die fast nur darüber, wie sie mit dem Einsatz der KI wettbewerbsfähiger sein können, zum Beispiel in der Automobilindustrie oder der Energiewirtschaft.“ Und in Brüssel? „Da reden sie fast die ganze Zeit über Regulierung“, ärgert sich Klein.
Immer neue KI-Regelungen werden draufgesattelt
Damit nicht der falsche Eindruck entsteht. Der SAP-Boss hat nichts gegen die KI-Verordnung der EU (AI Act). Wenn der regulatorische Rahmen in ganz Europa funktioniert, kann das - so Klein - auch ein Wettbewerbsvorteil sein. Nur, nach seiner Meinung muss dann auch alles der Reihe nach gehen. „Bevor wir regulieren, sollten wir erst einmal etwas aufbauen. Und wenn die Technologie da ist, kann man auch regulieren. Und nicht umgekehrt. Wir müssen also das richtige Gleichgewicht finden“, sagt der Vorstandsvorsitzende.
Und dazu gehört für ihn auch, dass nicht immer neue Regelungen draufgesattelt werden. „Wir brauchen einen Rahmen, der in ganz Europa gilt, es ist wirklich nicht sinnvoll, wenn einzelne EU-Mitgliedstaaten zusätzlich ihr eigenes Ding machen“, so Klein. Und dieser Rahmen soll nicht streng fixiert und ewig gelten, sondern muss dann nach seiner Überzeugung immer wieder zusammen mit den Unternehmen auf die Praxistauglichkeit getestet werden. „Dann merkt man auch, ob die Regulierung bestimmte Technologien einschränkt und im Extremfall die europäischen Unternehmen einen Nachteil haben.“
Dass Konzernchefs weniger Regulierung und mehr Autonomie für ihre Unternehmen wünschen – darauf läuft Kleins Argumentation ja hinaus – ist für sich genommen nicht besonders originell. Das fordern CEOs ja nicht nur, wenn es um KI oder Datenschutz geht, sondern auch bei Themen wie Taxonomie oder Lieferketten. Alle fühlen sich in der Regel durch die Politik ständig in ihrem Aktionsradius beschnitten.
Was genau ist denn Datensicherheit?
Viel interessanter ist es, wie Klein die Strategie der EU mit Blick auf die Diskussion um die Datensouveränität einschätzt. Gegenwärtig lautet das weit verbreitete Narrativ ja, dass Europa sich von den USA unabhängig machen muss, weil der unberechenbare Präsident Donald Trump – etwa wenn es einen Handelskrieg geben sollte – den US-Cloudanbietern Amazon, Microsoft und Google befehlen könnte, den europäischen Kunden den Stecker zu ziehen. So redet Klein natürlich nicht, denn die SAP ist auch in den USA ein großer Player und will es sich mit Trump nicht verderben, wie der Wirbel um die Kurskorrektur bei den Diversitätszielen des Walldorfer Softwarekonzerns gezeigt hat.
Dennoch profitiert die SAP natürlich von der Debatte über die digitale Souveränität und investiert Milliardenbeträge in souveräne Cloud-Angebote. So können Kunden, die völlig auf Nummer sicher gehen wollen, mit der Delos-Cloud ihre Daten in Europa abgeschottet vom Netz in Europa speichern und verarbeiten. Das Programm ist vor allem auf den öffentlichen Sektor und stark regulierte Industrien – wie zum Beispiel den Rüstungs- oder Gesundheitsbereich – zugeschnitten. Die Cloud-Infrastruktur wird in deutschen Rechenzentren bereitgestellt und lokal durch die SAP betrieben. Dadurch ist sichergestellt, dass die Daten im Land bleiben. Oder eben von den US-Hyperscalers nach Deutschland zurücktransferiert werden. „Das kann die SAP natürlich den Kunden schon heute bieten. Sie bleiben nicht für immer und ewig von den amerikanischen Anbietern abhängig.“
Offensichtlich ist aber die Nachfrage nach der höchsten Sicherheitsstufe verschwindend gering. „Die wenigsten Kunden legen darauf Wert, selbst europäische Banken nutzen zum allergrößten Teil die Hyperscaler aus den USA“, sagt Klein. Und dennoch wirft er ihnen nicht Naivität vor, obwohl er mit Panikmache ja vielleicht mehr Geld verdienen könnte.
„Wir sollten erst einmal definieren, was wir unter digitale Souveränität überhaupt verstehen“, sagt der CEO. „Damit meine ich in erster Linie, dass Kunden die volle Kontrolle über ihre Daten und ihre Infrastruktur haben müssen, damit sie immer das Gefühl haben, dass sie ihre Daten noch besitzen. Es geht also darum, wo ihre Daten gespeichert werden, wer tatsächlich auf sie zugreift und wie sie verschlüsselt werden“, sagt Klein.
SAP-Chef Klein: Der Zug ist abgefahren
Mit anderen Worten: Datensouveränität bedeutet für ihn nicht, dass die Europäer jetzt eigene Rechenzentren oder Halbleiter bauen. „Der Zug ist abgefahren. Wichtig ist, was innerhalb der Hardware passiert“, sagt Klein und zeigt auf sein Smartphone. „Die Software lädt man sich aus dem App-Store. SAP würde als Softwareunternehmen doch auch kein Smartphone bauen, sondern die Programme dafür liefern.“
Damit stellt sich Klein gegen die Pläne der EU und der Bundesregierung. Die EU will 20 Milliarden Euro in fünf KI-Gigafactorys investieren, also in riesige Rechenzentren, die dazu beitragen sollen, Europas Rückstand in der Künstlichen Intelligenz aufzuholen. Eines davon will die Koalition nach Deutschland holen. „Das brauchen wir nicht“, meint Klein, deshalb gehört die SAP auch nicht zu den Bewerbern aus Deutschland. Die Schwarz Gruppe mit Sitz in Neckarsulm bei Heilbronn schon. Das Pikante dabei: Mit der IT- und Digitalsparte Schwarz Digits arbeitet die SAP im Cloudgeschäft zusammen, das Heidelberger KI-Start-up Aleph Alpha steuert PhariaAI bei, eine Art Betriebssystem für KI-Anwendungen.
Viel wichtiger hält es Klein, dass die EU und Deutschland die Anwendung von Künstlicher Intelligenz in Schlüsselbranchen wie die Automobil- oder Chemieindustrie fördern, damit Europa in zehn Jahren in diesen Bereichen die Nummer eins ist. „Das Spielt läuft schon“, sagt Klein.
Es wäre fatal, wenn Europa das Match verlieren würde.
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