Heidelberg. Aleph-Alpha-Chef Jonas Andrulis erlebt den Hype um Künstliche Intelligenz (KI) momentan hautnah. Pausenlos ist er unterwegs, war etwa beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Auch beim künftigen Innovationspark für Künstliche Intelligenz (IPAI) in Heilbronn mischt Aleph Alpha mit.
Das Start-up entwickelt große Sprachmodelle mit Funktionen Künstlicher Intelligenz, ähnlich wie das kalifornische OpenAI mit ChatGPT. Das Unternehmen aus Heidelberg hat sich aber auf Anwendungsfälle für die öffentliche Verwaltung und die Industrie spezialisiert.
Zum Interview nimmt sich Andrulis Zeit am Rande des „trade/off Summit“, einer KI-Konferenz in der Heidelberger Halle 02.
Herr Andrulis, selbst der Papst beschäftigt sich mit Künstlicher Intelligenz. Der neu gewählte Leo XIV. bezeichnet KI als eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre „für die Verteidigung der Menschenwürde, der Gerechtigkeit und der Arbeit“. Ist das treffend beschrieben?
Jonas Andrulis: Das Gefährliche an KI ist die enorm schnelle Entwicklung. Künstliche Intelligenz betrifft tatsächlich wesentliche Aspekte des Lebens, darunter Sicherheit, Verteidigung und Demokratie. Gleichzeitig birgt sie enorme Chancen. Ich bin überzeugt: Ohne signifikante Innovationen – dabei steht KI natürlich ganz oben auf der Liste – werden wir den demografischen Wandel, den Arbeitskräftemangel in den Verwaltungen oder den Klimawandel nicht lösen.
Für Unternehmen stellt sich vor allem die Frage: Was ist entscheidend, damit KI zum Treiber für neue Wertschöpfung wird?
Andrulis: Zwei Dinge: Zum einen Innovation, zum anderen Souveränität – damit sie nicht von anderen abhängig sind und die Freiheit haben, selbst zu gestalten.
Sie treten für eine souveräne europäische KI ein …
Andrulis: Ich trete für eine souveräne KI insgesamt ein. Natürlich liegt mir Europa sehr am Herzen, aber mein Ansinnen gilt auch für Staaten und Unternehmen außerhalb des Kontinents. Sie alle, außer den Monopolisten, wollen momentan eine immer stärkere Konzentration von Wertschöpfung und Macht verhindern.
Wo sehen Sie Aleph Alpha auf diesem Weg? Immerhin haben Sie es mit gewaltigen Konkurrenten aus USA zu tun, die teils schon länger auf dem Markt sind und mehrere Milliarden Dollar zur Verfügung haben.
Andrulis: Wir haben es geschafft, mit Aleph Alpha ein Deeptech-Unternehmen aufzubauen und unabhängige institutionelle Investoren zu gewinnen. Einige schlaue Leute hatten mir im Vorfeld gesagt: Das geht nicht, du kannst mit europäischen Investoren kein souveränes Deeptech-Unternehmen schaffen, die können nur E-Commerce. Von wegen. Aleph Alpha hat die Innovation bei KI entscheidend mitgestaltet.
Zur Person
- Jonas Andrulis wurde am 14. Juli 1981 in Berlin geboren. Er ist litauischer Abstammung.
- Schon als Jugendlicher bastelte er an Amateurfunkgeräten und setzte sich mit Softwareentwicklung auseinander.
- Andrulis ist studierter Wirtschaftsingenieur (Karlsruher Institut für Technologie, KIT).
- Eine Zeit lang arbeitete er für Apple im Silicon Valley – als leitender Angestellter der KI-Entwicklungsabteilung.
- 2019 gründete Andrulis schließlich Aleph Alpha mit Sitz in Heidelberg. Das Unternehmen hat mehr als 300 Mitarbeiter , von denen über 140 am Heidelberger Standort arbeiten.
Wie denn?
Andrulis: Wir waren das erste Unternehmen, das ein multimodales Sprachmodell im Einsatz hatte. Wir haben immer noch als einziger Anbieter dieses hohe Level an Erklärbarkeit, damit Nutzer erkennen, wie Aussagen der KI zustande kommen. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos haben wir Anfang des Jahres eine neue KI-Architektur vorgestellt, die genauere Ergebnisse liefern und dabei weniger Rechenleistung verbrauchen soll. Unternehmen und Behörden können damit Sprachmodelle mit eigenem, branchenspezifischem Wissen besser anpassen und betreiben.
Wie groß ist das Interesse von Behörden überhaupt, sich mit solch neuen Anwendungen auseinanderzusetzen?
Andrulis: Es wird öfter gesagt, der öffentliche Sektor hinke hinterher und sei wesentlich langsamer als die Industrie. Das kann ich so nicht bestätigen – zumindest bei den Behörden, mit denen wir zusammenarbeiten. Sie haben tolle Internet-Teams und setzen die Transformation mutig um. Davon könnten sich mittelständische Unternehmen inspiriert fühlen. Denn die Wirkung ist nicht zu unterschätzen, wenn staatliche Einrichtungen sagen, dass sie sich nicht mehr an ihr Faxgerät gekettet fühlen.
Aleph Alpha hat vor einigen Monaten die Deutsche Bank als Anteilseigner gewonnen. Das passt insofern, als Sie auch Lösungen für den Finanzsektor anbieten wollen.
Andrulis: Genau. Es geht darum, Prozesse zu automatisieren, die viel Zeit kosten. Mit einem System beispielsweise können Finanzinstitute überprüfen, ob ihre Verträge mit neuen Regulierungsvorschriften kompatibel sind. KI kann auch dabei helfen, Geldwäsche zu erkennen und nachzuverfolgen.
Aleph Alpha wagt sich in teils stark regulierte und sensible Bereiche vor …
Andrulis: Es gibt Anwendungen für Verbraucher – Chatbots etwa, die Gedichte für die Oma zum Geburtstag schreiben. Das ist eine tolle Sache. Aber dann gibt es eben Anwendungen, bei denen aus meiner Sicht Souveränität – wir hatten es vorhin davon – absolut entscheidend ist: Verwaltung, Sicherheit, Gesundheitswesen, Finanzsektor, Industrie. Hier fühlt sich Aleph Alpha wohl, bei hochkritischen Daten. Das ist genau unser Ding.
Vielen Menschen wird angst und bange, wenn sie sich vorstellen, dass eine KI auf Gesundheitsdaten zugreift oder beim Militär zum Einsatz kommt. Können Sie das verstehen?
Andrulis: Klar. Man muss sich allerdings vor Augen führen: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden“ – frei nach Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“. Eine Welt ohne Künstliche Intelligenz wird es nicht geben. Es liegt jetzt an uns, die Gestaltung dieser Welt nicht anderen zu überlassen.
Hat Sie die Wiederwahl von US-Präsident Donald Trump eigentlich beunruhigt?
Andrulis: Trotz aller Turbulenzen, die man sich anders wünscht, hat das die Mission der KI-Souveränität gestärkt. Wer jetzt noch nicht verstanden hat, dass wir uns selbst stark aufstellen müssen, wird es nie verstehen.
Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Andrulis: Wir müssen die Verwaltung digitalisieren, vereinfachen, entbürokratisieren, handlungsfähig halten. Gerade im Kontext der demografischen Entwicklung. Zudem wünsche ich mir, dass strategischer gedacht wird.
Aleph Alpha ist vor wenigen Monaten innerhalb Heidelbergs in die Bahnstadt umgezogen, weil der alte Standort aus allen Nähten geplatzt ist. Wie gefällt es Ihnen?
Andrulis: Es ist immer noch etwas unwirklich … manchmal denke ich: Wow, das sind jetzt unsere Büros! Sie sind wirklich sehr schön. Wir haben auch eine Dachterrasse. Wenn Kunden zu Besuch sind, spreche ich gerne von der badischen Toskana (lacht). Was sich in Heidelberg getan hat, gerade bei Tech-Start-ups, ist beeindruckend. Bei den angesagten Standorten liegt Heidelberg mittlerweile auf Platz drei hinter Berlin und München. Das ist schon cool.
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