Bensheim. Vor gut einem Jahr brach der Bensheimer Haushalt wegen hoher Gewerbesteuerrückzahlungen auf den vorherigen Jahren in unvorhergesehenem Maße ein. Ursprünglich war man von einem - zwar nicht schönen, aber verkraftbarem - Defizit von rund 12,5 Millionen Euro ausgegangen. Plötzlich waren es 42,7. Das hatte nicht nur eine sofortige Haushaltssperre zur Folge, sondern zog monatelange Debatten zu Einsparmaßnahmen und dringend benötigten Einnahmequellen nach sich. Mit dem Ergebnis, dass die Stadtverordnetenversammlung sich am Donnerstagabend auf die Erhöhung der Grundsteuer B sowie auf den Haushalt 2025 verständigte. Das allerdings mit Zähneknirschen und dem Widerstand der Koalitionsfraktion FDP, die weder für den Hebesatz von 1000 Punkten noch das Zahlenwerk stimmte. Am vergangenen Montag hatte sich der Haupt- und Finanzausschuss noch mehrheitlich enthalten (wir haben berichtet).
Worauf müssen sich die Bensheimerinnen und Bensheimer nun also einstellen? Rückwirkend zum Jahresbeginn wird der Hebesatz der Grundsteuer B auf genau 1000 Punkte (von aktuell 617) angehoben. Möglich ist das allerdings nur, wenn die Stadt im kommenden Jahr mit 1275 Hebesatzpunkten, 2027 und 2028 dann mit 1660 plant.
Ob diese Hebesätze am Ende tatsächlich zum Tragen kommen, hängt maßgeblich von den weiteren Konsolidierungsmaßnahmen von Stadtpolitik und -verwaltung ab, ebenso wie dem Wohlwollen der Aufsichtsbehörden, den Konsolidierungszeitraum für den Haushalt zu verlängern. Derzeit liegt er bei fünf Jahren. Für weitere Verhandlungen diesbezüglich müssen zunächst die Aufsichtsbehörden dem Haushalt 2025 zustimmen. Wie lange die Prüfung des Zahlenwerks dauert und wann Bensheim sich von der vorläufigen Haushaltsführung verabschieden kann, ist auf Anfrage bei der Stadt bisher nicht absehbar.
Sowohl BfB und VuA als auch die Grünen forderten neben der Grundsteuer-Erhöhung weiterhin eine Anhebung der Gewerbesteuer, und zwar von derzeit 390 auf 400 (BfB, VuA) beziehungsweise auf 450 Punkte (Grüne). Eine Erhöhung hatte im Februar auch die Hessische Kommunalberatung empfohlen. Eine Mehrheit fanden die Vorstöße allerdings nicht. Zu groß erachten die anderen Fraktionen das Risiko, Gewerbetreibende abzuschrecken und sie doppelt zu belasten.
Vor allem die Opposition nutze die Stadtverordnetenversammlung, um ordentlich auszuteilen und nicht nur der Verwaltung, sondern auch CDU, SPD und FDP fehlende Einsparvorschläge und einen mangelnden Sparwillen zu attestieren. „Sie haben die Zeichen nicht erkannt, die es 2024 schon gab“, sagte Franz Apfel (BfB). Er und VuA-Vorsitzender Rolf Kahnt sind sich sicher: Ohne das Zutun ihrer beiden Fraktionen wäre die Einigung auf 1000 Hebesatzpunkte mit einem gemeinsamen Änderungsantrag (ohne FDP) nicht zustande gekommen.
„Hätte die Koalition nicht alle Anträge der Opposition abgelehnt, hätten wir noch mehr herausholen können“, erklärte Doris Sterzelmaier (Grüne) in ihrer Rede zum Haushalt. Statt über Gebührenerhöhungen zu sprechen, wo sie angemessen seien - etwa rund um die Parksituation in Bensheim - sei nun durchgeboxt worden, die Kitagebühren schon in diesem Jahr statt erst 2026 zu erhöhen, um die Stadtkasse weiter zu füllen (Berichte folgen). Das hält die Fraktion für wenig sozial.
„Hauptaugenmerk lag auf Grundsteuer und MEGB“
„Wir müssen aufhören, uns gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben“, warf Bernhard Stenger (CDU) ein. Weder Magistrat noch Stadtverordnete hätten in der Vergangenheit den Mut gehabt, beim Sparen „die Brechstange anzusetzen“. Seit dem Einbruch des Haushalts diskutiere man vornehmlich über die beiden Themen Grundsteuer-Erhöhung und die MEGB-Ausschüttung. Die Verwaltung habe durchaus geliefert, in der AG Haushalt sei die Arbeit konstruktiv verlaufen. „Allerdings hätten auch wir uns mehr echte Einsparungen und strukturelle Veränderungen als Verschiebungen gewünscht.“
In Bezug auf die Debatte rund um die Marketing- und Entwicklungsgesellschaft Bensheim (MEGB) warf Stenger BfB und VuA eine „populistische Show“ vor. Am Donnerstagabend stimmte die Stadtverordnetenversammlung mit einer recht knappen Mehrheit für den Koalitionsantrag (mit FDP), den Verkauf der städtischen Parkhäuser an die Tochtergesellschaft der Stadt vorbereiten zu lassen. Einige für die Entscheidung relevanten Zahlen und Informationen müssen noch nachgeliefert werden. Sofern alle Parameter stimmen, soll der Verkauf noch 2025 erfolgen und damit den Haushalt um rund vier Millionen Euro entlasten. Falls nicht, wäre auch dann noch eine Kapitalausschüttung in gleicher Höhe möglich.
Beides würde sich allerdings nicht auf den Hebesatz der Grundsteuer auswirken, sondern „nur“ die Liquidität der Stadt verbessern. Stengers Hauptkritik gegenüber BfB und VuA gründete darauf, dass die Fraktionen einen Änderungsantrag eingereicht hatten, der die Kapitalausschüttung vorsah und zusätzlich die Abwägung des Verkaufs der Parkhäuser im Jahr 2026. „Die MEGB ist eine operative Einheit der Stadt. Dieser Schritt bedeutete insgesamt eine Summe von acht Millionen Euro. Das würde die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft gefährden.“ (Ausführlicher Bericht zur MEGB-Debatte folgt)
Doch zurück zur Grundsteuer-Erhöhung: Nach wie vor hält die CDU dieses Mittel für gerecht. „Die Bürgerinnen und Bürger waren jahrelang die Leistungsempfänger der Stadt und haben von dem vielfältigen Angebot und den sprudelnden Gewerbesteuereinnahmen profitiert.“ Folglich könnten sie nun einen höheren Beitrag zum Erhalt der freiwilligen Leistung der Stadt erbringen. „Wenn man die Hebesatzpunkte in Euro umrechnet, wird vielen bewusstwerden, dass die Erhöhung leistbar ist“, so Stenger. Die vorgezogene Erhöhung der Kitagebühren hält für nicht für unsozial, er zeigte sich zudem wenig überrascht darüber, dass die Grünen weniger Einsparungen im Kulturbetrieb vornehmen möchten und für mehr Einnahmen das „Feindbild Auto“ bedienen.
Der SPD war unterdessen am wichtigsten, endlich einen genehmigungsfähigen Etat zu verabschieden, damit die Stadt aus der vorläufigen Haushaltsführung herauskommt. „Der Konsens zum Hebesatz von 1000 Punkten steht, weitere Spielräume haben wir nicht“, sagte Fraktionsvorsitzender Jürgen Kaltwasser.
Warum die FDP nicht mit der Koalition mitzieht
Mit großem Interesse und einigen stichelnden Kommentaren bewerteten die Oppositionsparteien das Abstimmungsverhalten der FDP. „Dass sie bei den wichtigsten Fragen, die die Stadt derzeit klären muss, nicht hinter ihren Koalitionspartnern CDU und SPD steht, ist bezeichnend und wirft Zweifel am Zustand des Bündnisses auf“, sagte Doris Sterzelmaier (Grüne). Irritiert zeigte sich auch die BfB darüber, dass die FDP Haushalt und Grundsteuer-Erhöhung einerseits ablehnt, andererseits aber auch keine eigenen Vorschläge zu einem vertretbaren Hebesatz gemacht hat.
Die FDP begründet ihr Votum mit dem aus ihrer Sicht unausgewogenen und zu kurz greifenden Ansatz der Haushaltskonsolidierung. Besonders kritisch sieht die Fraktion die Grundsteuer-Erhöhung. „Wir können und werden diesen Haushalt nicht mittragen. Der eingeschlagene Weg über höhere Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger – ohne tiefgreifende Reformen auf der Ausgabenseite – ist für uns nicht akzeptabel“, so die Fraktionsvorsitzende Lisa-Marie Blumenschein.
Bereits in den Beratungen im Haupt- und Finanzausschuss hatte die FDP ihren Widerstand deutlich gemacht. Die Fraktion betont, sich während des gesamten Haushaltsprozesses konstruktiv eingebracht zu haben – mit konkreten Vorschlägen zur Ausgabenkürzung und strukturellen Neuausrichtung. Dazu zählen unter anderem pauschale Kürzungen über alle Produktbereiche hinweg, eine Überprüfung freiwilliger Leistungen sowie die Einführung größerer Transparenz in der Ausgabenstruktur.
„Unser Ziel war und ist ein zukunftsfähiger Haushalt – durch Ausgabendisziplin, nicht durch reflexartige Steuererhöhungen“, erklärte der finanzpolitische Sprecher der Fraktion Harald Boeddinghaus. Die FDP sieht es als Versäumnis der Verwaltungsspitze, dass zu keinem Zeitpunkt ein Haushalt vorgelegt wurde, der diesen Anspruch erfüllt. Statt einen transparenten und ehrlichen Kassensturz vorzunehmen und sämtliche Sparpotenziale zu identifizieren, sei die Diskussion frühzeitig auf das Thema Steuererhöhungen verengt worden, erklärte Boeddinghaus in seiner Rede zum Haushalt am Donnerstagabend.
Dass der Haushalt letztlich auch ohne die FDP mit Mehrheit beschlossen wurde, wertet die Fraktion als bedauerlich, aber konsequent. „Wir übernehmen Verantwortung – aber nicht um jeden Preis“, betont Fraktionsmitglied Tobias Fischer. „Steuererhöhungen ohne tiefgreifende Reformen sind für uns nicht tragbar.“
Besonders kritisch sieht die Fraktion die Wirkung der Grundsteuer-Erhöhung auf die Bevölkerung. „Die Anhebung auf 1000 Punkte ist ein erheblicher Eingriff, der viele Haushalte - Eigentümer und Mieter - zusätzlich belastet. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten hätte ein solcher Schritt mit einer ebenso klaren Reformagenda auf der Ausgabenseite verknüpft werden müssen. Das war nicht der Fall“, so Fraktionsmitglied Thorsten Eschborn
Obwohl die FDP mit ihrem Kurs im Stadtparlament alleinstand, wird sie den weiteren Konsolidierungsprozess konstruktiv und kritisch begleiten sowie eigene Impulse setzen, erklärt die Fraktion in einer Mitteilung. Die Diskussion um die langfristige Haushaltskonsolidierung sei mit dem Beschluss keineswegs abgeschlossen. „Wir werden uns weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen, dass echte strukturelle Veränderungen umgesetzt werden“, so auch der Parteivorsitzende Jascha Hausmann, der seine Fraktion in ihrem Handeln unterstützt.
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