Bergstraße. Hessen ist ein wasserreiches Land. Doch die zuletzt extrem trockenen Jahre, der anhaltend hohe Verbrauch, die qualitative Belastung der Gewässer und das Bevölkerungswachstum zehren an den Vorkommen und stellen die Versorgung in der Zukunft in Frage. Hinzu kommt die Klimakrise als zentrale Herausforderung der Ressourcensicherung. Themen, mit denen sich die SPD Bergstraße während ihrer Sommertour genauer beschäftigt hat.
Bei einer Diskussionsveranstaltung in Heppenheim stand am Montag der „Zukunftsplan Wasser“ des Landes Hessen im Mittelpunkt und die Frage, ob das wasserwirtschaftliche Konzept taugt, um die Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft dauerhaft zu gewährleisten, so Fraktionsvorsitzender Josef Fiedler im Restaurant „Gossini“. Gäste waren Michael Denk, Abteilungsleiter „Wasser und Boden“ im Umweltministerium, Ulrich Androsch als Geschäftsführer des Gewässerverbands Bergstraße sowie Kreislandwirt Sebastian Glaser und Ralph Kadel, der sich unter anderem als Moderator bei der Biodiversitätskonferenz im Kreis beteiligt.
Auch wenn der Wasser-Fachplan das Thema auf gut einhundert Seiten mit vielen Daten, Karten und Tabellen ausführlich beleuchtet: „Entscheidend ist die Umsetzung“, so Michael Denk von der Oberen Wasserbehörde in Wiesbaden.
Trinkwasser einsparen
Das Papier war nach einer zweimonatigen Anhörung der Öffentlichkeit im Juli vom Kabinett beschlossen worden. Erarbeitet wurde es in Zusammenarbeit mit den kommunalen Spitzenverbänden, Fach- und Umweltverbänden und mit der Landwirtschaft. Zu den zentralen Maßnahmen zählen unter anderem die Förderung der Grundwasserneubildung durch Retention und Versickerung im Sinne einer sogenannten Schwammstadt, der Schutz vor Schadstoffeinträgen sowie der Ausbau von kommunenübergreifenden Verbundsystemen zur Sicherstellung der Wasserversorgung in Trockenperioden.
Chef des Gewässerverbands sieht unvermeidliches Restrisiko
Die SPD-Veranstaltung, die über weiter Strecken thematisch sprunghaft vor sich hin mäanderte, endete in einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Debatte über das elementare Verbraucherverhalten: „Wir können so nicht weitermachen“, sagte Ulrich Androsch, der für einen sparsamen Verbrauch plädiert. Es werde zudem fleißig weiter Fläche versiegelt und dem Wasser der nötige Raum genommen. Man sei offenbar nicht bereit, in natürliche Strukturen und Ökosysteme zu investieren. Die Politik beschränke ihren Blick auf die nächste Legislaturperiode – und die nächsten Wahlen. „Egal, welche Partei.“ Wer darüber spreche, den Wohlstand in Deutschland zu Gunsten der Umwelt auch nur ein wenig zu senken, der öffne ein sehr unpopuläres Thema.
Mit Blick auf den Hochwasserschutz sagte Androsch, man sollte nicht versuchen, die Natur zu sehr durch technische Maßnahmen einzuengen, die dem natürlichen Drang eines fließenden Gewässers widerstreben. An der Ahr würde man im Jahr nach der Flutkatastrophe beim Wiederaufbau teils die alten Fehler wiederholen und das Tal durch zu viele und zu eng stehende Gebäude regelrecht verschließen. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Flut alles wieder zerstöre, so der studierte Wasserbauingenieur. Die Bilanz des Hochwassers (über 180 Tote und 91 000 beschädigte Wohnhäuser) hätte auch weitaus schlimmer ausfallen können. Es sei erschreckend, dass an vielen Flussufern ungehemmt weitergebaut würde.
Nur eine Frage der Zeit
Eine folgenschwere Wetterkatastrophe in der Region Bergstraße sei nur eine Frage der Zeit, so der Chef des Gewässerverbands Bergstraße. Kein Hochwassersystem sei für solche Wassermassen ausgelegt, wie sie 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen innerhalb von wenigen Stunden auf die Erde fielen. Wenn ein Bach oder ein Fluss in seinem Bett keinen Platz mehr habe, dann suche er sich seinen Weg überirdisch: Das Wasser fließt immer zum Geländetiefpunkt – und das sind meist die Ortslagen. Durch das Gefälle im Odenwald, wo auch mehr Niederschläge zu verzeichnen sind als im Ried, würden beispielsweise die Wassermassen der Weschnitz schneller fließen und in der Ebene eine höhere Energie entwickeln.
Die Rückhaltebecken entlang der Weschnitz mit insgesamt bis zu fünf Millionen Kubikmetern Kapazität sind laut Androsch für ein Hochwasser, das statistisch alle 100 Jahre vorkommt, gut ausgebaut. Die größte Anlage befindet sich in Lorsch, sie kann bis zu 3,5 Millionen Kubikmeter Wasser fassen. „Das bringt aber nichts, wenn sehr viel Wasser vom Odenwald herunterläuft.“ Auch ein 150-jähriges Hochwasser wäre möglicherweise noch zu steuern – das heißt, dass die Wassermassen kontrolliert abfließen könnten. „Mit einem Restrisiko werden wir leben müssen“, so Androsch in Heppenheim. Bei sehr starkem lokalen Niederschlag habe man letztlich keine Chance. tr
Es geht zudem um Einsparmöglichkeiten von Trinkwasser, etwa durch eine stärkere Nutzung von Brauchwasser auch in der Industrie, die mit einem Nutzungsanteil von rund 70 Prozent als einer der großen Verbraucher gilt. Neben dem Schutz der vorhandenen Ressourcen geht es um die langfristige Versorgungssicherheit und eine möglichst effiziente Wassernutzung.
Die Statistik beweist den Handlungsbedarf: Seit 2003 wurden in Hessen keine ausgeprägten Nassjahre mehr beobachtet, so Michael Denk in Heppenheim. Die jährliche Grundwasserneubildung liege seither meist unterhalb des langjährigen Mittels und sei derzeit um fast 30 Prozent geringer als in der Phase von 1971 bis 2000. Die Grundwasserstände, die besonders durch die beiden heißen Jahre 2018 und 2019 gesunken sind, haben sich noch immer nicht vollständig erholt. Gleichzeitig führen heiße und trockene Sommer zu einem steigenden Bedarf an Trinkwasser sowie an Grundwasser für die Bewässerung der landwirtschaftlichen Flächen.
Prognosen sind nicht eindeutig
Die Prognosen für die Grundwasserneubildung in den nächsten Jahren seien allerdings nicht eindeutig, so der Landesvertreter. Ein Blick in den Plan offenbart: Wie genau sich der Klimawandel auswirkt, ist offenbar unklar. So heißt es dort, dass sowohl eine Zu- als auch eine Abnahme der jährlichen Grundwasserneubildung möglich sei. Zwar würden die Temperaturen zunehmen und damit die Verdunstungsrate steigen – gleichzeitig geht man aber auch von einem leichten Anstieg der Jahresniederschlagsmengen aus. Es regnet künftig also wahrscheinlich mehr in Hessen. Dabei dürfte es im Winter mehr und im Sommer weniger Niederschlag geben – zum Leidwesen auch der Landwirtschaft, die es sich genau umgekehrt wünschen würde, so Ralph Kadel, ein gelernter Agraringenieur. Während der Trockenperiode 1991 bis 1993 habe sich laut Publikation kaum noch Grundwasser neu bilden können, was zu erheblichen Schäden an den Ökosystemen im Hessischen Ried geführt habe.
Aber auch das Bevölkerungswachstum im Rhein-Main-Gebiet und die Belastung der Gewässer seien enorme Herausforderungen, so Michael Denk weiter. So lebten Ende 2017 in Hessen 6,2 Millionen Menschen, das sind etwa 270 000 mehr als 2011. Tendenz weiter steigend. Die unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung im städtischen und ländlichen Raum beeinflusse auch den künftigen Wasserbedarf. Dieser steige vor allem in der Metropolregion Rhein-Main, während er im ländlichen Raum sinke.
Auch Kreislandwirt Sebastian Glaser, Sprecher der regionalen Bauern, spricht von einer zunehmend problematischen Situation. Der Grundwasserspiegel schwanke im Ried um bis zu drei Meter – eine Dynamik, die den Landwirten bei der Bewirtschaftung ihrer Flächen zu schaffen macht. Der hohe Wasserbedarf der Rhein-Main-Region führe zu dieser teils massiven Grundwasserabsenkung und zu steigenden Kosten für die Betriebe bei der Beregnung.
Gefahr von Ernteausfällen
Und der Klimawandel schlage sich nicht nur in den Einkommen der Landwirte nieder, sondern letztlich auch in einer sicheren Versorgung der Verbraucher mit Lebensmitteln. „Die Gefahr von Ernteausfällen durch Unwetterschäden wächst.“ In Heppenheim rief Glaser aber auch zu mehr Sachlichkeit in den Diskussionen über die Verantwortung der Landwirtschaft für Klima und Umwelt (Thema Nitratwerte) auf.
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