Herr Engelhardt, warum wird das Problem mit der Unterbringung Geflüchteter gerade jetzt wieder so groß?
Christian Engelhardt: Wenn Sie es mit der Zeit 2015/2016 vergleichen, dann hatten wir damals als Gesellschaft nicht die ganz großen Probleme. Das war eine Zeit, in der es uns wirtschaftlich relativ gut ging. Da war die Fluchtsituation im Bewusstsein aller, weil es das große Thema war.
In den vergangenen Monaten haben wir uns gerade aus der Corona-Zeit befreit, der Ukraine-Krieg kam dazu, die Inflation und die Energiekrise - eigentlich haben die Leute den Kopf voller Herausforderungen.
Und natürlich haben sich die Medien besonders mit den Themen befasst, für die sich die Leute besonders interessierten. Das waren ja auch meine Schwerpunkte in den vergangenen Monaten - die Vorbereitung auf Katastrophenszenarien.
Die Menschen aus der Ukraine waren klar ein Thema, aber es kamen mehr und mehr Menschen aus sogenannten Drittstaaten. Sie stellen inzwischen die größere Anzahl. Die Summe führt zu Situationen, in den wir sagen müssen: So geht es nicht mehr. Wir sind am Limit.
Landrat Christian Engelhardt
Der 50-jährige Christian Engelhardt wurde 2015 zum Landrat des Kreises Bergstraße. 2021 wurde er mit 63 Prozent wiedergewählt.
Seit 2015 ist er stellvertretender Vorsitzender der Verbandsversammlung der Metropolregion Rhein-Neckar. sal/ü
Was bedeutet es, wenn Sie sagen „am Limit“?
Engelhardt: Dass wir nicht mehr wissen, wo wir die Menschen unterbringen können. Wir haben im vergangenen Jahr etwa 4000 Menschen aufgenommen. Das waren fast doppelt so viele wie 2015. Derzeit kommen pro Woche etwa 60.
In unseren Gemeinschaftsunterkünften, die eigentlich nur als kurzfristige Lösung gedacht waren, sind nur noch 300 Plätze frei. Das sind Zeltlager. Das ist unzumutbar. Da kann keine Integration stattfinden. Da entstehen Konflikte auf Dauer. Das ist das Limit. 4000 Menschen - das ist wie ein kleiner Ort. Und wir haben nicht mehr die Ressourcen, sie zu integrieren.
Sie versorgen hier über einen längeren Zeitraum auch Menschen, von denen klar ist, dass sie als Asylbewerber abgelehnt werden. Wie löst ein angekündigtes Gipfeltreffen mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser das Problem?
Engelhardt: Wir Kommunalen sagen ja, dass der Kanzler das machen müsste. Das Ganze kann ja nur zwischen den Staaten gelöst werden. Der entscheidende Schritt wäre die Stärkung der europäischen Außengrenze, damit nur die Menschen hierherkommen können, die eine Bleibeperspektive haben.
Staaten wie Griechenland, die an der Außengrenze liegen, sollte man bei der Unterbringung der Geflüchteten unterstützen. Die Verteilung innerhalb der EU muss eine andere sein. Viele kommen nach Deutschland, weil Geflüchtete hier relativ viel Geld bekommen und es verhältnismäßig attraktiver ist, nach Deutschland zu kommen als in andere EU-Länder.
Über diese Anreize muss man nachdenken. Letztendlich müssen Verfahren über die Abschiebung derer, die keine Bleibeperspektive haben, deutlich beschleunigt und schließlich auch umgesetzt werden.
Wie fühlen Sie sich, wenn sie als Landrat solche protektionistischen Sätze sagen wie: „Wir müssen die Außengrenzen stärken“? Wir sind ja auch nur zufällig auf einem Stück Land geboren, das mehr Aussicht auf Prosperität bietet. Ist das nicht komisch für Sie?
Engelhardt: Sie haben natürlich recht: Keiner von uns hat die guten Lebensbedingungen, in die er hineingeboren ist, selbst erarbeitet. Das haben unsere Vorfahren gemacht. Wir haben Glück, dass wir hier leben.
Das sollte man sich ab und zu mal klarmachen. Es ist auch keinem Menschen vorzuwerfen - auch wenn er aus wirtschaftlichen Gründen hierher kommt - dass er das tut, um ein besseres Leben zu haben. Das ist ein nachvollziehbares Motiv.
Aber: Ich bin in meinem Verantwortungsbereich als Landrat dafür zuständig, dass unser Staat funktioniert. Und ich sehe, dass wir zu scheitern drohen, weil wir es nicht mehr schaffen, die Leute zu integrieren. Es sind zu viele.
„Wir schaffen das“. Das hat die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2015 gesagt. Sagen Sie: „Wir schaffen das nicht mehr“
Engelhardt: Wir schaffen das in der jetzigen Situation nicht mehr so, dass wir es für uns gut schaffen. Unter anderem bleibt so die Integration auf der Strecke.
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