Jubiläum

„Wir sind als Unternehmen Dentsply Sirona interessant, aber nicht unbedingt als Standort“

Dentsply Sirona feiert gleich zweimal Geburtstag, den Standort Bensheim und die Trennung von Siemens. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Jan Siefert.

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Michael Roth
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Jan Siefert, Geschäftsführer von Dentsply Sirona (links), im Interview mit BA-Chefredakteur Michael Roth. © Thomas Zelinger

Herr Siefert, Sirona feiert dieser Tage 60 Jahre Standort Bensheim und 25 Jahre Trennung von Siemens, dafür haben sie zwei Geburtstagswünsche frei.

Jan Siefert: Ich wünsche mir von der Kommunalpolitik planbare und kalkulierbare Rahmenbedingungen, was Steuern und Infrastruktur angeht. Das Thema Gewerbesteuer hat allen Unternehmen in Bensheim zuletzt wenig Spaß gemacht, denn letztlich hat die lokale Wirtschaft Informationen über den Entscheidungsprozess im Wesentlichen der Presse entnehmen müssen – der Dialog mit der Legislative bietet deutlich Raum für Verbesserung.

Und der zweite Wunsch?

Siefert: Wir wachsen hier in Bensheim und müssen attraktiver für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden. Gerade wenn es um Stellen in der Fertigung geht, sehen wir die demografische Entwicklung mit Sorge. Es wird weniger junge Menschen geben und somit auch weniger junge Menschen, die in gewerbliche Berufe streben. Was also kann man tun, dass Menschen hier gerne arbeiten und leben? Ich denke hier an Themen wie Wohnangebot, Kinderbetreuung und öffentlicher Nahverkehr. Bei der Kinderbetreuung ist die Stadt Bensheim auf dem richtigen Weg. Der Nahverkehr ist zwar in Nord-Süd-Richtung gut, in Ost-West-Richtung dagegen schlecht.

Schaut man sich den aktuellen Aktienkurs von Dentsply Sirona an, gibt es eigentlich keinen Grund zu feiern, er notiert am Zehnjahrestief.

Siefert: Die Entwicklung von Aktienkursen hängt von zahlreichen Faktoren ab, die zum Teil mit dem einzelnen Unternehmen oder seinen Märkten wenig zu tun haben. Viele globale Unternehmen und damit deren Aktienkurse leiden derzeit unter der allgemeinen Marktdynamik, die von der vorherrschenden Unsicherheit geprägt ist – Stichworte Lieferketten oder Covid. Auch die Lage an den Kapitalmärkten – Stichworte Zinsen und Inflation – hat ihren Einfluss. Darüber hinaus gibt es Themen, die speziell mit Dentsply Sirona zu tun haben. Etwa unser gesenkter Ausblick für 2022 oder Wechsel in unserer Führungsebene, die für den Kapitalmarkt überraschend waren. Unser Mutterkonzern hat seit Kurzem mit Simon Campion einen neuen Vorstandschef, der übrigens zu unserer Jubiläumsfeier am Samstag nach Bensheim kommt. Meiner Einschätzung nach hat die Börse unter anderem auch diese Ernennung abgewartet.

Der Abschwung dauert aber schon länger an.

Siefert: Die Bewertung eines Unternehmens muss man immer über einen längeren Horizont betrachten. Fakt ist, dass der Dentalmarkt, in dem wir tätig sind, sehr attraktiv ist. Unser Unternehmen verfügt über eine tolle Innovationspipeline und ein gut positioniertes Portfolio, das ein nachhaltiges Wachstum auf lange Sicht ermöglichen wird. Und ganz wichtig: Wir haben ein talentiertes, engagiertes globales Mitarbeiter-Team, das zu unserem Erfolg beiträgt und auf das wir uns immer verlassen können.

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Der neue Konzernchef ist Ire, also Europäer, und aus der Branche, ein Vorteil gegenüber der früheren US-Führungsriege?

Siefert: Die Nationalität spielt aus meiner Sicht hier weniger eine Rolle. Simon Campion bringt 25 Jahre Erfahrung in der Medizinprodukte-Branche mit und war zuletzt als Executive Vice President und President beim Unternehmen Bard für das Segment Medical zuständig. Dass er Deutschland und vor allem die Region mit ihrer Innovationskraft sehr gut von seiner Tätigkeit bei Bard in Karlsruhe kennt, ist sicherlich ein Vorteil.

Welche Rolle spielt der Standort Bensheim im Gesamt-Konzern?

Siefert: Nach dem Zusammenschluss von Dentsply und Sirona im Jahr 2016 haben sich die Machtverhältnisse verschoben. Wir in Bensheim standen als größter Standort, gemessen an Umsatz und Mitarbeiterzahl, natürlich im Fokus. Wir sind um den Faktor Zehn größer als andere Standorte, und diese Dimension war für viele neu. Plötzlich wollten mehr Leute mitreden und entscheiden.

Und das hieß für den Standort Bensheim?

Siefert: Der Standort Bensheim war nun Teil eines börsennotierten Konzerns, mit Hauptsitz in den USA. Bensheim ist heute, neben seinen traditionellen Stärken, unter anderem der Nukleus für die Weiterentwicklung der Strategie in eine digitale Welt. Das kürzlich auf den Markt gebrachte digitale Ökosystem für Zahnarztpraxen, DS Core, etwa stammt von hier. Ebenso die Kooperation mit Google Cloud sowie Plattformen zur künstlichen Intelligenz. Alles in allem hat die Bedeutung von Bensheim als wichtiger Produktions- und Innovationsstandort zugenommen.

Und die wirtschaftliche Entwicklung am Standort?

Siefert: Bensheim steht für rund ein Drittel des Konzernumsatzes.

Und der Anteil am Konzerngewinn?

Siefert: Da ist es mehr. Gemessen an der Auftragslage war 2021 ein gutes Jahr. Wenn wir keine Lieferkettenprobleme hätten, wäre es sogar ein sehr gutes Jahr gewesen. Und mit der Entwicklung 2022 sind wir zufrieden. Auch dieses Jahr könnten wir mehr verkaufen, wenn wir die notwendigen Komponenten dazu bekämen.

Dentsply Sirona an seinem Standort im Süden Bensheims (Bildmitte) ist der größte Arbeitgeber in der Region. Heute wird auf dem Werksgelände in doppelter Hinsicht Geburtstag gefeiert – den Standort Bensheim und die Trennung vom Siemens-Konzern. © Thomas Neu

Was bedeutet die gute Auftragslage für die Beschäftigung am Standort Bensheim?

Siefert: In Forschung und Fertigung arbeiten hier rund 1700 Beschäftigte. Dazu kommt noch die Vertriebsgesellschaft mit circa 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, davon rund 180 in Bensheim. Wir haben derzeit bis zu 90 offene Stellen. Vor allem in der Entwicklung sowie in der Fertigung suchen wir massiv. Selbst nach Beginn des laufenden Ausbildungsjahres stellen wir noch ein. Nächstes Jahr werden wir die Zahl der Azubi-Stellen sogar verdoppeln. Wir sind als Unternehmen interessant, aber nicht unbedingt als Standort.

Wie geht es mit dem Standort in Zukunft weiter?

Siefert: Der Standort steht für Innovation und Wachstum. Angesichts der demografischen Entwicklung mit ihrem großen Einfluss auf unsere Produktwelt, sehen wir auch künftig wirtschaftliches Wachstum. In Europa wird die Zahl der Zahnärzte demografisch bedingt stagnieren. Die Anzahl der Zähne in Behandlung aber wächst, ebenfalls aus demografischen Gründen. Die Menschen werden älter. Sprich: Die Anzahl zu behandelnder Zähne pro Zahnarzt steigt.

Und was ist die Lösung?

Siefert: Wir müssen Lösungen finden, das notwendige Produktivitätswachstum der Zahnarztpraxen zu unterstützen, etwa durch verstärkte Digitalisierung, 3-D-Druck und weitere Innovationen. Aber auch die Neuverteilung von Aufgaben in einer Zahnarztpraxis ist eine Option. In den Niederlanden beispielsweise darf eine Arzthelferin nach Weiterbildung etwa eine Betäubungsspritze setzen und weitere Routinearbeiten erledigen. Der Zahnarzt hat mehr Zeit für kompliziertere Aufgaben. Das geht bei uns nicht, könnte aber gesetzlich geändert werden.

Schauen wir in die Historie. Beschreiben Sie doch bitte den Wandel am Standort Bensheim, von Siemens bis heute sozusagen.

Siefert: Anfang der 1960er Jahre zog die Dentalsparte von Siemens mitsamt 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Erlangen nach Bensheim, aus Platzmangel im Fränkischen.

Warum ausgerechnet Bensheim?

Siefert: Es sollte ein Standort nahe der Region Rhein-Main-Mainz sowie Rhein-Neckar sein. An den Universitäten in Darmstadt und Karlsruhe gab es Ingenieure, in Heidelberg, Frankfurt und Mainz Zahnheilkunde und in Mannheim Betriebswirte. Alles, was Siemens brauchte. Hinzu kamen noch viele Arbeitskräfte aus dem Odenwald und die gute Verkehrslage. Der Fokus lag auf dem deutschen Markt und bis 1989 zur Wiedervereinigung lief es recht ruhig und unspektakulär.

Was passierte 1989?

Siefert: Nach der Wiedervereinigung haben wir stark auf Ostdeutschland gesetzt. Wir haben alle Zahnärzte der DDR in das Berliner Kongresszentrum eingeladen, das wir komplett gemietet hatten. Wir hatten komplette Zahnarztpraxen in allen Preisklassen im Angebot. Das war teuer und ein großes Wagnis. Aber es folgte eine Auftragsflut für Bensheim und wir mussten in kurzer Zeit hunderte neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen.

1997 erfolgte der Abschied von Siemens, ein Finanzinvestor übernahm. Es folgten weitere.

Siefert: Ja, der Erste war Schroder Ventures, heute Permira. Es folgten weitere Eigentümerwechsel 2004 an EQT und 2005 an Madison Dearborn. Schließlich der „umgekehrte Merger“ mit Schick Technologies inklusive Börsennotierung an der US-Technologiebörse Nasdaq. 2016 erfolgte dann der Zusammenschluss mit Dentsply Inc.. Im Lauf der Jahre wurden wir mit hohem Tempo immer internationaler. In Japan haben wird die Zahl der Mitarbeiter in einem Jahr von 10 auf über 100 gesteigert. Es galt seit 2000 die Devise Tempo bei der Expansion, was auch ein gewisses Risiko mit sich brachte.

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Zurück nach Bensheim und in die Zukunft. Was sind die größten Hindernisse für eine weitere gedeihliche Entwicklung?

Siefert: Was nicht nur uns betrifft, ist die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Ich gebe Ihnen ein aktuelles Beispiel: Ich wollte meinen Personalausweis erneuern, das Bürgerbüro hatte laut Aushang bis 18 Uhr offen. Ich war um 17.30 Uhr dort und kam nicht mehr dran. Ein Gegenbeispiel: Ich musste kürzlich für das Unternehmen eine Notarbeurkundung in den Niederlanden leisten. Das ging online über einen Videotermin. Unser Staat ist alles, nur nicht digital. Außerdem sollte durchaus mal der Gedanke ankommen, dass der Bürger der Kunde der Verwaltung ist, der sie auch noch mit seinen Steuern bezahlt. Was kriege ich eigentlich für mein Geld? Das gilt auch für Unternehmen. Sirona hat die letzten 25 Jahre einen ansehnlichen dreistelligen Millionenbetrag Gewerbesteuer am Standort bezahlt.

Was kann Dentsply Sirona besser als die Konkurrenz, von der am bekanntesten KaVo sein dürfte, das liest man hin und wieder auf Geräten beim Zahnarztbesuch?

Siefert: KaVo macht nur noch bildgebende Systeme, also Röntgen. Die Zahnarztstuhl- und die Instrumentensparte wurden kürzlich an das finnische Familienunternehmen Planmeca verkauft. Wir sind der einzige Anbieter auf dem Markt, der alle Produkte und Dienstleistungen für die Zahnarztpraxis unter einem Dach anbietet und das digital verknüpft.

Was soll das bringen, wenn ich von einem Anbieter abhängig bin?

Siefert: Vergleichen Sie es mit Apple, die haben auch die Hand auf der gesamten Produktwelt des iPhones bis hin zur Genehmigung für einzelne Apps. Das funktioniert. Bei anderen Mobiltelefonen passt nicht immer alles zusammen. Außerdem sind unsere Produkte, anders als bei Apple, offen für andere Anbieter. Wir können Fremdprodukte einbinden, wenn der Zahnarzt das möchte. Unser Marktanteil spricht für uns. Das sind in Deutschland seit 20 Jahren im Schnitt 50 Prozent. Und die Produkte halten lange. Es gibt Geräte in Praxen, auf denen steht noch Siemens drauf.

Auf was muss sich ein Patient beim Zahnarzt künftig einstellen, oder anders gefragt, was ist in ihrer Forschungspipeline?

Siefert: Das Hauptaugenmerk liegt auf der schon angesprochenen Unterstützung der Zahnarztpraxen auf dem Weg in digitalisierte Arbeitsumgebungen – hier entsteht um ein digitales, dentales Ökosystem herum eine ganze Palette von Produkten, die dort eingebunden sind. Ein Beispiel ist der neue 3D Drucker Prime-Print, der vielfältige Anwendungen von Aufbissschienen bis hin zum Provisorium ermöglicht. Die Praxis wird auf Wunsch bei der Konstruktion durch unsere Experten unterstützt, der Datenaustausch erfolgt digital.

Und was können Zahnärzte erwarten?

Siefert: Ein weiteres Feld könnte das sogenannte ‚Pay per Use‘ sein. Der Zahnarzt muss die Ausrüstung nicht kaufen, sondern mietet sie, abgerechnet wird dann nach der Nutzungszeit.

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