Bergstraße. Anleger brauchen dieser Tage und vielleicht auch noch eine ganze Weile starke Nerven. Manche nehmen es aber auch mit Galgenhumor. Der Deutsche Aktienindex Dax nähert sich der wichtigen Marke von 13 .000 Punkten - leider aus der falschen Richtung, von oben.
Inflations- und Zinsangst dominierten zuletzt die Stimmung. Ob die jüngst nachlassenden Preise für Energie und Rohstoffe von Dauer sind, ist fraglich. Die hohe Inflation wird wohl bleiben, die Notenbanken könnten die Zinsen weiter erhöhen und der Hemmschuh für die Aktienmärkte wird größer.
Alle drei Depots im Minus
Auch die Aktien aus der Region im BA-Aktienranking können sich dem Abwärtssog der Weltbörsen nicht entziehen. Die zuletzt starken Papiere aus dem Depot Bergstraße/Südhessen verloren in den vergangenen vier Wochen sechs Prozent, das Depot Rhein-Neckar fünf Prozent, die Papiere aus Rhein-Main drei Prozent. Zum Vergleich: Das Minus beim Deutschen Aktienindex Dax lag bei vier Prozent.
Im Depot Bergstraße/Südhessen brach die Aktie des Zwingenberger Biotechherstellers Brain aus Zwingenberg regelrecht ein. Notierte das Papier vor vier Wochen noch bei sieben Euro, sind es nun nur etwas mehr als fünf. Einen deutlich erkennbaren Grund gibt es nicht, die Jahresprognose wurde zuletzt bestätigt. Möglicherweise haben sich Fonds in größerem Umfang von den Aktien getrennt, was auch schon bei anderen Biotechaktien zu beobachten war.
Warten auf Ideen des neuen Chefs
Auch die Aktien des Gabelstaplerhersteller Jungheinrich - mit einem Standort in Bensheim - verloren. Der Konkurrent Kion hatte seinen Ausblick drastisch gesenkt, was Jungheinrich wohl mitgerissen hat.
Recht stabil, aber noch immer auf niedrigem Niveau, hielten sich die Papiere von Dentsply Sirona, dem größten Unternehmen der Bergstraße. Hier wird es spannend, wenn der neue Konzernchef seine Ideen vorstellt. Seine beiden Vorgänger versprachen oft viel und konnten, gemessen an den Geschäftszahlen, wenig halten.
Stabil auf hohem Niveau hielt sich TE Connectivity, ebenfalls mit einem großen Standort in Bensheim. Der Hersteller von Steckverbindungen und Sensoren hatte zuletzt sehr gute Zahlen und die Perspektiven als Lieferant von Elektronik für Elektroautos sind ebenfalls sehr gut.
Trendwende bei BASF erwartet
Bleibt noch das Schwergewicht Merck. Die Aktie verlor zuletzt etwas, aber Rosie Turner vom Analysehaus Jefferies, glaubt, dass die Widerstandsfähigkeit der Darmstädter in einem schwierigen Umfeld mit Blick auf Energiepreise am Markt unterschätzt werden. Die Aktie sei hochwertig defensiv, hieß es andernorts. Zuletzt fielen auch einige Medikamentenstudien positiv aus.
Im Depot Rhein-Neckar hält sich die Aktie der BASF, die mit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine von 60 Euro abstürzte, wacker über der 40-Euro-Marke. Und es könnte bald wieder aufwärts gehen. Gunther Zechmann vom US-Analysehaus Bernstein Research meint, dass nach dem starken Anstieg der Rohstoffkosten über fast zwei Jahre hinweg hier bald eine Trendwende anstehe. Die Chemiebranche schneide in solchen Zeiten wieder fallender Rohstoffpreise recht gut ab, da der Kostendruck nachlasse und gleichzeitig noch Erhöhungen der Absatzpreise nachwirkten.
Beim Softwarekonzern SAP haben sich neulich viele Kunden über höhere Preise für die Wartung von Software beschwert. Aktionäre hingegen hätten allen Grund, sich über die Kursentwicklung zu beschweren. Die Transformation in Richtung des Cloud-Geschäfts durch den Softwareanbieter sei klar und nachvollziehbar, sagt Analyst Nay Soe Naing von der Privatbank Berenberg. Im Vergleich zu Oracle sei SAP der aussichtsreichere Wert. Auch Analyst Mohammed Moawalla ist zuversichtlich. Bei einer IT-Konferenz habe das Management auf eine allgemein starke Nachfrage verwiesen. Die Bereitschaft der Kunden nehme zu, bei der Umgestaltung der eigenen Geschäftsmodelle in SAP-Produkte zu investieren trotz makroökonomischer Ungewissheit.
Kooperation in der Zuckerbranche
Die Aktie des Energieversorger MVV hat sich von zwei Kursrutschen, im Juli und im August, erholt. Hier wird die Entwicklung der Energiepreise entscheidend bleiben. Der Aktienkurs von Südzucker bleibt hingegen wohl unter Druck. Die Branche rechnet mit einer durchwachsenen Rübenernte. Immerhin hat das Bundeskartellamt der deutschen Zuckerindustrie grünes Licht für ihre Kooperationspläne im Falle eines Gasnotstandes gegeben. Damit können sich die vier in Deutschland produzierenden Zuckerhersteller - Nordzucker, Südzucker, Pfeifer & Langen und Cosun Beet - gegenseitig freie Produktionskapazitäten in mit Mineralöl oder Kohle betriebenen Anlagen zur Verfügung stellen, falls es im kommenden Winter zur Kappung der Gasversorgung kommt.
Der Schmierstoffhersteller Fuchs Petrolub hat nach Ansicht von Oliver Schwarz von Warburg Research zwar ein solides Quartal hinter sich. Dem bestätigten Jahresausblick lägen aber möglicherweise zu optimistische Krisenszenarien zugrunde. Immerhin hat sich das Papier vom Kurstief aus dem Juni erholt. Mit Aktienrückkäufen hat der Vorstand nachgeholfen.
Banken profitieren
Im Depot Rhein-Main ging es mit der Deutschen Bank wieder bergauf. Gleiches gilt für die Aktie der Commerzbank. Treiber der Kursgewinne sind die höheren Zinsen der Notenbanken. Am Ende einer nun folgenden Reihe von Zinserhöhungen könnte der Leitzins in der Eurozone bei drei Prozent landen, in den USA sogar bei vier Prozent, meint Analyst Jochen Stanzl vom Handelshaus CMC Markets. Im Umfeld steigender Zinsen profitieren Banken. Das Kreditgeschäft wird lukrativer, die Einnahmen steigen.
Bei der Lufthansa ist der Staat nach der Rettung als Aktionär mit ansehnlichem Gewinn ausgestiegen. Das wünscht sich auch mancher Aktionär, der schon früh in die Fluglinie investiert hat. Dass die Piloten nicht schon wieder streiken, half zuletzt auch der Aktie. Der rückläufige Ölpreis ebenso. Zudem hat Großaktionär Klaus-Michael Kühne seine Lufthansa-Aktienposition ausgebaut und das operative Geschäft scheint sich zu erholen.
Beim Flughafenbetreiber Fraport hat Analystin Stephanie D’Ath von der kanadischen Bank RBC nach dem starken Zahlenwerk ihre Schätzungen für das operative Ergebnis bis 2024 nach oben revidiert. Sie verwies aber auch auf die von ihr erwartete Free-Cashflow-Rendite bis 2024 von durchschnittlich minus sieben Prozent. Bis dahin rechnet sie auch nicht mit Dividendenzahlungen.
Fresenius-Aktie günstig zu haben
Die Aktie von Fresenius ist mittlerweile fast so günstig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Nach Ansicht von Aktienanalyst Hassan Al-Wakeel von der britischen Investmentbank Barclays der Wechsel an der Konzernspitze ein positiver Treiber sein. Aus fundamentaler Sicht sei Fresenius mittelfristig eine gute Wahl. Allerdings gibt es auch derzeit zwei große Baustellen. Im Dialysegeschäft sind womöglich die Auswirkungen der Übersterblichkeit in der Corona-Pandemie zu spüren. Außerdem finanziere das Management seine Wachstumsstrategie zu stark mit Fremdmitteln. Das führt zu einer vergleichsweise hohen Verschuldung. Steigende Zinsen könnten künftig auf den Gewinn drücken, heißt es bei Aktienexperten. (mir)
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