Bergstraße. Pilzkrankheiten und Erderwärmung, Umweltverordnungen und Nachhaltigkeitsziele, Flächenverluste und umstrittene gesetzliche Reformen: Der deutsche Weinbau steht vor massiven Herausforderungen. Der 13. Bergsträßer Weinbautag war ein Spiegel dieser Entwicklungen und gleichermaßen ein Forum für den persönlichen Erfahrungsaustausch. Namhafte Experten kamen am Freitag nach Bensheim, um über aktuelle Themen zu referieren und mit Winzern der Hessischen Bergstraße ins Gespräch zu kommen.
Weinbauverbandschef Otto Guthier begrüßte zahlreiche Gäste im Kolpinghaus. Darunter auch der neue Staatssekretär Michael Ruhl aus dem Hessischen Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt, Weinbau, Forsten, Jagd und Heimat. Der 39-Jährige war bereits vor diesem Amt als Fachpolitiker in den Bereichen Landwirtschaft und Umwelt aktiv. In Bensheim würdigte er nicht nur den Weinbau an der Hessischen Bergstraße als Kleinod der hessischen Weinkultur.
Ruhl betonte auch die Bedeutung einer zukunftsfähigen Entwicklung des Weinbaus für künftige Generationen.
„Unser Ziel ist es, optimale Bewirtschaftungsmethoden zu entwickeln, die auch in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten ein auskömmliches Wirtschaften sichern und gleichzeitig Lösungsansätze zur Weiterentwicklung des Weinbaus unter Nachhaltigkeits- und Klimaanpassungsaspekten eröffnen.“ Dieses Ziel könne man aber nur gemeinsam und in einem konstruktiven Austausch erreichen, so der Staatssekretär.
Der Weinkonsum sinkt, die Preise steigen
Beispielhaft teilte er mit, dass das Land auch in Zukunft die weinbaulichen Betriebe an der 462 Hektar kleinen Hessischen Bergstraße durch aufgestockte Fördermaßnahmen bei der Erhaltung des Steillagenweinbaus unterstützen werde. Auch für eine umweltfreundliche Anwendung von Pheromonen zur Bekämpfung des Traubenwicklers (ein typischer Schädling im Weinbau) würden Fördermittel bereitgestellt.
Die Agrarbranche – momentan in aller Munde – benötige Unterstützung in schwierigen Zeiten. Der Weinkonsum sinkt, die Preise steigen. Landwirte und Winzer müssten trotz vieler Anforderungen vor allem auch wirtschaftlich arbeiten können. „Die Winzer brauchen Planungssicherheit und verlässliche Perspektiven.“
Auch Otto Guthier sieht die Branche in einer Phase des Umbruchs und ihre Protagonisten unter einem immensen Druck. Zu den schrumpfenden Umsätzen kommt ein dramatisch anmutender Strukturbruch, der die Gefahr von Flächenstilllegungen und Betriebsaufgaben erhöht. Für Guthier bedeutet das eine Bedrohung der Bergsträßer Kulturlandschaft und ein existenzielles Risiko für die Winzer, die sich bei allem Übel auch noch einer wachsenden Bürokratie ausgesetzt sehen. Beispielhafthaft wäre hier der EU-Plan zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu nennen.
Bodenpflege optimieren als Ziel
Nach Grußworten der Erste Stadträtin Nicole Rauber-Jung und Weinkönigin Nina Kaltwasser beleuchtete Edgar Müller in seinem Vortrag über Bodenpflege im Spannungsfeld zwischen Klimawandel, Nachhaltigkeit, Ökologie und Önologie einen verzahnten Komplex aus verschiedenen Perspektiven. Müller ist Dozent und bis vor kurzem auch Berater im Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinhessen-Nahe-Hunsrück in Bad Kreuznach.
In Bensheim betonte er, dass man im Weinbau die Bodenpflege nicht neu erfinden, wohl aber optimieren und weitaus sensibler vorgehen müsse. Es gehe darum, unterschiedliche Ziele unter einen Hut zu bringen: die Rebe mit den nötigen Nährstoffen zu versorgen, den Boden zu schonen und Umweltbelastungen soweit es geht zu vermeiden oder drastisch zu reduzieren. Dies berge Zielkonflikte, denen man allein durch kluge Kompromisse und klare Prioritäten begegnen könne, so Müller.
Anpassungen seien vor allem vor dem Hintergrund der Erosionsproblematik und einer kürzeren Winterruhe der Reben notwendig, so der Experte an der Hessischen Bergstraße, wo die Vegetationsperiode im Weinjahr 2024 derzeit ganz langsam ihren Anfang nimmt. Statt Dogmen setzt der Pragmatiker Müller auf naturwissenschaftlichen Sachverstand.
Das wichtigste Ziel der Bodenpflege besteh ganz klar darin, den Boden an Ort und Stelle zu erhalten – und buchstäblich zu halten. Ein Bodenpflegesystem, das Erosionsprozesse über das unabänderliche Maß hinaus zulasse, sei alles andere als nachhaltig. Die Minimierung von Erosionsrisiken sei daher allen anderen Zielsetzungen übergeordnet, so der promovierte Weinfachmann von der Mosel.
Durch ein hohes Infiltrationsvermögen des Bodens könne der Winzer einer gefährlichen „schleichenden Erosion“ vorbeugen. Die größten Gefahren für die Bodenstruktur sind indes Verdichtung und Verschlämmung etwa durch ein regelmäßiges Befahren der Weinbergsböden über längere Zeit. Dies verfestige die einst poröse physikalische Beschaffenheit der Erde, verstopfe die Poren und reduzierte die Speicherfähigkeit für Wasser.
Ein weiteres Problem ist die Einlagerung von Schwermetallen und organischen Verbindungen: also Schadstoffe, die nur sehr langsam abgebaut werden. Hier nennt Müller auch Kupfer. Es ist aus seiner Sicht problematisch, wenn man abbaubare Kohlenstoff- oder Wasserstoffverbindungen als Schutzwirkstoffe ablehne und gleichzeitig und auf den meisten Böden in bereits kritischen Mengen anzutreffendes Metall als Alternative propagiert. Vor allem im Ökologischen Landbau sind Kupferanwendungen seit langem üblich und notwendig. „Auch die heute zulässigen Eintragungsmengen sind im Grunde nicht tolerierbar“, so Müller. Allerdings existiert im Bioweinbau bis heute kein vergleichbarer Ersatz für einen effektiven Pflanzenschutz.
Erosionsprozesse sind aber nicht nur ein Problem für die Fläche, von der sie ausgehen, sondern für die Allgemeinheit. Ein zu geringes Infiltrationsvermögen der Böden erhöht Hochwasserrisiken, so der Referent. Mit Erosionsprozessen wird außerdem Phosphat in Oberflächengewässer gespült, was aufgrund einer übermäßigen Anregung Algenwachstums eine massive Beeinträchtigung der Gewässerqualität bedeuten kann. Auch der Abbau von Humus durch nicht notwendige Bodenbearbeitung sei mit einem nachhaltigen Weinbau nicht vereinbar, so Müller. Denn Humus ist ein wertvoller CO2-Speicher.
„Die klimaschädigende Wirkung einer humuszehrenden Bodenpflege ist den wenigsten Winzern bekannt“, so der Experte. Letztlich sei eine zielgerichtete Beeinflussung der Mineralisation das wichtigste Merkmal einer nachhaltigen Bodenpflege.
Höherer Wasserbedarf
Und der Klimawandel? Eine Steigerung der Durchschnittstemperaturen sei seit den 1990er Jahren auch in deutschen Anbaugebieten nachweisbar. Die Erwärmung sei vor allem in den Monaten März bis Mai prägnant – eine Phase, die für die Rebe besonders ausschlaggebend ist. Die Vegetationsphase wird länger, und mit ihr auch der Wasserbedarf. Gleichzeitig verschieben sich die Niederschlagsereignisse bei relativ konstanter Gesamtmenge vom Sommer in den Winter. Die Folge: heißere Sommer mit weniger und sehr ungleich verteiltem Regen.
Müllers Fazit: Ziel müsse ein Bodenpflegesystem sein, das Nährstoffverluste minimiert, den Humusabbau reduziert und ihn durch Humusproduktion vor Ort weitgehend kompensiert. Damit könne man Problemen begegnen, von denen die meisten durch den Klimawandel noch verschärft würden. Und noch ein Trend beschäftigt den Agrarexperten: die ideologische Einteilung von Methoden in Gut und Böse. Mit Frontenbildung komme man in der Sache auf keinen Fall weiter, so Edgar Müller beim Weinbautag in Bensheim.
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