Bergstraße. „Wir fordern acht Prozent und mindestens 350 Euro“, tönte es am Dienstag um die Mittagszeit lautstark immer wieder in der Heppenheimer Wilhelmstraße hinter dem neuen Landratsamt. Gut 200 Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hatten sich dort versammelt, um den Zielen der Arbeitnehmer bei den aktuellen Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst Nachdruck zu verleihen.
Für Dienstag und Mittwoch hat die Gewerkschaft unter anderem Beschäftigte in Südhessen zu Warnstreiks aufgerufen. Im Kreis Bergstraße war dies verbunden mit einem Protestzug durch Heppenheim und einer abschließenden Kundgebung. Mit dabei waren unter anderem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landratsamtes, der Vitos Klinik Heppenheim, der Behindertenhilfe Bergstraße (BHB), der Stadt Lampertheim, der Stadtwerke Viernheim, des Kreiskrankenhauses und verschiedener Kinderbetreuungseinrichtungen.
Rund 150 Streikende setzten sich um kurz nach 10 Uhr an der Vitos-Klinik im Südwesten der Kreisstadt in Bewegung, schwenkten rot leuchtende Verdi-Fahnen und machten mit Trillerpfeifen und Rasseln auch akustisch auf sich aufmerksam. Aus einem fahrbaren Lautsprecher tönte unter anderem lautstark der Song „Revolution“ der Crossover-Rockband H-Blockx. Begleitet und abgesichert von Polizei und Ordnungsamt ging’s dann aber ganz friedlich über die Tiergartenstraße und Mozartstraße in die Innenstadt, wo in der Fußgängerzone noch einmal richtig Krach gemacht wurde.
Forderungen der Gewerkschaft
- Die zweite Verhandlungsrunde der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst am 17. und 18. Februar sind ohne Ergebnis geblieben. Laut Verdi haben die Arbeitgeber kein Angebot unterbreitet.
- Verdi fordert eine Lohnerhöhung von acht Prozent, mindestens 350 Euro im Monat. Auszubildende, Studierende und Praktikanten sollen 200 Euro zusätzlich im Monat erhalten. Es geht auch um Zulagen und Zuschläge für Arbeit zu ungünstigen Zeiten, bezahlte Pausen bei Wechselschichten und Überstundenzuschläge auch bei Teilzeit.
- Gefordert wird außerdem eine unbefristete Übernahme von Auszubildenden und Studierenden in Vollzeit.
- Zum Ausgleich der Arbeitsbelastung drängt die Gewerkschaft auf drei zusätzliche freie Tage im Jahr und ein Meine-Zeit-Konto, das eine höhere Selbstbestimmung der Beschäftigten über ihre Arbeitszeit ermöglichen soll. Gewerkschaftsmitglieder sollen zudem einen zusätzlichen freien Tag erhalten.
- Weitere Forderungen sind unter anderem ein Recht auf Vollzeitbeschäftigung, eine Reduzierung der Höchstarbeitszeit im Rettungsdienst und verlässliche Arbeitszeiten bei Musikschulen.
Auf den hochgehaltenen Transparenten und Schildern konnten die Passanten lesen, wo die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes der Schuh drückt. „Kita – come in & burn out“ und „Kinder brauchen Knete. Wir auch!“ hatten Erzieherinnen auf Plakaten getextet. „Inklusion braucht uns. Wir brauchen gute Arbeit“, stand großen auf einem Banner der Behindertenhilfe. „Alles wird teurer, wir auch, denn Qualität hat ihren Preis“, hieß es auf einem Verdi-Banner.
"Ein Streiktag ist kein Erholungstag - im Gegenteil"
Bis zur Ankunft am Zielort hinter dem Landratsamt hatten sich noch einige Streikende angeschlossen. Karin Harder, Verdi-Geschäftsführerin in Südhessen und Kundgebungsleiterin, bezifferte die Teilnehmerzahl letztlich auf rund 220 Personen. So mancher Gewerkschafter hätte sich mehr erhofft. Jürgen Polom von der Verdi-Betriebsgruppe im Landratsamt schätzte, dass 20 bis 30 Mitarbeiter der Kreisverwaltung mit auf die Straße gegangen waren. Eigentlich seien weitaus mehr seiner Kolleginnen und Kollegen gewerkschaftlich engagiert.
Doch ein Streiktag sei kein Erholungstag. Im Gegenteil: „Wenn ich wieder an meinen Schreitisch komme, ist der voll mit Arbeit, die ich nachholen muss“, stellte er klar. Viele Erzieherinnen und Erzieher müssten sich auf Beschwerden der Eltern in den nächsten Tagen einstellen. Nicht jeder will das. In sozialen Berufssparten kommt noch ein besonderes Verantwortungsgefühl dazu. „Wir lassen die uns anvertrauten Menschen nur ungern alleine“, sagt Frank Meyer, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der BHB. Auf 25 schätzte er die Teilnehmerzahl aus den Reihen des Betriebs.
Bei 430 Angestellten hätten es seines Erachtens noch ein paar mehr sein können. Das Betreuungs- und Versorgungsangebot könne letztlich über Notvereinbarungen immer sichergestellt werden.
Meyer geht insbesondere für bessere Arbeitsbedingungen und eine Attraktivitätssteigerung seines Berufsfeldes auf die Straße. Der Fachkräftemangel mache sich im Arbeitsalltag stark bemerkbar. Es fehle Personal. Dienste könnten nur schlecht besetzt werden.
“Während der Pandemie beklatscht. Und jetzt gibt es nichts“
In die gleiche Kerbe haut auch Renate Scheuermann, Verdi-Vertrauensfrau bei der Vitos-Klinik in Heppenheim. Sie hat den Warnstreik und die Kundgebung in Heppenheim mitorganisiert. „In der Pflege ist das Personal überlastet. Die meisten wollen mehr Freizeit“, sagt sie. Für die unteren Gehaltsgruppen, also beispielsweise das Reinigungspersonal, sei hingegen die geforderte Lohnerhöhung von 350 Euro im Monat besonders wichtig. „Das Krankenhaus-Personal wurde während der Corona-Pandemie beklatscht. Und jetzt gibt es nichts für euch. Das ist ein Skandal“, sagte Karin Harder bei ihrer Rede vor dem Landratsamt.
Ähnliche Probleme bestehen jedoch nicht nur im sozialen Bereich. „Bei uns fehlen 20 Prozent der Mitarbeiter, alleine vier Elektriker“, sagt etwa Daniel Lohbeck, der bei den Stadtwerken Viernheim angestellt ist. Seines Erachtens hängt das mit dem aktuellen Lohnniveau zusammen. „Größere Versorger bieten bessere Konditionen und fischen uns die Leute weg“, sagt er. Die kommunalen Betriebe könnten da nur mit zusätzlichen Leistungen und attraktiveren Arbeitsbedingungen gegensteuern.
Von fehlenden Kollegen und zahlreichen psychisch bedingten Krankheitsfällen berichtete auch Daniel Strieder, Erzieher in einer Kita in Lampertheim. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könnten sich von den immer belastender werdenden Arbeitsbedingungen nicht erholen. Einen richtigen Urlaub könnten sich viele auch ohnehin nicht leisten, da die Urlaubstage an die Schließzeiten der Kitas in den Ferien geknüpft sind.
Speziell für den Bereich Kinderbetreuung gibt es die Forderungen nach dauerhaft reduzierten Öffnungszeiten, einer Möglichkeit zu Qualifizierung von Quereinsteigern und Hilfskräften, einer Entfristung von Arbeitsverhältnissen und einer Attraktivitätssteigerung des Berufsfeldes.
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