Ukrainische Kinder wollen in der Bensheimer Kletterhalle hoch hinaus

Der Lions-Club Bergstraße-Bensheim organisierte in Zusammenarbeit mit dem Familienzentrum Bensheim einen Besuch / Die Trainer betreuten die jungen Gäste kostenlos

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Thomas Tritsch
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Die sieben bis 15 Jahre alten Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine hatten ihren Spaß in der Bensheimer Kletterhalle ... © Thomas Neu

Bergstraße. Höhenangst haben Balja, Maja und Ilja nicht. Konzentriert, aber mit einem Lächeln im Gesicht bewältigen sie den Hochseilgarten auf dem Außengelände der Bensheimer Kletterhalle. Immerhin ist der Parcours bis zu 15 Meter hoch. Gleichzeitig machen die anderen Mädchen und Jungen im Innern der Anlage erste Erfahrungen an der Steilwand – gut gesichert und mit wachem Blick nach oben.

Gut 20 Kinder und Jugendliche zwischen sieben und 15 Jahren wollten jetzt hoch hinaus. Der Lions-Club Bergstraße-Bensheim machte es möglich. In enger Zusammenarbeit mit dem Familienzentrum Bensheim lud der Service-Club Kinder aus geflüchteten Familien zu einem dreistündigen Schnupperkurs ein. Lions-Präsident Matthias Seip hatte beim Kletterhallen-Chef Michael Dreißigacker einen Besuch angekündigt, und der Geschäftsführer der High-Moves sagte nicht nur zu, sondern stellte auch kostenfrei ein vierköpfiges Trainerteam zur Verfügung. „Ehrensache. Wir helfen gerne“, so Dreißigacker beim Anlegen der Sicherungsgurte und den ersten Instruktionen für die jungen Gäste.

Wand scheint „unbezwingbar“

Anna Albrecht vom Familienzentrum fungierte als Übersetzerin: „Keines der Kinder ist bislang in einer Kletterhalle gewesen.“ Umso größer war die Neugier beim Kennenlernen der elementaren Grund- und Sicherungstechniken, die in der Kletterhalle altersgerecht und mit sozialpädagogischer Sensibilität begleitet werden. Auch und vor allem dann, wenn die Steilwand zunächst noch viel zu hoch und unbezwingbar erscheint. „Das ist normal und legt sich in der Regel nach den ersten Versuchen“, so Michael Dreißigacker, der die Gruppe am Montag persönlich betreut hat und auch als Motivator und Ratgeber sehr gefragt war. „Der Anstand gebietet es, dass wir dafür kein Geld nehmen“, so der Sportler bei der Begrüßung unterm Hochseilgarten.

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Beim Lions-Club ist es traditionell so, dass der jeweilige Präsident einen Schwerpunkt des sozialen und gesellschaftlichen Engagements definiert – meist ein Anliegen nennt, das ihm persönlich besonders am Herzen liegt. Past-Präsident Holger Frank, der am Montag ebenfalls vor Ort war, betonte vor allem die Förderung junger Menschen.

Als geschäftsführender Gesellschafter eines international agierenden Ingenieurbüros erlebt sein Amtsnachfolger Matthias Seip die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs sehr unmittelbar, wie er in Bensheim erläutert. Sein Büro unterhält eine Niederlassung in Kiew, in der 16 Mitarbeiter beschäftigt sind. Die Dependance ist derzeit geschlossen, eine Familie mit drei Kindern kam in einem Bensheimer Privathaushalt unter, weitere haben in der Region Schutz gefunden, sie leben außer in Bensheim etwa in Darmstadt und Frankfurt.

Wörterbücher für Familien

Zudem gab es Unterstützung für jene Kollegen, die in den äußersten Westen des von Putin attackierten Landes geflüchtet waren. Für sie wurde ein 40-Tonnen-Lkw mit Hilfslieferungen auf die Reise geschickt. Darüber hinaus hat der Club mit Unterstützung von Seips Büro hundert Wörterbücher für ukrainische Familien drucken lassen, die vom Familienzentrum Bergstraße betreut werden. Aus dem Kontakt ergaben sich dann bald weitere Aktivitäten wie gemeinsame Ausflüge der Familien in den Heidelberger Zoo.

Schon kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar und den darauffolgenden Angriffen hatte sich die Lage vor Ort immer weiter zugespitzt. Stündlich stieg die Zahl der Menschen, die vor der Gewalt in ihrem Heimatland fliehen wollten.

Hilfs-Netzwerk der Lions

Einen Tag nach dem Kriegsbeginn hatte der Governorratsvorsitzende von Lions Deutschland einen Spendenaufruf an die Clubs geschickt und die Aufnahme und Versorgung von geflüchteten Menschen in den Nachbarländern wie im eigenen Land als humanitäre Maßnahmen zu forcieren. Um die Hilfen mittel- bis langfristig effizient aufzustellen, unterstützen die Lions ihre europäischen Partner und fördern die Vernetzung untereinander.

... und im Hochseilgarten, wohin sie der Lions Club Bergstraße-Bensheim eingeladen hatte © Thomas Neu

„Humanitäre Hilfe für die Ukraine wird sicherlich noch lange benötigt werden“, so Matthias Seip, der sich beruflich auf die Standsicherheit von Brückenbauwerken und die geotechnische Qualitätssicherung spezialisiert hat. Im Fokus sind dabei vor allem Fundamente unterhalb der Grasnarbe, wie er in der Kletterhalle betont. Doch ein solider Sockel ist die Voraussetzung dafür, dass beim Zug in die Höhe nichts in Wackeln gerät. Insofern war Seip am Sicherungsseil genau an der richtigen Stelle im Einsatz.

Neben den Kindern und Jugendlichen haben auch einige Mütter dem Reiz der Vertikalen nachgegeben – teils mit beachtlichen Fertigkeiten, die auch von erfahrenen Trainern anerkennend kommentiert wurden. „Klettern ist auch Kopfsache“, so Michael Dreißigacker, der die mentale Komponente des Sports betont. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Eric Otto hat er die Halle 2007 eröffnet. 2013 kam der Outdoor-Hochseilgarten hinzu.

Wöchentliche Treffen

Die Großmutter eines der Kinder freut sich über den Spaß, den die jungen Gäste in Bensheim haben. Noch immer müssten viele Ukrainer wegen der russischen Attacken tagelang in Kellern Schutz suchen. Die Situation zehre enorm an den Nerven, sagt sie. Das Bensheimer Familienzentrum hatte schnell gehandelt, als immer mehr Geflüchtete aus der Ukraine – zum Großteil Frauen mit Kindern – in die Stadt kamen. Seit März fanden wöchentliche Vernetzungstreffen statt, bei denen sich ukrainische Familien kennenlernen und untereinander austauschen konnten. Regelmäßig kamen bis zu 70 Personen, die zumeist privat bei Gastfamilien und in Hotels untergebracht sind. Das neue Umfeld ist auch für Kinder nicht immer einfach zu bewältigen. Viele tasten sich langsam heran.

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Ängste überwinden

So wie in der Kletterhalle. „Step by step!“, sagt Michael Dreißigacker einem neunjährigen Jungen, der noch etwas Scheu vor der Wand mit den bunten Griffen zeigt. Es gehe darum, sich langsam und schrittweise an die Sache zu gewöhnen und so potenzielle Ängste zu überwinden. Auf diese Weise entwickele man ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Das ist auch bei geübten und fortgeschrittenen Sportkletterern ein Schlüssel zum Erfolg. Wer sich einschätzen kann, weiß, wie weit er gehen kann.

Ein Erlebnis besonderer Art

Auch Gleb, Polina und die anderen Kinder lernen die Kletterhalle an diesem Tag aus allen Perspektiven kennen. Die Grenzen, die man sich beim Sportklettern selbst setzt, sind sehr variabel, sagt ein Trainer. Viele Neulinge seien immer wieder überrascht, wie schnell es aufwärts geht, wenn man Vertrauen in Material und seinen Sicherungspartner hat. Für die Kinder aus der Ukraine war der Nachmittag in luftigen Höhen auf jeden Fall ein Erlebnis der besonderen Art.

Freier Autor

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