Bergstraße. „Schnappi“ überraschte die Feuerwehrleute in Biblis, als sie während des Hochwassers Dammwache entlang des kleinen Flüsschens Weschnitz hielten. Da saß die Amerikanische Schnappschildkröte mit ihren stattlichen Ausmaßen am Damm. Weil die Brandschützer nicht recht wussten, was sie mit dem Tier anfangen sollten, hoben sie es mit Hilfe eines Spatens und sicherem Abstand in eine große Transportkiste und nahmen es mit. Einer der Feuerwehrleute war schon öfter bei Tierrettungen mit dabei und entsprechend vorsichtig. Denn Schnappschildkröten können ziemlich unangenehm werden, wenn sie sich bedroht fühlen.
„Wir haben dann den Nabu, das Vivarium in Darmstadt und andere Zoos kontaktiert. Aber keiner konnte uns helfen“, berichtet Kathrin Kocher, Leiterin des Bibliser Ordnungsamts, in deren Büro „Schnappi“ schließlich landete. Hilfe kam dagegen schnell von Kevin Keßler. Der betreibt im südpfälzischen Gossersweiler Stein bei Annweiler eine Auffangstation für Reptilien.
Eineinhalb Stunden nach dem Anruf war er im Bibliser Rathaus und nahm die Schnappschildkröte in Empfang. „Als er das Tier aus der Kiste nahm, hat es angefangen zu fauchen“, sagt Kathrin Kocher und lacht im Nachhinein. In dem Moment sei sie allerdings ziemlich erschrocken, weil sich das Tier zuvor kaum gerührt hatte. Für die schnelle Hilfe ist die Gemeinde dem Südpfälzer sehr dankbar.
Zwei Schnappschildkröten an einem Tag
Für Kevin Keßler war es an diesem Tag schon die zweite Schnappschildkröte, die er in Empfang nehmen durfte. Kurz zuvor hatte er gemeinsam mit Michael Sehr von der Berufstierrettung Rhein-Neckar in Altrip eine Artgenossin gerettet. „Ich war gerade auf dem Rückweg, als der Anruf aus Biblis kam“, erzählt er.
Er drehte sofort um und machte sich auf den Weg nach Südhessen. Bei „Schnappi“ handelt es sich um eine ausgewachsene Schnappschildkrötendame, die Keßler auf etwa 15 bis 30 Jahre schätzt. Aber das lasse sich bei Reptilien alleine durch Äußerlichkeiten nicht genauer einordnen. „Keiner macht bei einem solchen Tier einen Maulabstrich“, sagt Keßler lachend. Denn Schnappschildkröten haben eine enorm hohe Beißkraft, etwa 700 Newton pro Quadratzentimeter.
Die Tiere greifen nur an, wenn sie sicht bedrängt fühlen
Zum Vergleich: Eine Katze beißt mit 50 Newton, ein Löwe oder Tiger mit rund 1500 Newton pro Quadratzentimeter. Da sei absolut Vorsicht geboten, zumal die Tiere einen sehr langen und wendigen Hals haben. Wer da unbedacht am Panzer seitlich zupackt, riskiert tatsächlich seine Finger. Allerdings seien die Tiere im Normalfall ziemlich scheu und griffen nur an, wenn sie sich in die Enge gedrängt fühlten.
Der Panzer von „Schnappi“ ist 35 Zentimeter lang und 28 Zentimeter breit. Das Tier wiegt knapp zehn Kilo. „Männliche Tiere können schon bis zu 30 und 35 Kilo auf die Waage bringen“, sagt Keßler. Aber tatsächlich werden meist Weibchen gesichtet, vor allem im Frühjahr und Sommer. Das hänge sehr wahrscheinlich damit zusammen, dass die Weibchen zur Eiablage vermehrt an Land kämen.
Sichtungen kommen tatsächlich gar nicht so selten vor. Ein „Hotspot“ für Schnappschildkröten befindet sich beispielsweise im Bereich rund um Altrip, weiß der Reptilienexperte. Da habe sich eine größere Population entwickelt, weil einfach alles für die Tiere zusammenpasse: Die Flusstemperatur, die durch das zurückfließende Kühlwasser aus dem Grosskraftwerk leicht erhöht sei, das milde Klima in der Region, kaum noch harte Wintertage, und viele Gewässer wie die Blaue Adria um die Ecke. „Da fühlt sich die Schnappschildkröte richtig wohl“, weiß Keßler.
So kommen Schnappschildkröten in die Region
Zwei bis drei pro Jahr werden dort entdeckt. Sie müssen entnommen werden, weil sie – in Ermangelung von Fressfeinden – eine Gefahr für heimische Tierarten darstellen.
Und wie kommen Schnappschildkröten überhaupt in unsere Gewässer?
„Die gab’s in den 1970er und 1980er Jahren in jedem Tierhandel zu kaufen, allerdings ganz klein“, erläutert der Fachmann. Wenn sie dann größer wurden und fünfmal zugeschnappt hatten, wurde es den Besitzern zu bunt. Dann wurden die Tierchen ausgesetzt. „Und sie haben’s geschafft, sich zu etablieren.“
Seit Ende der 1990er Jahre ist die private Haltung von Schnappschildkröten strengstens verboten. Aber in der freien Natur überleben sie, meist unbeobachtet. „Im Wasser fällt sie nicht auf, selbst wenn man zwei Meter davor steht“, sagt Keßler. Weitere bekannte Hotspots befinden sich bei Böblingen und Freiburg.
Noch viel größer dagegen sind Geierschildkröten, die bringen bis zu 90 Kilo auf die Waage. Deren Biss hat die gleiche Wirkung wie eine Rettungsschere der Feuerwehr. Gerade erst hat ein Spaziergänger ein Exemplar in Weilheim/Teck entdeckt. „Gegen die ist die Schnappschildkröte ein Kleinkind“, so Keßler.
Besuche im Tierheim sind nach Absprache möglich
„Schnappi“ aus Biblis wird die Zeit bis an ihr Lebensende in der Auffangstation in Gossersweiler Stein verbringen, gemeinsam mit einer ganzen Menge weiterer Exoten. Keßler beherbergt im Tierheim seines Tierschutzvereins unter anderem einen Brillenkaiman, zwei Grüne Leguane, einen Schwarzweißen Teju, eine Königspyton sowie viele Land- und Wasserschildkröten. Wer sich die Reptilien anschauen möchte: Besuche sind nach Absprache möglich.
Es gibt keine regulären Öffnungszeiten. Keßler gilt bei Behörden und in Fachkreisen als ausgewiesener Experte für Reptilien. Der gelernte Goldschmied und Versicherungskaufmann gab seinen Job auf, machte die Sachkundeprüfung für Reptilien, wobei ihm seine Ausbildung als tiermedizinischer Fachangestellter sehr entgegenkam. Seitdem kümmert er sich als „hauptberuflich Ehrenamtlicher“ um Reptilien, besucht Schulen und begeistert die Menschen für seine Schützlinge.
Info: Infos unter www.auffangstation-reptilien.de
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