Tierschutz

Regen erschwert Arbeit der Rehkitzretter an der Bergstraße

Im Jahr 2024 wurden bereits über 300 Kitze im Kreis Bergstraße gerettet. BA-Redakteurin Angela Schrödelsecker hat die Rehkitzretter begleitet - und dabei einiges erlebt. Alle Infos, Bilder und ein Video gibt es hier.

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Angela Schrödelsecker
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Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Geiß Zwillinge setzt. Die beiden werden ganz vorsichtig mit Handschuhen und Gras von der Fundstelle in die Box gesetzt. Dort sind sie in Sicherheit bis der Bauer mit der Arbeit fertig ist. © Rehkitzrettung Rhein-Neckar

Bergstraße. Es ist ein furchtbarer Anblick, wenn ein Rehkitz durch das Mähwerk eines Traktors verletzt oder auch getötet wird. Rund 100 000 Kitze erleiden bundesweit jedes Jahr dieses Schicksal. Das Problem ist, dass frisch gesetzte Kitze, so wird es bezeichnet wenn Rehe Nachwuchs zur Welt gebracht haben, noch keinen Fluchtinstinkt haben. Instinktiv versteckt die Geiß, die Mutter, ihren Nachwuchs im hohen Gras auf der Wiese.

Dort ist es, solange es noch nicht mobil ist, vor natürlichen Feinden, wie Raubvögeln, gut geschützt. Die Natur hat aber nicht mit dem Mähwerk eines Traktors gerechnet. Wenn die Maschine anrückt, bleiben die Kitze instinktiv regungslos liegen und werden dann überfahren.

Die Mutter, Geiß oder auch Ricke genannt, versteckt ihren frisch gesetzten Nachwuchs im hohen Gras und da bleibt er regungslos liegen. © Rehkitzrettung Rhein-Neckar

Der Landwirt, insbesondere der Fahrer des Traktors, ist nach dem Tierschutzgesetz dafür verantwortlich, dass er keinem Tier unnötiges Leid zufügt – das Mähen einer Wiese, die Mahd, gilt nicht als Grund. Deshalb drohen Geld- und sogar Freiheitsstrafen. Es liegt also in der Verantwortung der Landwirte, dass die Kitze geschützt werden. Oft werden sie dabei von den Jagdpächtern unterstützt, die ebenfalls für den Schutz der Tiere in ihrem Gebiet mitverantwortlich sind.

Bislang haben Landwirte und Jagdpächter mit Unterstützung der Bevölkerung die Wiesen zu Fuß nach Kitzen abgesucht. Das große Problem war aber die Fehlerquote. Die Geiß versteckt ihre Kitze so gut, dass man sie kaum sieht, selbst wenn man einen halben Meter neben dem Nachwuchs steht. Also trotz aufwendiger Absuche kam es doch immer wieder zu „vermähten“ Kitzen.

Mit so einer Drohne mit Wärmebildkamera wird gesucht. © asch

Der technische Fortschritt kommt den Kleinen jetzt zugute. Denn mithilfe von Drohnen und Wärmebildkameras können sich die Kitze im Gras vor den Augen der Menschen nicht mehr verstecken. An der Bergstraße ist die Rehkitzrettung Rhein-Neckar der Ansprechpartner für Jagdpächter und Landwirte. Die Drohnenpiloten des Vereins fliegt seit rund vier Jahren die Wiesen in der ganzen Region ab und holen gemeinsam mit vielen Helfern die Kitze fachgerecht vor dem Mähen aus der Wiese.

Die Einsätze der Rehkitzretter beginnen bereits vor Sonnenaufgang

Wenn man ein Team der Rehkitzrettung begleiten möchte, sollte man kein Langschläfer sein. Denn: Für ein zuverlässiges Ergebnis darf die Sonne den Boden, die Pflanzen und Steine noch nicht erhitzt haben. Nur so erhält der Drohnenpilot von der Wärmebildkamera ein klares Bild und sieht den Unterschied zwischen einem lebenden Tier, ein Kitz hat etwa 35 Grad Körpertemperatur, und einem Erdhügel beispielsweise.

So startet die Rehkitzrettung auch an diesem Sonntagmorgen bereits um 5 Uhr in Heppenheim. Um 8 Uhr geht es weiter in Bensheim. Hier stehen die Wiesen von Peter Hörr auf dem Plan. Es sind neun Flächen mit 13,5 Hektar. Hörr ist Bauer im Nebenerwerb, betreibt die Landwirtschaft mit seinen beiden Brüdern und dem Vater. „Es ist mir wirklich wichtig, die Kitze zu schützen. Außerdem ist es auch gefährlich für meine Rinder, wenn ich ihnen Heu füttere, in dem ein Tier verendet ist.“

So sieht das Wärmebild aus, das die Kamera liefert. © Rehkitzrettung RN

Der Vater steht auch schon mit Traktor bereit während Drohnenpilot Markus Trost mit konzentriertem Blick das Wärmebild auf dem Bildschirm vor sich beobachtet. Es ist viel grau zu sehen und immer wieder ein weißer Punkt. Weiß bedeutet, dass sich hier etwas Wärmeres als die Umgebungstemperatur befindet. Wenn Trost so etwas entdeckt, unterbricht er den programmierten Flug der Drohne, steuert das Fluggerät auf ein paar Meter runter und schaut sich das Realbild an.

Manchmal ist es eindeutig, ob es sich um ein Kitz handelt, manchmal ist es unklar. So wie jetzt auf dieser Wiese. Wenn der Drohnenpilot der Meinung ist, da könnte etwas sein, dann schickt er die Helfer, die sogenannten Runner, los. An diesem morgen sind es Birgit Kraus und Geena Hebgen. Sie schnappen sich eine Kiste und machen sich auf den Weg zu der Stelle, wo sich ein Kitz befinden könnte. Über ein Walkie Talkie kommunizieren sie mit Trost, der sie routiniert über die Wiese lotst.

Tatsächlich ist der weiße Fleck kurz hinter einem Zaun – auf der anderen Seite ist eine Koppel auf der Pferde stehen und der weiße Fleck entpuppt sich als ein Haufen Pferdeäpfel. „Tja, so etwas passiert auch mal,“ schmunzelt Trost. „Wir holen übrigens nicht nur Rehkitze aus den Wiesen. Wir holen auch junge Hasen oder die Nester, die Gelege, von Enten oder Fasanen raus. Wir haben auch schon eine flugunfähige Sumpfohreule gerettet. Diese Tiere würden dem Mähwerk ebenfalls zum Opfer fallen. Grundsätzlich helfen wir allen Tieren,“ so Trost.

Dabei ist aber wichtig, dass die Rettung der Tiere Menschen mit entsprechenden Kenntnissen überlassen wird. „Gelege lassen wir entweder stehen und sperren in einem Radius von fünf Metern für die Mahd ab oder sorgen dafür, dass die Eier fachgerecht ausgebrütet werden.“ Kitze haben in den ersten Wochen keinen Eigengeruch. Wenn ein Mensch sie berührt, übernehmen sie dessen Geruch und werden von der Mutter verstoßen.

Auch der Nachwuchs anderer Tierarten wird gerettet. © Rehkitzrettung RN

Deshalb arbeiten die Rehkitzretter immer mit Handschuhen und setzen das Tier mit Gras aus unmittelbarer Umgebung der Fundstelle in die graue Box. Diese Box wird gut in der Nähe versteckt. Auf der Box ist ein großer Zettel, dass das Kitz nicht freigelassen werden darf. Es würde direkt zurück in die Wiese springen und dann dem Mähwerk zum Opfer fallen. Solche Fälle gab es leider bereits, in denen Spaziergänger das rufende Kitz vermeintlich retten wollten.

Boxen mit den Kitzen sollte man auf keinen Fall öffnen

Ist der Landwirt fertig mit seiner Arbeit, wird das Kitz an einer geschützten Stelle in die Freiheit entlassen. Die Geiß wartet meist in der Nähe und nimmt es dann wieder an. Deshalb auch der Aufruf an alle Spaziergänger: Die Box in Ruhe lassen und sollte man ein Kitz irgendwo alleine antreffen, dann nicht anfassen, sondern den zuständigen Jagdpächter informieren. Das ist der Experte, der einschätzen kann, ob und welche Hilfe gebraucht wird.

Wer so eine Box sieht, soll einfach nichts tun. © asch

An diesem Sonntag in der zweiten Junihälfte in Bensheim sind auf den Weiden von Bauer Hörr keine frisch gesetzten Kitze im Gras versteckt. Zwei Rehe sind zu sehen, die sich aber rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Die Rehkitzretter sind allein in Bensheim an diesem Tag zur dritt über drei Stunden unterwegs. Sie leisten diese Arbeit neben ihren Jobs ohne Bezahlung im Ehrenamt. In der Saison waren alle Ehrenamtlichen zusammen bisher rund 1000 Stunden im Einsatz und überflogen in der Region von Sinsheim bis Zwingenberg fast 1400 Hektar.

Über 300 Menschen engagieren sich bei der Rehkitzrettung

Helferin Kraus arbeitet im Hauptberuf in einem Steuerbüro. Sie ist seit letztem Jahr dabei und inzwischen Kassenwartin des Vereins. „Wir haben aktuell rund 320 Mitglieder, davon sind etwa ein Drittel passive und zwei Drittel aktive Mitglieder, die sich auf verschiedensten Wegen einsetzen.“ Ihre Mitstreiterin Hebgen ist Studentin an der Ludwigshafener Hochschule. Darüber erfuhr sie auch, dass Drohnenpiloten gesucht werden. Sie ergriff die Chance, die Drohenlizenz A1/A3 zu machen und seit dieser Saison hilft sie mit. Man spürt, dass beide mit großem Engagement dabei sind.

Landwirt Peter Hörr (rechts) zeigt Drohnenpilot Markus Trost wo seine Fläche liegt. Die Drohne fliegt dann die programmierte Route exakt ab. © asch

Peter Hörr fährt mit seinem Quad vorneweg von Fläche zu Fläche, zwei Autos mit dem Equipment und den Rehkitzrettern hinterher. Es sind teilweise schwierig zu befahrene Feldwege, es gibt Momente, da bangt man um Unterboden des Fahrzeugs und auch darum, ob man aus dem Schlammloch wieder rauskommt. Am Ende kommen die Retter aber überall an und leben auch mit den Stechmücken, die sie während ihrer Arbeit attackieren. Der Vater von Peter Hörr kann aber nun alle Wiesen zeitnah an die Drohnenflüge abmähen – und das mit einem guten Gefühl.

Die Rehkitzretter sind etwa zwei Monate pro Jahr im Einsatz

Am nächsten Tag müssen alle wieder sehr früh aufstehen. Um fünf Uhr gehts weiter. So ist das für die Rehkitzretter von Ende April/Anfang Mai bis etwa Mitte Juli. Dann sind die letzten Kitze gesetzt und groß genug, um vor dem Mähwerk zu flüchten. An diesem Montag Morgen geht es für Markus Trost mit Jörg Hänssler und Christian Zimmermann im Bensheimer Stadtteil Schwanheim weiter. Der Jagdpächter Ferdinand Stichter hat die Rehkitzretter gerufen.

Er ist überzeugt von den Wärmebildkameras. Er hat sich vor etwa sechs Jahren selbst eine Drohne angeschafft. Doch seine Technik sei längst nicht so gut gewesen wie die Kameras der Rehkitzretter: „Die meisten Kitze werden in meinem Gebiet in den Wald gesetzt, wir haben wenige Kitze auf den Wiesen. Dennoch ist man beruhigt, wenn man weiß, dass der Landwirt arbeiten kann ohne einem Tier Leid zuzufügen. Wir arbeiten zusätzlich noch mit akustischen Geräten, so dass die Geiß am Abend vorher Gefahr für ihr Kitz befürchtet und den Nachwuchs woanders hinbringt.“ Stichter betont, dass es seine Verpflichtung als Jagdpächter sei, die Tiere zu schützen.

Die Sonne geht auf: Ab 5 Uhr morgens stehen die Drohnenpiloten Markus Trost (rechts) und Jörg Hänssler bereits auf dem Feld. © asch

Trost und Hänssler sind beide Drohnenpiloten und haben über die A1/A3 Lizenz hinaus auch das A2 Fernpilotenzeugnis. Mit dem A1/A3 Kompetenznachweis muss man sich mit der Drohne 150 Meter von Wohnbebauung fernhalten. Die Rehkitzretter bekamen vom Luftfahrtbundesamt für ihre Einsätze bis zum Herbst aber eine Ausnahmegenehmigung erteilt – sonst könnten sie manche Wiesen gar nicht absuchen. Mit dem Fernpilotenzeugnis dürfen sich Trost und Hänssler auch ohne diese Genehmigung Wohnbebauung nähern.

Während die beiden die Bilder von der Kamera an der Drohne auswerten, wartet Landwirt Christoph Schweickert geduldig auf die Freigabe sein Feld zu mähen. „Es war bislang wirklich ein schwieriges Jahr. Es hat sehr viel geregnet, so dass wenige Zeitfenster blieben, um das Gras zu mähen. Dafür darf es nicht zu nass sein und es braucht, je nach Verwendungszweck, auch ausreichend Zeit zu trocknen.“

Lesen Sie auch: Darum sollte man sich einem Rehkitz auf keinen Fall nähern

Er lobt die gute Zusammenarbeit, trotz der Herausforderung: „Ich finde es super, dass sich alle so einsetzen – und das in ihrer Freizeit um diese Uhrzeit. Da warte ich mit dem Mähen auch mal einen Tag bis die Drohne alles abgeflogen hat.“ Da die Rehkitzrettung wegen des Wetters gerade viele Anfragen gleichzeitig bekommt und nur zehn Drohnen für Einsätze von Sinsheim bis an die Bergstraße zur Verfügung stehen – und dann auch immer ausreichend Helfer Zeit haben müssen – mussten auch Einsätze schon abgesagt werden.

Das sind die Momente, in denen sich die Arbeit auszahlt. Das ist eines von über 300 Kitzen, die 2024 nicht dem Mähwerk zum Opfer fielen. © Rehkitzrettung RN

In Schwanheim sind die Wiesen, für die Stichter die Rehkitzrettung rief, jedenfalls frei von Kitzen und werden, so wie es empfohlen wird, auch direkt abgemäht – bevor doch ein Kitz möglicherweise in die Wiese abgelegt wird.

Aber damit ist der Einsatz für Trost, Hänssler und Zimmermann an diesem Montag noch nicht vorbei. Die Jagdpächter-Familie Tilger – bestehend aus drei Generationen von Tochter über Vater bis zum Opa – aus Heppenheim-Hambach hat das Team gerufen: „Die Menschenketten, mit denen wir früher gesucht haben, waren nicht zuverlässig. Und wir wollen kein Tier, das durch ein Mähwerk verletzt wurde, von seinem Leid erlösen müssen. Das ist furchtbar.“

Es sind allerdings die schöne Momente, an die alle gerne zurückdenken. Für Helfer Christian Zimmermann, der in diesem Jahr das erste Mal dabei ist und schon zehn Kitze aus Wiesen holte, ist es der Augenblick, wenn die Geiß ihr Kitz nach der Trennung wieder annimmt. Und Drohnenpilot Hänssler strahlt über das ganze Gesicht, wenn er erzählt, was es für ein tolles Gefühl war, das erste Mal einem frisch gesetzten Kitz, das einen mit großen Augen anblickt, das Leben zu retten. Der Verein verlangt für die Einsätze übrigens kein Geld.

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Die Drohnen werden mit 60 Prozent vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert, der Rest der Unkosten wird über Spenden getragen, die natürlich auch von den Landwirten und Jagdpächtern immer gerne angenommen werden. Ein Drohnen-Set kostet etwa 7000 Euro. Vor Ort sind die Ehrenamtlichen mit ihren privaten Fahrzeugen unterwegs und zahlen auch die Spritkosten aus eigener Tasche.

Bei den Einsätzen in Bensheim und Heppenheim in diesen Tagen musste kein Kitz gerettet werden. Alle waren schon so mobil, dass sie sich rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Aber auch das gibt den Helfern, den Landwirten und den Jägern ein gutes Gefühl – denn kein Kitz im Einsatzgebiet musste Leid erfahren. Damit kann man doch beruhigt den Rest des Tages angehen und zur Arbeit fahren.

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