Proteste

Wenn die schweigende Mehrheit ihre Stimme erhebt

Mehr als 4000 Menschen kamen am Sonntag zusammen, um gegen die AfD, Rassismus und Ausgrenzung zu demonstrieren

Von 
Anna Meister
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Manfred Forell vom „Bündnis Demokratie und Zivilcourage Vielfalt. Jetzt“ und viele weitere Rednerinnen und Redner sprachen in Heppenheim zu mehr als 4000 Demonstranten. © Thomas Neu

Heppenheim. Es war für viele Menschen ein heilsames Erlebnis: Mit bunten Plakaten, auf denen Sprüche wie „die schweigende Mehrheit ist hier“ geschrieben standen, versammelten sich mehr als 4000 Bergsträßerinnen und Bergsträßer im Graben vor dem Landratsamt in Heppenheim, um ihre Stimmen geschlossen gegen den Rechtsruck in unserer Gesellschaft zu erheben.

„Wir sind wirklich überwältigt, dass so viele Menschen gekommen sind“, resümiert Manfred Forell vom „Bündnis Demokratie und Zivilcourage Vielfalt. Jetzt!“. Die Initiative hatte gemeinsam mit dem Verein „Fabian Salars Erbe – für Toleranz und Zivilcourage“ federführend zu der friedlichen Kundgebung aufgerufen. Mit rund 500 Teilnehmern hatte Forell gerechnet – der Einladung folgten am Ende achtmal so viele Menschen, wie der zuständige Einsatzleiter der Polizei Heppenheim mitteilte. Zudem hatten sich mehr als 40 Initiativen, Verbände, Institutionen und Vereine dem Aufruf angeschlossen.

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„Menschenrechte sind nicht verhandelbar“, betonte Hanne Kleinemas vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) Bergstraße. Sie moderierte die Veranstaltung und kündigte die einzelnen Beiträge an. Gleich zu Beginn machte Kleinemas deutlich, dass es bei der Kundgebung ausdrücklich nicht darum gehe, auf parteipolitischen Ansichten zu beharren, sondern zu Geschlossenheit gegen rechts zu zeigen. „Die Bergstraße ist bunt und sie wird es auch bleiben. Demokratiefeindliches Gedankengut hat hier keinen Platz und Kundgebungen wie diese müssen ein Auftakt zu etwas sein, das über Lippenbekenntnisse hinausgeht.“

Rassistische und antisemitische Angriffe gegen Menschen

„79 Jahre ist es her, dass das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde. Und es ist eine Schande, dass wir nun wieder über Deportationen sprechen“, sprach Manfred Forell zu den Demo-Teilnehmern. Dieser Umstand sowie rassistische und antisemitische Angriffe gegen Menschen, die in Deutschland leben, zeigten, dass das Grundgesetz nicht von allen Bürgern geachtet werde. Viel mehr noch: „Dieses Denken ist in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen.“ Wenn eine Partei zeige, dass sie sich nicht für die Achtung der Menschenrechte einsetze, dann sei das die AfD mit ihren Schuldzuweisungen und ihren billigen Strategien. Natürlich sei in den vergangenen Jahren viel Vertrauen in die Politik verloren gegangen – „eine Partei, die unsere Demokratie nach ihren Vorstellungen umzubauen versucht, ist aber keine Alternative.“

Kein Zurück zur Vergangenheit. © Thomas Neu

Die AfD müsse man auf der einen Seite mit guten politischen Argumenten bekämpfen. Gleichzeitig forderte Forell aber eingehend, ein Verbotsverfahren gegen die Partei einzuleiten. „Und wenn am Ende nur erreicht wird, dass die Parteienfinanzierung gestoppt wird, so wäre auch das ein Erfolg.“ Denn der Staat solle nicht seine eigene Abschaffung mitfinanzieren.

Nicht als Mitglied der CDU sondern in seiner Funktion als Landrat trat auch Christian Engelhardt vor die Teilnehmer. „Es geht beim Kampf gegen den Rechtsruck um unser Land und unsere Freiheit. Die Demokratie ist zwar nicht die einfachste, aber in meinen Augen die beste Staatsform. Hier ist es auch wichtig, dass wir die Ängste der Menschen nicht wegignorieren. Aber völkisches Gedankengut zu verbreiten überschreitet eine Grenze, die mich anwidert.“ Wer der Auffassung sei, er verpasse „denen da oben“ mit seiner Stimme für die AfD einen Denkzettel, der werde ihn am Ende nur selbst kassieren.

An deser Stelle wandte sich Engelhardt an die Menschen mit Migrationshintergrund, die im Kreis Bergstraße leben: „Sie können sicher sein, dass sie hier sicher leben können, egal, woher Sie kommen. Remigration wird es nicht geben.“

eine Basis zu schaffen, auf der Solidarität wachsen könne

„Zu lange haben sich so viele Menschen in der Defensive gesehen. Es tut einfach gut, euch alle hier versammelt zu sehen. Umso wichtiger ist es nun, dass wir alle uns zu unserem Grundgesetz und unserem Sozialstaat bekennen“, so der Vorsitzende des DGB Heppenheim, Franz Beiwinkel. Dabei gehe es um viel mehr, als den Fokus nur auf die Spaltungsabsichten der AfD zu legen.

Auch Seidenbuch ist Antifa. © Thomas Neu

Um eine Basis zu schaffen, auf der Solidarität wachsen könne, sei es wichtig, Antworten auf zentrale soziale Fragen zu finden. Etwa darauf, wie die Verteilung des Wohlstandes in Deutschland gerechter werden kann. „Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Es gibt zu viel Armut in diesem Land. Und Armut kann nicht die Grundlage einer solidarischen Gesellschaft sein.“

Der Staat müsse in der Lage sein, die Forderungen nach Gerechtigkeit und Chancengleichheit umzusetzen. In seiner Funktion als Stadtverordneter Heppenheims schob Beilwinkel hintenan: „Wir haben bei der letzten Kommunalwahl geschafft, dass die AfD nicht im Stadtparlament vertreten ist – und das muss auch so bleiben.“

Das eigene Handeln hinterfragen

Ein Sprecher von Fridays for Future Bensheim teilte, nachdem er zunächst einige Burufe für eine Bemerkung gegenüber Landrat Engelhardt – es seien auch CDU-Mitglieder auf dem rechten Geheimtreffen in Potsdam gewesen – kassiert hatte, die Erfahrungen, die seine Bewegung bei Protesten gesammelt hat: „Demonstrationen alleine reichen nicht aus. Das wird keinen AfD-Wähler von seiner Gesinnung abbringen. Wichtiger ist, dass wir unser eigenes Handeln immer wieder hinterfragen. Denn jeder von uns trägt gewisse Vorurteile in sich, mit denen wir aufgewachsen sind. Wir dürfen sie nicht ignorieren, sondern müssen kritisch mit ihnen umgehen. Am Ende definieren uns nicht unsere Gedanken, sondern unser Handeln.“

Klare Botschaft – einfache Worte. © Thomas Neu

Viel Applaus erntete der Redebeitrag von Lea Würsching. Die Schulsprecherin am Goethe-Gymnasium Bensheim begeisterte das Publikum mit ihrem Wortwitz, ohne dass sie dabei den Ernst der Lage aus den Augen verlor. So habe Alice Weidel einmal in einem Interview gesagt, sie sei nicht queer. Sie sei nur seit 20 Jahren mit einer Frau zusammen. „Ich habe zum Beispiel auch keine langen Haare – sie sind einfach nur nicht kurz.“

Würsching selbst habe das Glück, nicht von Rassismus betroffen zu sein. „Genau mit dieser ,Was mich nicht betrifft, ist mir egal Mentalität´ haben wir es bei den AfD-Wählern zu tun.“ Die Schülerin machte klar, dass eine Stimme für die AfD eine Stimme für den Faschismus und kein Ausdruck von Protest sei. „Wir können Intoleranz nicht mehr länger mit Toleranz begegnen.“

Proteste, die in ganz Deutschland stattfinden, dürfen "keine Eintagsfliege" bleiben

„Die Correctiv-Recherchen, die Auslöser für die Protestwelle im ganzen Land sind, bilden nur die Spitze des Eisbergs“, ist sich Salome Saremi-Strogusch vom Verein Fabian Salars Erbe sicher. Sie bat das Publikum darum, sie nicht falsch zu verstehen, wenn sie sage, dass sie enttäuscht sei, dass so lange niemand auf die Straßen gegangen sei.

Als postmigrantische Frau stehe sie für das „bunt“ auf den Plakaten. Die anstehenden Landtagswahlen im Osten Deutschlands im Blick bemerkte sie: „Wenn man damit rechnen muss, dass die AfD wohl Rekordwerte erzielen wird, dann muss man sich fragen, ob uns die Erinnerung an die Vergangenheit wirklich so präsent ist, wie wir glauben möchten. Wir müssen uns über die politischen Lager hinweg verbinden. Denn nie wieder ist jetzt!“

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So wohltuend der Anblick von 4000 gleichgesinnten Menschen für die Organisatoren und Organisatorinnen auch war, so deutlich machten die Redner auch, dass die Proteste, die aktuell im ganzen Land stattfinden, keine Eintagsfliege bleiben dürfen. Wir müssen jeden Tag für die Demokratie einstehen und sie in unserem Alltag verteidigen. Dazu gehört es auch, am Tisch mit der Familie, am Arbeitsplatz oder im Verein klare Kante gegen Rassismus und jene Kräfte zu zeigen, die die freiheitliche demokratische Ordnung in Deutschland zerstören wollen.

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