Rettungsdienst

Der Kreis appelliert, die 112 nur bei Notfällen anzurufen

Im Pressegespräch anlässlich des bevorstehenden Tages der Notfallmedizin ging es darum, dass in vielen Fällen der Hausarzt oder Bereitschaftsdienst die erste Anlaufstelle sind.

Von 
Jörg Keller
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Bereits 16 791 Einsätze des Rettungsdienstes gab es in den ersten vier Monaten des Jahres im Kreis Bergstraße. © DPA

Bergstraße. Am kommenden Montag (27. Mai) ist der europäische Tag der Notfallmedizin. Doch längst nicht jede medizinische Indikation ist tatsächlich auch ein Notfall, bei dem Betroffene unter 112 den Rettungsdienst herbeirufen sollten.

Das betonte Landrat Christian Engelhardt bei einem Pressegespräch im Vorfeld des Aktionstages. Denn viel zu häufig würden Bürger die Nummer wählen, wenn sie nur eine vergleichsweise harmlosere Erkrankung haben.

Rund 18 000 Notrufe in den ersten vier Monaten des Jahres

„Zahlreiche eingehende Anrufe führen letztlich nicht zu einem Einsatz“, sagt Markus Stracke, stellvertretender Leiter der Abteilung Gefahrenabwehr im Kreis. Rund 18 000 Notrufe wurden in den ersten vier Monaten des Jahres gezählt, 500 mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Zahl der Anrufe auf der 112 liegt noch um ein Vielfaches höher. Rettungsdienst-Einsätze gab es von Januar bis April 16 791. In den ersten vier Monaten 2023 waren es 16 330.

So wird man Kat-Retter

Bei der Rettung von Menschen zählt oft jede Minute. In vielen Notsituationen oder Krisenlagen können Freiwillige mit ihren unterschiedlichen Kenntnissen und Fähigkeiten mithelfen. Kat-Retter ist ein System für freiwillige Ersthelfer. Per App werden diese über ihr Smartphone informiert, wenn es in ihrer näheren Umgebung zu einem Notfall kommt. Ihre Aufgabe ist es nun, lebensrettenden Sofortmaßnahmen einzuleiten – etwa eine Herz-Lungen-Wiederbelebung–, bis der Rettungsdienst vor Ort ist.

Im Kreis Bergstraße wurde das System zum Jahresbeginn 2023 freigeschaltet. In der Testphase konnten sich zunächst medizinische Fachkräfte und Einsatzkräfte der Gefahrenabwehrorganisationen registrieren. Neu ist seit diesem Jahr: Jeder Bürger kann zum potenziellen Lebensretter werden, wenn er einige wenige Voraussetzungen erfüllt. Dazu gehören: Mindestalter 18 Jahre, Erste Hilfe Kurs (nicht älter als zwei Jahre), regelmäßige Fortbildung in Erster Hilfe. Die Teilnahme erfolgt auf freiwilliger Basis. Eine Vergütung oder Entschädigung beispielsweise für Verdienstausfälle ist nicht vorgesehen.

Aktuell haben sich nach Angaben von Alexander Kreitner (Qualitätssicherung Rettungsdienst im Kreis Bergstraße) bereits 460 Helfer registriert. Bislang habe es 249 Alarmierungen gegeben. Bei rund jedem zweiten Einsatz sei auch ein Kat-Retter vor Ort gewesen.

Erstaunlich angesichts der Tatsache, dass die Helfer schnell reagieren müssen. Viel Zeit zum Überlegen bleibt nicht. Innerhalb von 30 Sekunden muss der Einsatz angenommen werden. Angezeigt wird, wie schnell man zu Fuß oder per Rad zum Einsatzort gelangen kann. Auch eine Navigation ist integriert.

Wer Interesse hat, kann sich über die Webseite www.kreis-bergstrasse.de unter dem Punkt Gefahrenabwehr informieren und anmelden. kel

Ein Großteil der Anrufer wird weitervermittelt, etwa an den Ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Nummer 116 117. Die Notrufnummer 112 ist nämlich ausdrücklich nur für Fälle vorgesehen, wenn es um Leben und Tod geht – bei schweren Unfällen, Schlaganfällen oder Herzinfarkten beispielsweise. „Dann darf natürlich jeder den Notruf nutzen.

Aber keine sollte ihn missbrauchen“, sagt Engelhardt. „Bei allen Fällen von Husten, Schnupfen und Heiserkeit sind der Hausarzt oder der ärztliche Bereitschaftsdienst unter 116 117 die richtigen Ansprechpartner“, sagt Marc Häffner.

"Eine Hausapotheke gehört in jeden Haushalt"

Der Facharzt für Allgemeinmedizin und Notfallmedizin ist ärztlicher Leiter beim Rettungsdienst im Kreis Bergstraße. Viele Familien seien zu Hause auch gar nicht mehr auf die Behandlung kleinerer Wehwehchen vorbereitet. „Manche Eltern sind heutzutage schon überfordert, wenn ein Kind mal Fieber bekommt“, weiß Häffner aus Erfahrung.

In jedem Haushalt sollte eine mit notwendigen Verbandsmaterialien und Medikamenten bestückte Hausapotheke vorhanden sein. Und zumindest ein- bis zweimal im Leben sollte jeder Bürger den zumeist im Rahmen der Führerscheinprüfung absolvierten Erste-Hilfe-Kurs auffrischen.

Informierten über die Notfallmedizin im Kreis Bergstraße: (v.l.) Markus Stracke (stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung Gefahrenabwehr), Marc Häffner (Facharzt für Allgemeinmedizin und Notfallmedizin/ ärztliche Leitung Rettungsdienst), Landrat Christian Engelhardt und Alexander Kreitner (Qualitätssicherung Rettungsdienst). © Thomas Zelinger

Dass es für viele Menschen in der heutigen Zeit nicht so einfach ist, einen Termin beim niedergelassenen Arzt zu bekommen, ist Marc Häffner – selbst Hausarzt – durchaus bewusst. Gäbe es mehr Praxen vor Ort, wäre das Problem der ungerechtfertigten Notrufe sicherlich nicht so gravierend, sagt er auf Nachfrage dieser Zeitung. „Wir im Kreis Bergstraße können den demografischen Wandel jedoch nicht alleine bekämpfen“, ergänzt der Landrat.

Eindringliche Bitte, das Notfallsystem nicht zu missbrauchen

Obwohl die medizinische Versorgung im Alltag vor diesem Hintergrund in so manchen Fällen nicht immer befriedigend erscheinen mag, plädieren die Verantwortlichen eindringlich, das Notfallsystem nicht zu missbrauchen, um beispielsweise schneller eine medizinische Behandlung zu erhalten. Und das gelte nicht nur für voreilige Anrufe bei der 112.

„Es ist auch wenig zweckmäßig, mit kleineren Leiden in die Kliniken zu fahren“, sagt Marc Häffner: „Das verstopft letztlich das System.“ Auch medizinische mache es für Patienten nur wenig Sinn. Hausärzte hätten zumeist eine sehr gute Ausbildung und eine größere Erfahrung als viele junge Mediziner, die in ihren ersten Jahren in Kliniken beschäftigt sind.

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Dass es für viele Menschen gar nicht so einfach ist, bei den verschiedenen medizinischen Angeboten den Überblick zu behalten, ist den Verantwortlichen durchaus bewusst. So ist der zentrale Ärztliche Bereitschaftsdienst im Kreis Bergstraße zwar in der Nähe des Kreiskrankenhauses zu finden. Grundsätzlich handelt es sich jedoch um zwei unabhängige Institutionen.

Und demnächst könnte noch eine weitere Versorgungsform hinzukommen. In einigen Pilotregionen in Deutschland werden derzeit sogenannte Notfallpraxen getestet, wurde bei dem Pressegespräch thematisiert. Die speziell dafür ausgestatteten Praxen könnten als Anlaufstelle bei schwereren akuten Erkrankungen dienen, bei denen ein Rettungsdienst-Einsatz noch nicht vorgesehen ist. Das könnte nach Einschätzung von Christian Engelhardt aber auch Nachteile haben. Denn die meisten Hausärzte seien jetzt schon überlastet.

Über die Notaufnahme

  • Auf seiner Webseite informiert das Kreiskrankenhaus Bergstraße, wann ein Anruf beim Rettungsdienst unter 112 gegebenenfalls angebracht ist.
  • Gründe sind etwa: Bewusstlosigkeit oder erhebliche Bewusstseinstrübung, Verdacht auf Schlaganfall, schwere Atemnot, starke Brustschmerzen, starke Blutungen, schwere Unfälle, Vergiftungen, schwere Verbrennungen, Ertrinkungsunfälle, Stromunfälle, Suizidversuche aller Art, Krampfanfälle (epileptische Anfälle), plötzliche Geburt oder Komplikationen in der Schwangerschaft, akute und anhaltende stärkste Schmerzzustände.
  • Der Ärztliche Bereitschaftsdienst ist demnach zuständig bei: Erkältung mit Fieber (auch höher als 39 Grad), Brechdurchfall, starke Hals- oder Ohrenschmerzen, akute Harnwegsinfekte, kleinere Schnittverletzungen, bei denen ein Pflaster nicht mehr reicht, akute Rückenschmerzen, akute Bauschmerzen. red

Redaktion Redakteur, Ressorts Lorsch, Einhausen und Region

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