Bergstraße. Etwa 850 Millionen Menschen leiden weltweit an einer chronischen Nierenkrankheit. Wird sie nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, kann das schwerwiegende Folgen bis hin zum Versagen des Organs haben. Für das Jahr 2040 wird vorausgesagt, dass die chronische Nierenkrankheit die fünftwichtigste Ursache für den Verlust von Lebensjahren sein wird. Das heißt, es müssen Strategien zur Früherkennung entwickelt werden – insbesondere bei den Risikogruppen. Zum Weltnierentag am 13. März sprachen wir mit den beiden Nephrologen Prof. Dr. Bernhard Krämer und Lars Nagelmann von den Zeropraxen.
Welche Aufgaben hat denn die Niere in unserem Körper?
Lars Nagelmann: Die Niere kontrolliert den Wasserhaushalt in unserem Körper, so dass weder zu viel noch zu wenig Wasser im Körper ist. Die Niere entgiftet unseren Körper und hält die Elektrolyte, also Natrium und Kalium, in unserem Haushalt stabil. Ein zu hoher Kaliumspiegel kann im schlimmsten Fall Herzrhythmusstörungen oder auch einen Herzstillstand verursachen. Die Niere ist für die Blutbildung zuständig und produziert ein Hormon, das die Blutbildung anregt: das so genannte Erythropoetin. Das ist auch bekannt durch die Dopingskandale, vor allem im Radsport.
Bernhard Krämer: Die Niere bildet auch viele weitere für den Körper wichtige Stoffe, sie aktivieren zum Beispiel Vitamin-D, welches für den Kalzium-Phosphat-Stoffwechsel verantwortlich ist, aber auch das Renin, das ein wichtiger Parameter für den Blutdruck ist.
Was kann man für gesunde Nieren tun?
Krämer: Das, was andere Organe auch mögen, das mag auch die Niere. Dazu gehört vor allem ein guter Blutdruck und gute Blutzuckerwerte. Wenn da Probleme sind, ist es wichtig, dass hier gut eingestellt wird. Auch Übergewicht kann den Nieren schaden. Da können schon zehn Kilogramm weniger Gewicht einen messbaren positiven Effekt haben. Wenn Sie eine Nierenerkrankung haben, ist Rauchen doppelt schädlich, sowohl für die Nieren als auch für die Blutgefäße.
Vita Prof. Dr. Bernhard Krämer
- Prof. Dr. Bernhard Krämer ist Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie im Fachärztlichen MVZ Bergstraße. Er studierte Medizin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seine Facharztweiterbildung absolvierte er an der Universitätsklinik Tübingen.
- Krämer war viele Jahre Direktor der V. Medizinischen Klinik (Nephrologie, Hypertensiologie, Endokrinologie, Diabetologie, Rheumatologie, Pneumologie) der Universitätsmedizin Mannheim. Zuvor war er Direktor der Medizinischen Klinik I, Marienhospital Herne, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum. Zudem verantwortete er den Aufbau und die Leitung der Abteilung für Nephrologie, Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Regensburg sowie des dortigen Transplantationszentrums.
- Krämer engagiert sich in Verbänden, Stiftungen und Institutionen, unter anderem als Vorsitzender des Stiftungsrates der Deutschen Hypertonie Stiftung (DHS), als Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat und Stiftungsrat der Deutschen Nierenstiftung, als Mitglied im erweiterten Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) sowie ehemals als Vorstandsmitglied der Deutschen Hochdruckliga (DHL), Generalsekretär der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) sowie Sprecher des Zentrums für Seltene Erkrankungen (ZSE) in Mannheim.
Nagelmann: Von der Ernährung her empfiehlt sich eine salzarme, mediterrane Kost und keine übermäßige Eiweißzufuhr – damit meine ich die Eiweißmast mit Eiweißpulvern zum Beispiel zum Muskelaufbau. Wichtig ist auch, auf die freiverkäuflichen Schmerzmittel wie Ibuprofen und Diclofenac hinzuweisen. Ich sehe in der Praxis auch Menschen, die Nierenschädigungen dadurch haben. Vor einem übermäßigen Einsatz ist auf jeden Fall abzuraten.
Krämer: Diese Schmerzmittel sind Medikamente, die die Prostaglandine hemmen. Die sind im Wesentlichen dazu da, um Gefäße zu erweitern und wenn das blockiert wird, dann kann das temporär oder auch auf Dauer die Nieren schädigen. Wichtig ist bei der Einnahme dieser Mittel viel zu trinken, dass man nicht dazu noch ausgetrocknet ist. Das bringt mich zum nächsten wichtigen Punkt: Das Trinken. Gerade ältere Menschen, die möglicherweise schon Herzprobleme haben oder eben auch Schmerzmittel nehmen, müssen besonders im Sommer viel trinken. Flüssigkeitsmangel kann zu einem akuten Nierenversagen führen, was bei wiederholtem Auftreten eine dauerhafte Nierenschädigung zur Folge haben kann.
Nagelmann: Glücklicherweise verfügen die Nieren über eine relativ hohe Überkapazität. Deshalb kann man eine gesunde Niere spenden und hat trotzdem noch normale Nierenwerte.
Wie viel Flüssigkeit empfehlen Sie denn einem gesunden Menschen pro Tag zu trinken?
Krämer: Es gibt da unterschiedliche Empfehlungen. Ich sage, 1,5 bis 2 Liter täglich und das ist vernünftig. Wenn jemand viel im Warmen draußen unterwegs ist, dann entsprechend mehr. Andererseits gilt aber auch: Wer 5-10 Liter am Tag trinkt, kann damit eine kranke Niere nicht wieder gesund machen.
Was sind denn gängige Erkrankungen an der Niere?
Krämer: Nierenschäden bei Zuckerkrankheit, hohem Blutdruck und Übergewicht, aber auch bei einer Herzschwäche – das ist hier Alltag in der Praxis. Es gibt aber auch Autoimmunerkrankungen, die die Niere befallen. Zu den vererbbaren und damit angeborenen Nierenerkrankungen zählen beispielsweise Zystennieren. Wir betreuen auch Patienten mit einer Nierentransplantation, die auf Grund von Abstoßungsreaktionen eine Nierenschädigung erleiden können.
Wenn ich zu einer Risikogruppe gehöre, was ist dann zu beachten?
Krämer: Wichtig ist, wenn ich weiß, dass ich zu einer Risikogruppe gehöre, dass regelmäßig Laboruntersuchungen durchgeführt werden, um den Nierenwert, den Kreatininwert, zu bestimmen. Gleichzeitig sollte die Eiweißausscheidung im Urin gemessen werden, weil das ein wichtiger Schädigungsmarker ist. Es gibt in der Zwischenzeit viele Behandlungsmöglichkeiten für Patienten, für die man früher wenig tun konnte. Entscheidend ist vor allem, den erhöhten Blutdruck zu senken, dazu dienen beispielsweise altbekannte Mittel wie ACE-Hemmer. Auch Medikamente, die gegen Blutzucker helfen, senken nachweislich die Nierenschädigung und sogar die Sterblichkeit bei Risikopatienten.
Nagelmann: Eine Nierenerkrankung ist per se immer auch ein Risikofaktor für Gefäßverkalkungen. Da sollte man einen Blick auf das Cholesterin werfen. Dieses kann man mit der Ernährung nur begrenzt senken, da gehören Medikamente meist zur Basistherapie.
Bei welchen Symptomen merke ich denn, dass ich ein Problem habe?
Krämer: Das heimtückische bei Nierenerkrankungen ist, dass sie meist stumm verlaufen. Das ist nicht wie beim Nierenstein, da hat der Patient eine schmerzhafte Kolik. Meistens bemerkt man die Schädigung nur indirekt, beispielsweise wenn der Blutdruck sich erhöht, man blass wird (bei Blutarmut), der Urin schäumt oder Blut darin ist. Am häufigsten nimmt der Patient die Folgeschäden erst wahr, wenn die Erkrankung schon relativ weit fortgeschritten ist. Deshalb sind regelmäßige Untersuchungen essenziell – besonders für Risikogruppen. Nur so können wir Nierenerkrankungen frühzeitig erkennen und behandeln.
Nagelmann: Erst das späte Stadium einer geschädigten Niere führt zu Symptomen. Bei einer Nieren-Vergiftung sind das Übelkeit, Erbrechen, Juckreiz am ganzen Körper – ein Zeichen dafür, dass die Nierenfunktion bereits stark eingeschränkt ist. In den meisten Fällen bleibt dann nur noch die Nierenersatztherapie.
Was bedeutet die Nierenersatztherapie?
Nagelmann: Da gibt es drei Arten. Das ist zum einen die Hämodialyse, bei der das Blut der Patienten drei Mal die Woche in einem Dialysezentrum mithilfe einer Maschine „gewaschen“ wird. Bei der Bauchfell-Dialyse dagegen wird über einen kleinen Schlauch eine sterile Flüssigkeit in die Bauchhöhle geleitet. Die Giftstoffe aus dem Blut wandern in diese Flüssigkeit, die nach etwa vier Stunden wieder abgelassen und durch frische ersetzt wird. Das ist eine sehr elegante Methode, weil der Patient sie allein zuhause durchführen kann – aber es besteht natürlich eine große Eigenverantwortung.
Die dritte Nierenersatztherapie ist dann die Nierentransplantation eines nahen Verwandten (oder engen, langjährigen Freundes) als Lebendspende oder als postmortale Spende eines Organspenders. Und die Transplantation ist auch das Mittel der Wahl mit der besten Perspektive. Sobald ein Patient dialysepflichtig wird, beginnt bereits die Wartezeit für ein Organ. Die Wartezeit liegt bei den Jüngeren im Schnitt zwischen sechs und neun Jahren.
Vita Lars Nagelmann
- Lars Nagelmann ist nephrologischer Leiter im Zeropraxen Fachärztlichen MVZ Bergstraße.
- Nagelmann studierte Medizin an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Er ist Facharzt für Innere Medizin und Facharzt für Nephrologie sowie Lipidologe (DGFL). Seine Facharztausbildungen absolvierte er am Diakonissenkrankenhaus Mannheim, Universitätsklinikum und Nierenzentrum Heidelberg sowie bei den Zeropraxen in Mannheim.
- Zu seinen Behandlungsschwerpunkten gehören alle Formen der Nierenersatztherapie, darunter Hämodialyse, Bauchfelldialyse (Peritonealdialyse) sowie Nierentransplantation, die Betreuung von Patienten vor und nach Transplantation, Diagnostik und Therapie systemischer und spezifischer Nierenerkrankungen sowie die Abklärung von Bluthochdruck (Hypertonie). Auch die Prävention und Behandlung von Fettstoffwechselstörungen aller Art gehört zu seinen Schwerpunkten.
Bei älteren Patienten gibt es spezielle old-for-old-Programme, die dann auch von älteren Menschen ein Organ bekommen können. Da geht es meist deutlich schneller. Da hatte ich Patienten, bei denen eine Transplantation schon nach einem Jahr erfolgte. Bei den Jüngeren hofft man immer erst mal auf die Möglichkeit einer Lebendspende aus der Familie.
Was genau ist denn eine Dialyse?
Nagelmann: Die brauchen wir, wenn die Niere ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen kann – zum einen bei der Entgiftung des Körpers, aber auch bei der Ausscheidung. Bei der Hämodialyse übernimmt eine Maschine diese Funktion: Das Blut wird über einen Filter gereinigt, überschüssige Flüssigkeit entzogen und auch der Natrium- sowie Kaliumhaushalt reguliert. Jede Dialyse wird dabei individuell auf den Patienten abgestimmt. Wir können die Niere allerdings nicht komplett ersetzen, aber dennoch ist sie das einzige Organ, das man mit überschaubarem Aufwand zumindest teilweise ersetzen kann – das geht bei Herz oder Lunge nicht.
Wie gut stehen denn meine Chancen als Patient, wenn ich an die Dialyse muss?
Krämer: Die Lebenserwartung, das muss man sagen, ist in Summe sogar schlechter als bei Dickdarmkrebs beispielsweise. Viele sind sich nicht bewusst, was eine Dialyse für Folgen mit sich bringt – auch wenn es weltweit sehr viele Menschen gibt, die seit über 20-30 Jahren eine Dialyse erhalten. Die meisten Nierenkranken sind auch schon älter und bringen schon eine Reihe von Vorerkrankungen mit. Deshalb versuchen wir, die Dialyse schon im Vorfeld zu vermeiden, indem wir zum Beispiel den Blutdruck und den Blutzucker kontrollieren und richtig einstellen. Manchmal gibt es aber auch komplizierte Krankheitsbilder, da dauert es eine Weile, bis die Patienten zu uns kommen und wir tätig werden können. Frühzeitige Diagnosen sind hier einfach wichtig, denn wenn die Niere geschädigt ist, dann geht es meist nur noch um die Erhaltung des Status Quo. Nur in seltenen Fällen kann man die Funktion wieder deutlich verbessern.
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