Verbrechen

Ein neues Mahnmal an der Odenwaldschule als Ort der Trauer

Vor dem Gelände der ehemaligen Odenwaldschule wird am kommenden Montag ein Denkmal für Missbrauchsbetroffene enthüllt.

Von 
Stefanie Ball
Lesedauer: 
Das Mahnmal – hier eine Visualisierung – stammt von Adrian Koerfer. Am Montag wird es vor dem Gelände der ehemaligen Odenwaldschule enthüllt. © Adrian H. Koerfer Idee und Entwurf/Visualisierung by Willen Associates Architekten

Ober-Hambach. Die Scham der Opfer war der Schutz für die Täter. „Wir wurden von den Herrschaften in die Betten geholt, um diese zu befriedigen“, erzählt Adrian Koerfer. Die Herrschaften – das waren die Lehrer und Lehrerinnen an der Odenwaldschule, einem einstigen Eliteinternat im Heppenheimer Stadtteil Ober-Hambach. Die Opfer waren Schüler wie Koerfer, die kaum begriffen, wie ihnen geschah. So schwiegen sie über das unfassbare Leid, viele zerbrachen daran. Bis zu 900 Betroffene soll es geben, die zwischen 1966 und 1989 an der Schule, die sich für ihre Reformpädagogik lobte, sexuellen Missbrauch und sexualisierte Gewalt erfahren haben.

Nun soll ein Mahnmal an den Skandal erinnern. Am kommenden Montag, 18. November, wird es im Beisein der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, vor dem Gelände der ehemaligen Schule enthüllt. Geschaffen hat es Adrian Koerfer. Er gehört zu den Betroffenen und war maßgeblich am Aufklärungsprozess beteiligt.

Die Opfer begleitet das Geschehen bis heute

Publik wurde der Skandal Ende der 1990er Jahre, als zwei ehemalige Schüler in einem Brief an die Schulleitung von der sexualisierten Gewalt berichteten. Es sollte aber noch Jahre dauern, ehe die Öffentlichkeit das ganze Ausmaß des systematischen Missbrauchs begriff. 2015 meldete die Odenwaldschule in Folge der Aufdeckung des Skandals Insolvenz an, seitdem ist sie Geschichte. Die Opfer begleitet das Geschehen bis heute. „Das Mahnmal soll ein Ort des Gedenkens und des Trauerns sein“, sagt Adrian Koerfer.

Dabei solle es nicht nur um die Opfer des Missbrauchsskandals an der Odenwaldschule gehen, sondern um alle von sexualisierter Gewalt betroffenen Kinder und Jugendlichen. „Das Thema ist nach wie vor ein Tabuthema, die Gesellschaft weiß viel zu wenig davon und schaut immer noch viel zu häufig weg“, so Koerfer. Eine Jury hatte sich für das aus drei Stahlplatten bestehende Werk entschieden, die übergroße Türblätter darstellen sollen, an deren oberen Enden, unerreichbar für Kinder und Erwachsene, sich Türklinken befinden. Dass das Werk von Adrian Koerfer, also einem Betroffenen stammt, wusste nach Aussage von Koerfer die Jury nicht. Finanziell unterstützt wird das Projekt vom Land Hessen, das 40 000 Euro bereitstellt, dem Kreis Bergstraße, der 15 000 Euro beisteuert, sowie der Stadt Heppenheim, die die Pflege des Werks übernimmt. Und auch der Bund steht hinter dem Vorhaben.

Der Skandal

1998 machten ehemalige Schüler den systematischen sexuellen Missbrauch durch Lehrkräfte an der 1910 gegründeten Odenwaldschule im hessischen Heppenheim publik, doch die Schulleitung mauerte. Erst im Zuge der Aufdeckung der Missbrauchstaten am Berliner Canisius-Kolleg begann ein Aufklärungsprozess, der allerdings maßgeblich von Betroffenen vorangetrieben wurde.

Eine Untersuchung zur Gewalt an der Odenwaldschule spricht von fünf Haupt- und Intensivtätern, darunter Gerold Becker, jahrelang Direktor des Internats. 2010 starb Becker, ohne sich jemals für seine Taten strafrechtlich verantworten zu müssen. Darüber hinaus hat es laut Untersuchung weitere Täter gegeben, darunter einige Frauen. Die Zahl der Opfer wird mit bis zu 900 oder sogar 1000 angegeben.

Schilderungen über Missbrauchstaten gab es bereits früh, Eltern nahmen die Erzählungen ihrer Kinder jedoch nicht ernst und Lehrkräfte schwiegen. Zwei Untersuchungen werfen zudem staatlichen Jugendämtern und Schulbehörden vor, ihre Aufsichtspflicht verletzt zu haben. sba/ü

In einer Stellungnahme betont die Unabhängige Beauftragte, dass es wichtig sei, an die Verbrechen an der Odenwaldschule zu erinnern. „Das Mahnmal steht für die Anerkennung des Unrechts und die Verantwortung, die wir alle tragen, um Kinder und Jugendliche zu schützen“, erklärt Kerstin Claus. Sie freue sich deshalb, dass die Errichtung des Mahnmals durch die hessische Landesregierung gefördert und auf kommunaler Ebene unterstützt wurde, aber auch dass der neue Besitzer des Areals diesem Mahnmal zugestimmt hat. Erstmalig sei es damit in übergreifender Zusammenarbeit gelungen, einen öffentlichen Ort des Erinnerns zu schaffen.

Die neuen Besitzer des Areals sind die Eigentümer der Mannheimer Werbeagentur Schaller und Partner. Aus der ehemaligen Schule, die aus verschiedenen Gebäuden bestand, ist ein Wohnpark geworden; das größte Gebäude, das so genannte Goethehaus, wird zum Hotel umgebaut und soll 2025 eröffnen.

Es gibt bereits ein Denkmal auf dem früheren Schulgelände

Unumstritten ist das neue Mahnmal allerdings nicht. Seit Koerfer die Initiative angestoßen hat, gibt es Kritik von anderen Betroffenen, speziell dem Verein Glasbrechen e.V. Den Verein haben Opfer nach Bekanntwerden des Skandals an der Odenwaldschule gegründet, Koerfer gehörte mit zu den Gründungsmitgliedern. Denn es gibt bereits ein Denkmal, auf dem Gelände der ehemaligen Schule, es wurde 2010 aufgestellt Koerfer argumentiert, dass dieses sich auf privatem Gelände befände, seinerzeit nicht als Mahnmal konzipiert worden sei und keinerlei öffentliche Befürworter gehabt habe.

Mehr zum Thema

Verbrechen

Missbrauchsfälle in Nordbaden mit Bezug zur Odenwaldschule

Veröffentlicht
Von
Stefanie Ball
Mehr erfahren
Erinnerung

Ein Mahnmal für die Missbrauchsopfer der Odenwaldschule

Veröffentlicht
Von
bib/ü
Mehr erfahren
Erinnerung

Ein Mahnmal für die Odenwaldschule nach Missbrauchsskandal

Veröffentlicht
Von
mbl/ü
Mehr erfahren

Die jetzige Vorsitzende von Glasbrechen, Sabine Pohle, hält dagegen: „Wir hätten uns gewünscht, dass das Mahnmal, für das solche Summen zur Verfügung gestellt wurden, einen deutlich sichtbareren Standort bekäme.“ Der Wirkungskreis wäre größer gewesen, wenn die Skulptur beispielsweise in Wiesbaden stehen würde. In Ober-Hambach, also auf dem Gelände der ehemaligen Schule, gebe es mit dem Denkmal von 2010 bereits einen Gedenkort. „Da braucht es, zumindest aus unserer Sicht, kein zweites.“

Freie Autorin

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger

VG WORT Zählmarke