Ober-Hambach. Rund neun Jahre nach Schließung der ehemaligen Odenwaldschule im Heppenheimer Stadtteil Hambach wird sie diesen Sommer wohl noch einmal die Schlagzeilen dominieren. Im Positiven, sofern der Kontext diese Zuordnung erlaubt.
Der seit den Neunzigern, aber so richtig erst 2010 aufgedeckte Skandal des jahrzehntelangen systematischen Missbrauchs von Schülern hatte erschütternde Wirkung.
Das viel zu lange Verborgene soll nicht mehr in Vergessenheit geraten. Dafür steht das Projekt eines Mahnmals gegen sexuellen Missbrauch, was es bundesweit so noch nicht gibt und voraussichtlich noch diesen Sommer errichtet werden soll. Nachdem das Land Hessen diese Woche eine Unterstützung des Vorhabens in Höhe von 40 000 Euro zusagte, hat diese Zeitung bei Koordinator Matthias Wilkes um Einordnung und Perspektive gebeten.
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In seine Amtszeit als Landrat des Kreises Bergstraße (2003 bis 2015) fallen das Aufkommen des Grauens sowie der letztlich über Insolvenz und Schließung gescheiterte Versuch eines schulischen Neuanfangs. Der Ruf war dahin, die Last zu groß. Aus damaliger Verantwortung heraus zieht Wilkes eine fortwährende, und er wird nicht müde, die Pflicht zur Erinnerung hochzuhalten.
Die pädagogisch begleitet sein und nicht nur durch eine Stele leben soll. Dankbar ist der das Vorhaben seit Jahren Koordinierende für die Bereitschaft des heutigen Eigentümers, dem Raum zu geben auf privatem Grund. Was er nicht müsste, aber stattdessen sogar „an zentraler Stelle“ zulässt.
Das Gelände um die Odenwaldschule soll keine Schaulustigen anlocken
Dort, wo seit 1910 Unterricht und Leben in einer Einrichtung stattfanden, die Vorbildcharakter, sogar eine Ausnahmestellung innehatte, entstehen nun Miet- und Ferienwohnungen für bis zu 300 Menschen.
Im Sinne des Denkmalschutzes so saniert, dass der einzigartige Charakter des vom großen Baumeister Heinrich Metzendorf entworfenen Gebäude-Ensembles bewahrt bleibt. Schon in der Kernstadt weisen Schilder auf den „Wohnpark Ober-Hambach“ hin, nicht mehr wie früher zur Odenwaldschule Ober-Hambach (OSO). Die Straße heißt noch so, die in den Ort hineinführende nach OSO-Gründer Paul Geheeb. Durchgang und Durchfahrt sind grundsätzlich untersagt, das Areal soll keine Schaulustigen anlocken.
Ein Gebäude rechts hat noch ein Gerüst; es geht voran, und Altes bleibt. Bald ergänzt durch ein Kunstwerk, dessen Gestalt und Gestaltung eine Jury schon vor Jahren entschied. Keine stilisierte Person, sondern eine abstrakte Figur, die den Bezug aber sehr wohl herstelle, erklärt Wilkes. Zu etwas, das bis heute unfassbar scheint: Rund 900 Missbrauchsfälle gelten als erkannt, mindestens elf ehemalige Schüler haben sich später das Leben genommen.
Sehr viel Missbrauch, gerade von Kindern und Jugendlichen, geschieht im privaten Umfeld. Auch die OSO als Internat, samt Hauskonzept, in dem Schüler und Lehrer zusammenlebten, galt als besonders geschützter Bereich.
Institutionen wie die Bundes-Missbrauchsbeauftragte oder die hessische Kinderrechtsbeauftragte, mit denen Wilkes immer wieder im Austausch ist, begrüßen ausdrücklich, was in Heppenheim beharrlich vonstattengeht. Um wachzurütteln.
Nach erteiltem Zuschuss soll nun zunächst das Fundament errichtet werden, wozu Bürgermeister Rainer Burelbach (CDU) den städtischen Bauhof-Trupp zur Verfügung stellt, und anschließend das Kunstwerk selbst, für dessen Herstellung etwa drei Monate veranschlagt sind. „Vielleicht vor den Sommerferien“, gibt Wilkes einen vorsichtshalber vagen, aber von Zuversicht geprägten Ausblick, soll es dann soweit sein. Wichtig bleibt, wie Matthias Wilkes betont, es nicht beim Errichten und bei Worten zu belassen.
Eine Erinnerungskultur nach sich ziehen und Lernprozesse anstoßen soll das, was eine Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Odenwaldschule im Stadtteil Hambach unerwartet und getarnt zutage brachte. „Wer weiß“, gibt Wilkes zu bedenken, immer noch bestürzt, „wann oder ob je alles herausgekommen wäre“ – ohne die Jubiläumsfeier, die manche aufwühlte und unpassend schien. Niemand hat gesprochen – oder wurde gehört. Lange ging das so, aber nicht ewig.
Prominente wie Schriftsteller Klaus Mann oder Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit besuchten die OSO, die reformpädagogisch Eliten formte und sich familiär gab.
Auch das Land Hessen habe bei dem Missbrauchsskandal in seiner Schutzfunktion versagt, so Sozialminister Kai Klose (Grüne) zur Förderzusage und unterstrich: Das Mahnmal sei „ein wichtiger Baustein der Erinnerungskultur, kein Ersatz für das bereits bestehende.“ mbl/ü
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