Südhessen. 2024 wird vielen auch als Jahr der Bauernproteste in Erinnerung bleiben. Mit Protestfahrten und anderen Aktionen wehrten sich die Landwirte unter anderem gegen die Abschaffung der Energiesteuerrückerstattung für Agrardiesel sowie gegen die Aufhebung der Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Maschinen und die überbordende Bürokratie. Gut ein Jahr später stehen erneut Traktoren vor der Gernsheimer Stadthalle: „Gesetze und Regeln ohne Verstand. Erst stirbt der Bauer, dann das Land!“, steht auf einem Protestschild zu lesen. Drinnen beginnt derweil die 70. Landwirtschaftliche Woche Südhessen. Längst ist nicht alles gut für die landwirtschaftlichen Betriebe. Noch immer fühlt man sich zu wenig gesehen, zu wenig wertgeschätzt und im Vergleich zu den Bauern in anderen EU-Ländern benachteiligt, das wird schnell deutlich.
Der Besucherandrang ist groß. Aus ganz Südhessen sind Landwirte angereist, das Land Hessen hat zahlreiche Politiker ausgesandt. Höchster Besucher ist der Hessische Minister für Landwirtschaft und Umwelt, Weinbau, Forsten, Jagd und Heimat. 28 Jahre lang hat Dr. Willi Billau die AG Landwirtschaftliche Woche Südhessen geleitet, in diesem Jahr übernahm diesen Job erstmals Axel Strauß.
Herausforderungen habe es immer gegeben, so Strauß in seiner Begrüßungsansprache. Aber heute erschienen diese „größer denn je und kaum zu bewältigen“. Die Landwirtschaft befinde sich in einem ständigen Wandel und die Familienbetriebe würden stets versuchen, sich anzupassen. Doch vonseiten der Politik werde „zu wenig langfristig“ gehandelt und oft nicht gut genug nachgedacht. Es fehle überall an Wissen – sowohl bei den Verbrauchern als auch in der Politik.
Strauß nannte mit den Überschwemmungen und der Afrikanischer Schweinpest (ASP) die außergewöhnlichen Herausforderungen für die südhessischen Landwirte dieser Tage. „Wir alle wissen, wie dramatisch so eine Situation für die betroffenen Betriebe ist. Wir stehen an eurer Seite“, versprach er, wohl wissend, dass Worte allein keinem nutzen.
Sorgen bereite den Bauern auch das Düngegesetz und der Wolf
Hans Trumpfheller, seit 2024 Vorsitzender des Regionalbauernverbandes Starkenburg, sprach von „etlichen Schicksalsschlägen“ im vergangenen Jahr für die Landwirte der Region. Das Hochwasser, der Ausbruch der ASP im Juni 2024. Ein weiteres Problem: Das Verbandsgebiet liege inmitten zweier Metropolregionen, die immer weiter wachsen. Immer mehr landwirtschaftliche Fläche werde gebraucht für Straßen, Gewerbeansiedlungen und Wohnungsbau. Sorgen bereite den Bauern auch das Düngegesetz und der Wolf. „Befreien Sie uns von der überbordenden Bürokratie“, appellierte auch Trumpfheller an die anwesenden Politiker. Der Vorsitzende des RBV endete mit einem Zitat von Adelbert von Chamisso aus dem 19. Jahrhundert: „Denn wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot.“
Karsten Schmal, Präsident des Hessischen Bauernverbandes, griff das Thema ASP auf. Bei der Bekämpfung der Tierseuche sei auch die große Bevölkerungszahl ein Problem: „Du kannst nicht alles einzäunen, was du willst.“ Als die Tierseuche im Sommer 2023 ausgebrochen sei, seien Fehler gemacht worden. Als konkretes Beispiel nannte er, dass die Bauern das Getreide nicht ernten durften, die Gemeinde Groß-Rohrheim aber ein Geocaching mit 1200 Leuten durchgeführt habe.
Wirtschaft, Landwirtschaft und Agrarpolitik stünden vor einem Wendepunkt. Die Politik dürfe nicht nur in Legislaturperioden denken: „Wir Bauern müssen langfristig planen.“ Wenn ein Landwirt in einen neuen Stall Geld investiere, dann müsse er die Gewissheit haben, dass er diesen nicht wegen neuer Bestimmungen für viel Geld bald wieder umbauen muss.
Schmal forderte die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EU, eine starke gesamteuropäische Agrarpolitik. Es dürfe nicht sein, dass der Agrardiesel überall in Europa subventioniert werde, nur in Deutschland nicht. Biodiversität und Naturschutz ja, aber „ohne Verbotspolitik“. Auch die Bevölkerung habe diese Überregulierung satt. Und er forderte ein Umdenken in Sachen Biogas, eine Art der Energiegewinnung, die „von der letzten Bundesregierung völlig vernachlässigt wurde“. Man sei auf Obst und Gemüse aus dem Ausland angewiesen: „Wir brauchen Lösungen, wie wir hier mehr produzieren können.“ Auch auf ASP und die Maul- und Klauenseuche (MKS) ging er ein: Durch den Ausbruch der MKS seien bereits jetzt Märkte weggebrochen. Für Schweinehalter sei die Schweinepest nicht nur wirtschaftlich eine Katastrophe, sondern auch emotional: „Das macht etwas mit einem.“
Landwirtschaftsminister Ingmar Jung ging auf den ein oder anderen Punkt ein. Er sensibilisierte die Bauern, bei der Bekämpfung der ASP mitzuwirken und aufmerksam nach Verdachtsfällen zu schauen, um schnell handeln zu können. Er sieht die Nord-Ausbreitung der Tierseuche gestoppt, auch durch die schnellen und unbürokratischen Maßnahmen, etwa den Zaunbau. Bevor es Sommer werde, müssten die Schwarzwildbestände immens reduziert werden, das sei die „Kernaufgabe“ der nächsten Phase.
Den Leidtragenden von Hochwasserereignissen habe man mit einem Notfallprogramm geholfen
Derzeit werde ein Programm aufgelegt, um Landwirte in der Zone 3, die besonders betroffen seien und deren Existenz gefährdet sei, besser zu entschädigen. Jung unterstrich, dass man weg müsse von all zu viel Bürokratie, dass man zur Erkenntnis gelangen müsse, den Landwirten mehr zu vertrauen, dass diese „mehr Ahnung haben als irgendwelche Politiker“. Der Minister räumte ein, dass es keine echte Wettbewerbsfähigkeit sei, wenn einzig die deutschen Landwirte für den Agrardiesel tiefer in die Tasche greifen müssen.
Den Leidtragenden von Hochwasserereignissen habe man mit einem Notfallprogramm geholfen. Derzeit werde an einer Mehrgefahrenversicherung für Landwirte gearbeitet, die für die Bauern auch wirtschaftlich sei. Im Moment werde noch diskutiert, ob man Dürreschäden mit hinein nehme oder nicht. „Wir müssen sie in die Lage versetzen, sich wirtschaftlich sinnvoll abzusichern.“ Wenn man das hinbekomme, dann sei es die unternehmerische Entscheidung eines jeden Einzelnen, das zu tun. Wer sich dann nicht versichert, dürfe im Schadensfalls jedoch „nicht glauben, dass allen anderen solidarisch den Schaden übernehmen“.
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