Wirtschaft

In Bergsträßer Firmen fehlt es an Mitarbeitern

Unternehmen beklagen massiven Personalmangel

Von 
Thomas Tritsch
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Sommer-Pressekonferenz der Wirtschaftsförderung Bergstraße (WFB) mit (von links) der stellvertretenden WFB-Geschäftsführerin Dagmar Cohrs, dem Beiratsvorsitzenden Jürgen Gromer (zugleich Aufsichtsratsmitglied der WFB), Geschäftsführer Matthias Zürker und Landrat Christian Engelhardt, WFB-Aufsichtsratsvorsitzender. © Thomas Neu

Bergstraße. Die Luft am Personalmarkt wird dünner. Durch den sukzessiven Abschied der geburtenstarken Jahrgänge und weniger Nachwuchs von unten öffnet sich eine Lücke, die kaum zu schließen ist. Gleichzeitig rangiert der Bedarf an guten Bewerbern nach wie vor auf hohem Niveau. „Es gibt viel mehr Stellen zu besetzen als Kandidaten zur Verfügung stehen“, so Landrat Christian Engelhardt beim traditionellen Sommer-Pressegespräch der Wirtschaftsförderung Bergstraße (WFB). Der Aufsichtsratsvorsitzende erkennt ein riesiges Problem, das sich nicht auf einzelne Sparten beschränkt, sondern alle Bereiche betrifft – in den Unternehmen ebenso wie in der öffentlichen Verwaltung.

Die Beschäftigungszahlen im Kreis steigen nach einer kleinen Corona-Delle im Jahr 2020 wieder an. Im Sommer 2021 gab es rund 77 500 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer. Beim Verlauf der Arbeitslosenquote zeichnet sich eine gegenteilige Entwicklung ab: Nach einem Anstieg im ersten Jahr der Pandemie zeigt die Kurve wieder nach unten und liegt gegenwärtig bei 3,5 Prozent. Das ist deutlich weniger als in den benachbarten Landkreisen.

Der Großraum Rhein-Neckar-Karlsruhe bleibt eine Boom-Region, so der WFB-Geschäftsführer Matthias Zürker im Viniversum der Bergsträßer Winzer eG. Doch beim Blick auf die sonnigen Heppenheimer Weinberge wurden auch die Schattenseiten der wirtschaftlichen Entwicklung angesprochen: Die aktuellen Herausforderungen heißen Fachkräftemangel und Digitalisierung. Dies seien die großen Themen der Zeit, die auch bei der WFB als Schwerpunkte der nächsten Jahre definiert sind.

Alte Zöpfe abschneiden

Die regionale Wirtschaft sei bislang relativ gut durch die Krise gekommen, müsse sich jetzt aber dringend mit den prominenten Zukunftsfragen auseinandersetzen, um dauerhaft gesund bleiben zu können. Um sich perspektivisch personell wie strukturell gut zu positionieren, müsse man aber auch kreativ und mutig genug sein, um alte Zöpfe abzuschneiden.

„Politik und Wirtschaft müssen sich von manchen Standards verabschieden“, so Christian Engelhardt. Durch die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung ganzer Tätigkeitsbereiche würden manche Berufsfelder verloren gehen, während andere davon kaum oder gar nicht tangiert werden. Beispielhaft nannte Engelhardt die Bereiche Pflege und Gesundheit sowie – in ihrem elementaren pädagogischen Fundament – auch die Sparten Bildung und Kinderbetreuung. Hier komme es darauf an, die personelle Situation am Bedarf auszurichten und dabei in puncto Qualifikation ein gewisses Maß an Flexibilität walten zu lassen. Es sei besser, ein Angebot machen zu können, als es durch scharfe Vorgaben in Frage zu stellen.

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Gleiches gelte für die Bereiche Wohnungsbau und Gewerbeflächenentwicklung. Auch hier seien mehr Spielraum nötig, um wichtige Projekte umsetzen und die Nachfrage decken zu können. Auch im Kreis Bergstraße hat der Wohnungsmangel längst erhebliche Ausmaße angenommen. Mitarbeiter von Unternehmen, die sich in dieser wirtschafts- und wettbewerbsstarken Region ansiedeln, finden keinen adäquaten Wohnraum, heißt es von Seiten der Wirtschaftsförderung. „Die Situation wird dramatischer als viele glauben“, betont Engelhardt, der das Thema nach der bevorstehenden Neubesetzung im Kreisbauamt durch die Übergabe des Kreisbeigeordneten-Postens von Karsten Krug zu Matthias Schimpf noch gezielter angehen möchte.

Vor allem in die Höhe bauen

Angesichts geringer Flächen müsse man im Kreis vor allem in die Höhe bauen, so der Landrat, der Flächenentwicklung und Naturschutz künftig stärker zusammendenken will. Es gehe um ein ökologisch sinnvolles Planen, das durch baurechtliche Standards nicht ausgehebelt werden dürfe. Auch hier sein ein Umdenken erforderlich. Der WFB-Beiratsvorsitzende Jürgen Gromer und Geschäftsführer Zürker stimmen dem zu. Als gutes Beispiel für gewerbliche Nachverdichtung im Bestand nannte er das BMV-Möbelzentrum in Bensheim, das nach fast 16 Jahren Leerstand abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden soll.

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Weil gerade gewerbliche Bauvorhaben sehr komplex sind, hat die WFB in Abstimmung mit dem Kreis eine sogenannte Baukonferenz initiiert, über die Projekte bereits in einem sehr frühen Stadium mit allen Akteuren abgestimmt werden sollen. Ziel ist eine frühe Identifizierung möglicher Probleme und dadurch effektivere Genehmigungsprozesse. Man müsse brachliegende Potenziale wie in Bensheim nutzen und Eigentümer überzeugen, so Matthias Zürker.

Im Namen des Beirats attestierte Jürgen Gromer der Wirtschaftsförderung eine sehr gute Arbeit. Der Gründer und langjährige CEO von Tyco Electronics (heute TE Connectivity) plädierte in Heppenheim für ein offenes Visier in puncto Digitalisierung. Davor dürfe man keine Angst haben. Die Umstellung auf digitale Prozesse bedeute letztlich eine Chance für den Wirtschaftsstandort. Die WFB könne besonders kleinen und mittleren Unternehmen durch eine passgenaue Beratung unter die Arme greifen.

Kürzere Wochenarbeitszeiten

Gromer ist überzeugt, dass der digitale Wandel langfristig auch zu kürzeren Wochenarbeitszeiten führen wird. Die Arbeitskraft, die durch Automatisierung überflüssig wird, werde in anderen Sparten dringend gebraucht, so Gromer, der ebenfalls das Thema Gewerbeflächen ansprach. Räumliche Erweiterungen müssten für Unternehmen am Standort insgesamt einfacher gestaltet werden. Damit die Bevölkerung dies akzeptiere, sei ein Bürgerdialog entscheidend. Auch hier könne die Wirtschaftsförderung den Kommunen die Hand reichen.

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