Bergstraße. Ein Kind bekommen: Für Eltern ist das eine ganz besondere Erfahrung. Doch die vergangenen zwei Jahre Corona-Pandemie haben vielen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Strenge Auflagen in Entbindungskliniken machen es schwierig, vor dem großen Tag entspannt zu bleiben – zum Beispiel, wenn unklar ist, ob und wie der Partner bei der Geburt dabei sein darf. Gibt es daher ein verstärktes Interesse an alternativen Geburtsmöglichkeiten wie zum Beispiel Hausgeburten? Ja, sagen Hebammen in der Region.
„Täglich muss ich Frauen absagen“
In Zahlen schlägt es sich nicht nieder, dass mehr werdende Eltern über Hausgeburten nachdenken. Die sind für Hausgeburten in der Region in den vergangenen Jahren konstant niedrig. Doch die Nachfrage steigt, wie Hebamme Sarah Göbel aus Zwingenberg bestätigt: „Ich habe das Gefühl, dass viele Frauen sich wegen Corona zum ersten Mal mit dem Thema Hausgeburt beschäftigt haben.“ Das gelte sogar für Frauen, die bereits mehrere Kinder in einer Klinik geboren haben.
Jeden Tag, sagt Göbel, müsse sie interessierten Frauen absagen. Und das betrifft nicht nur Frauen, die eine Hausgeburt möchten. Auch zur Begleitung und Vorsorge in der Schwangerschaft, für die Geburtsvorbereitung oder die Nachsorge im Wochenbett können Frauen eine Hebammenbetreuung in Anspruch nehmen. Das zahlt die Krankenkasse. Allerdings wird die Suche durch einen landesweiten Hebammenmangel zunehmend erschwert.
Geburtsorte in der Region
Noch vor 15 Jahren konnten Frauen aus der Region in Lindenfels, Bensheim und Heppenheim im Krankenhaus entbinden.
Im Jahr 2010 hat die Geburtsstation des Lindenfelser Luisenkrankenhauses geschlossen, 2019 auch die des Heilig-Geist-Hospitals in Bensheim.
Das Kreiskrankenhaus in Heppenheim bietet nach wie vor Entbindungen an.
Seit 2021 sind Geburten außerdem im Geburtshaus Bergstraße in Bensheim möglich.
Im weiteren Umkreis liegen die Kliniken in Weinheim oder Darmstadt und das Geburtshaus Osan in Seeheim-Jugenheim. cel
Dieser Mangel ist wohl auch der Grund, warum trotz steigender Nachfrage nicht mehr Kinder in der Region zuhause zur Welt kommen. „Wenn ich könnte, würde ich am liebsten allen Frauen, die sich eine Hausgeburt wünschen, diese auch ermöglichen“, sagt Sarah Göbel, die seit zweieinhalb Jahren als Hebamme tätig ist. „Doch mein Kalender ist total voll.“ Die Anfragen kommen nicht nur aus der direkten Umgebung, sondern auch aus dem Odenwald oder der Region um Heidelberg.
Eine Hausgeburt braucht eine intensive Vorbereitung: Hebamme und Eltern lernen sich kennen, besprechen Vorstellungen, Wünsche, Ängste. Göbel etwa begleitet sechs bis acht Hausgeburten pro Monat, einige davon als Zweithebamme. Um rund um die Uhr verfügbar zu sein, bilden Göbel und einige Kolleginnen Tandems. Kann eine Hebamme selbst nicht die Geburt begleiten, springt die Kollegin ein.
Geburtshaus als Alternative
Immerhin gibt es für werdende Eltern, die nicht in einer Klinik entbinden wollen, seit dem vergangenen Jahr das Geburtshaus Bergstraße in Bensheim. Kurz davor ist 2019 mit der Schließung der Geburtshilfe im Heilig-Geist-Hospital ein Geburtsangebot weggefallen. Im Bensheimer Krankenhaus wurden bis dahin mehrere Hundert Geburten im Jahr begleitet. Das Geburtshaus kann das natürlich nicht allein ausgleichen. Dennoch freut sich Hebamme Sarah Göbel, dass sie Frauen, für die sie keine Kapazitäten mehr hat, das Geburtshaus empfehlen kann.
„Die Eröffnung des Geburtshauses ist eine richtig schöne Entwicklung hier“, sagt Göbel, die selbst ebenfalls im Geburtshaus mitarbeitet. Beweggründe, nicht in einem Krankenhaus zu entbinden, gebe es viele.
Das Geburtshaus in Bensheim
Das Geburtshaus Bergstraße ist seit dem vergangenen Jahr geöffnet. 51 Babys wurden dort 2021 entbunden.
Für werdende Eltern in der Region ist das Geburtshaus eine Alternative zur Klinik, zumal es neben dem Kreiskrankenhaus Heppenheim in näherer Umgebung nicht mehr viel Auswahl an Geburtsstationen gibt.
Die Pandemie habe bei vielen Paaren, die ein Kind erwarten, ein Umdenken bewirkt, erzählt Geburtshaus-Mitgründerin Anett Haase. „Werdende Eltern denken in dieser Corona-Situation mehr über die Geburt nach, entscheiden sich bewusster für einen Geburtsort und übernehmen mehr Verantwortung“, sagt die Hebamme.
Ähnlich wie bei Hausgeburten, lernen sich vor einer Entbindung im Geburtshaus Paare und Geburtsbegleiter kennen. Auch dürfen die Räume vorher in Ruhe besichtigt werden.
„Eine gute Geburtsvorbereitung ist sehr wichtig“, erklärt Haase. So würden die Frauen unter der Geburt nicht überrumpelt. Auch Haase und ihre Geburtshaus-Kolleginnen bekommen immer wieder Fragen nach einer Geburtsbegleitung bei den Frauen zuhause. „Das können wir mit dem kleinen Team aber nicht leisten.“ cel
Als Hebamme, so Göbel, erlebe sie immer wieder die besondere Stimmung bei Hausgeburten: „Dadurch, dass Hebamme und Paar sich sehr intensiv auf die Geburt vorbereiten und gut kennen, entsteht oft eine gemütliche Atmosphäre. Es gibt kein grelles Licht, keine piependen Geräte. Die Frauen sind entspannt und erleben dadurch eine schmerzfreiere Geburt.“ Gibt es doch einmal Komplikationen, können die werdenden Eltern immer noch ins Krankenhaus fahren. Das komme nicht oft vor, sagt Göbel, und laufe meistens ohne Zeitdruck ab.
Eine Geburtshelferin, die schon seit vielen Jahren Kinder in der Region und darüber hinaus beim Start ins Leben begleitet, ist Hebamme Johanna Böckermann aus Lindenfels. Auch sie kann von einer erhöhten Nachfrage nach Hausgeburten berichten. „Das liegt auch an den Corona-Maßnahmen in den Kliniken. Das allein ist aber nicht Grund genug, sich für eine Hausgeburt zu entscheiden“, sagt die 64-Jährige. „Ein Paar, das eine Hausgeburt wählt, hat mehr Verantwortung.“
Harter Job für die Hebammen
Notfallmaßnahmen seien daheim nur begrenzt umsetzbar, die Verlegung in die Klinik koste Zeit. Das müssten werdende Eltern sich bewusstmachen. Wichtig sei außerdem, dass die Schwangere fit und gesund sei und dass es keine medizinischen Komplikationen gibt, die gegen eine Hausgeburt sprechen. In der Pandemie kommt nach Böckermanns Eindruck noch dazu: „Die Unsicherheit belastet auch die Gesundheit der Frauen.“ Ein Thema, das sich auch auf die Arbeit der Hebammen auswirkt. „Wir reiben uns auf, um die Frauen positiv zu stimmen, Mut zu machen, zu unterstützen und Hoffnung zu geben.“
"Die Geburt ist unheimlich wichtig für die Frau und auch für das Baby. Es muss die Zeit haben, um in Ruhe anzukommen - egal, was drumherum gerade los ist."
Das alles, so Böckermann, unter schwierigen Bedingungen. Unter anderem wegen des Hebammenmangels würden die Terminkalender voller, die Arbeit mehr, die Belastung höher. „Das macht mürbe“, sagt Böckermann, die sich selbst voll auf ihre Arbeit konzentrieren kann und nicht – wie viele Kolleginnen – noch familiäre Aufgaben zu stemmen hat. „Ich habe noch nie so viel gearbeitet wie in den vergangenen Jahren.“ Was sie sich wünsche, seien mehr Anerkennung und Respekt, und zwar nicht nur für die Arbeit der Hebammen, sondern auch für die werdenden Eltern und jungen Familien.
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