Geburtshaus

Eine Wiege für echte Bensheimer Babys

Von 
Thomas Tritsch
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Ein kleines Familienfest: Das Geburtshaus Bergstraße hatte am Samstag zu seinem ersten Tag der offenen Tür eingeladen – mit riesiger Resonanz. © Thomas Neu

Bensheim. Die emotionale Resonanz in Bensheim war heftig, als 2019 bekannt wurde, dass das Heilig-Geist-Hospital seine Geburtsstation schließen musste. Im Sommer des folgenden Jahres gründete sich ein Trägerverein für eine neue Einrichtung, die als kleine Alternative zu einer großen Klinik Schwangeren ein ideales Umfeld bieten sollte: ein Geburtshaus. Die ehemalige Zentrale der Diakoniestation an der Fehlheimer Straße wird seither von der Michaelsgemeinde an den Verein vermietet.

Am 1. April 2021 wurde das Haus eröffnet. Keine drei Wochen später wurde dort das erste Kind geboren. In der Nacht auf Samstag kam das bislang 91. Baby zur Welt. Ein original Bensheimer. Wie früher. Wenige Stunden später war es im Haus so laut und eng wie nie zuvor: Erstmals hatte der Trägerverein die Chance für einen Tag der offenen Tür, was aufgrund der Pandemie bislang undenkbar war.

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Für die Hebammen und die Menschen hinter den Kulissen eine willkommene Gelegenheit, um sich ganz offiziell der Öffentlichkeit präsentieren zu können und das Angebot noch bekannter zu machen. Denn das ist trotz der erfreulich guten Resonanz nach wie vor nötig. Schließlich ist das Geburtshaus keine öffentlich oder institutionell finanzierte Einrichtung, sondern das Baby des Trägervereins, der neben dem über ein Darlehen geschulterten Umbau jeden Monat auch die Miete zahlen muss.

Geschützte Atmosphäre

Die Akteure der ersten Stunde sind noch immer aktiv. Mehrere engagierte Bensheimer um den damaligen Bürgermeister Rolf Richter und Doris Walter, die heute das Vorstandsteam bilden, wollten sich nicht kampflos damit abfinden, dass nach der Schließung der Geburtshilfeabteilung in der Stadt keine Kinder mehr geboren werden sollten.

Zudem gab und gibt es im Kreis Bergstraße viele Hebammen, die jenseits von Krankenhäusern einen Ort suchen, wo sie Frauen in persönlicher, intimer und geschützter Atmosphäre begleiten können. Insgesamt sind aktuell acht freie Hebammen im Haus tätig. Die organisatorische und Büro-Leitung hat Birgit Heidkamp, eine weitere Geburtshelfern, die sich um die administrative Arbeit kümmert. Fachliche Leiterin ist Annett Haase, ebenfalls Hebamme und wie die meisten anderen seit der Gründung mit im Boot.

Ab drei Wochen vor und bis zu zwei Wochen nach dem Geburtstermin sind ständig jeweils zwei der Fachfrauen im Rufdienst bereit. Damit wird eine lückenlose Eins-zu-Eins-Betreuung gewährleistet auch dann, wenn einmal - aber das ist selten - zwei Babys gleichzeitig entbunden werden wollen. Schließzeiten gibt es nicht.

„Eine Geburt ist ein sensibles Ereignis. Frauen wollen Sicherheit und eine persönliche Betreuung“, betont Annett Haase die Vorteile des Hauses, wo sich Schwangere in einem wohnlichen und angenehmen Rahmen auf die Geburt vorbereiten können. Die Hebammen nehmen sich die Zeit und Ruhe, die dafür nötig ist. „Anderswo wartet man eine Stunde für fünf Minuten Sprechstunde. Hier wartet man keine fünf Minuten für eine gemeinsame Stunde“, so die Leiterin.

Durch eine feinfühlige Begleitung bietet das Team ein nahezu privates Umfeld mit häuslichem Charakter und wohnlichem Charme. Weil die Hebammen die werdenden Mütter in der Regel schon Wochen oder Monate vor der Geburt kennenlernen und ihnen das Haus zeigen, treffen sich an Tag X keine Unbekannten. „Ich weiß daher genau, für wen ich nachts aufstehe“, so Annett Haase, die sich keine besseren Räumlichkeiten für einen solchen Ort vorstellen kann.

Die Adresse ist zentrumsnah und geräumig, das Interieur individuell und funktional, nicht klinisch oder anonym. Es gibt Holzböden, natürliche Materialien dominieren und schaffen eine warme, intime Atmosphäre. Hinter dem Haus liegt ein Garten mit einem großen Baum. „Hier wurde schon so manche Wehe weggeatmet“, so die Hebamme. Auf zwei Etagen plus Keller stehen drei Räume zur Verfügung. Das Haus bietet zwei Badewannen (eine feste und eine mobile) für Wassergeburten, rund 80 Prozent der Kinder kommen hier zur Welt. Es gibt Ruhe- und Beratungsräume sowie ein Zimmer für Voruntersuchungen, die hier gemäß den Mutterschaftsrichtlinien (außer Ultraschall) regelmäßig durchgeführt werden. Sie sind auch die Voraussetzung für eine Entbindung im Geburtshaus.

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Elementar ist laut Annett Hasse aber vor allem das Vertrauensverhältnis als Basis für eine gute Geburt: Nur, wenn sich die werdende Mutter und ihr Partner wohlfühlen, sind die idealen Voraussetzungen gegeben. Etwa die Hälfte der Frauen, die hier entbinden, kommen mit ihrem ersten Baby.

Neben Geburten finden an der Fehlheimer Straße 62 aber auch verschiedenen Beratungen, ein Schwangeren-Yoga, eine Stillberatung und eine Wochenbettambulanz sowie Massagen und die klassischen Vorbereitungs- und Rückbildungskurse statt. Außerdem kann das Gebäude von den Hebammen im Kreis als Treffpunkt und Schulungsraum genutzt werden.

Im Geburtshaus steckt neben dem Einsatz der Hebammen und dem Geld von Sponsoren auch viel ehrenamtliche Arbeit. Auch darüber hat der Verein am Samstag ausführlich informiert. Der Verein Oald Bensem kümmert sich um den Garten des Hauses, der gemeinnützige Trägerverein wirbt weiterhin für Mitglieder (aktuell sind es rund 60) und finanzielle Unterstützer.

Das Dachgeschoss wurde jüngst als weiteres Geburtszimmer ausgebaut, so dass theoretisch drei Geburten gleichzeitig stattfinden können. Räumlich wie akustisch voneinander getrennt, so dass weder Mutter noch Kind auch nur im Geringsten gestört werden.

Guter Ruf über Bensheim hinaus

Richtig laut allerdings ist der gute Ruf des Hauses weit über die Bergstraße hinaus. Die jungen Familien kommen unter anderem auch aus Heidelberg, Worms, Mannheim oder sogar aus der Pfalz nach Bensheim. Sie alle suchen einen besonderen Platz für das privateste Ereignis, was sich denken lässt. Gerade während der Hochphasen der Pandemie mit den Lockdowns und strengen Distanzvorgaben war es zum Beispiel Partnern von Schwangeren kaum möglich, bei jedem Termin dabei zu sein.

Im Geburtshaus war das anders: Aufgrund der reduzierten Belegung und der Eins-zu-Eins-Betreuung hat Corona weder den Betrieb noch das Selbstverständnis der Einrichtung ausgehebelt. Es gibt kein Wartezimmer, der private Rahmen kam den Corona-Regeln sehr entgegen.

Kontakt: hallo@geburtshaus-bergstrasse.de (Trägerverein) oder hebammeninfo@geburtshaus-bergstrasse.de. Homepage: www.geburtshaus-bergstrasse.de

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