Herr Hoffmann, müssen wir nächsten Winter frieren?
Carsten Hoffmann: Bis dahin haben wir noch viel Zeit, um uns darauf vorzubereiten. Das tut die Bundesregierung bereits, etwa mit Mindestspeicherständen bei Gasspeichern und der Sicherung von alternativen Gas- und Flüssiggaskapazitäten. Daher geht die Branche davon aus, dass wir das hinkriegen. Nur, wenn die Gasversorgung unterbrochen, die Speicher nicht aufgefüllt und der nächste Winter sehr kalt wird, kann es eng werden. Um das Risiko zu reduzieren ist es wichtig, dass die Speicher wieder auf mindestens 90 Prozent aufgefüllt sind. Wir gehen jedoch davon aus, dass das Gas zum Heizen mit sehr hohen Preisen versehen sein wird.
Wie hoch? Vereinzelt haben Stadtwerke schon angekündigt die Preise um mindestens 50 Prozent zu erhöhen.
Hoffmann: Heute ist da keine seriöse Aussage möglich.
Was passiert eigentlich, wenn es nicht genügend Gas und Strom hierzulande gibt?
Hoffmann: Das regelt das Energiewirtschaftsgesetz: Es verpflichtet die Gaslieferanten, im Krisenfall vorrangig geschützte Kunden zu beliefern. Dazu gehören Haushaltskunden, Krankenhäuser und so weiter, jedoch in der Regel nicht die Industrie.
Dann wären große Energieverbraucher wie Langnese in Heppenheim betroffen.
Hoffmann: Zu einzelnen Unternehmen kann ich nichts sagen.
Deutschland hat noch reichlich eigene Gasvorkommen, die könnten rund 20 Prozent des Verbrauchs decken. Man müsste hierzulande etwa nur Fracking zulassen, das ist in den USA gang und gäbe.
Hoffmann: Fracking ist bisher in dem dicht besiedelten Gebiet in Deutschland nicht zulässig, hinzu kommen hohe Umwelt- und Naturschutzauflagen bezüglich der Erschließung neuer Erdgasvorkommen. Unter den nie dagewesenen aktuellen Umständen müssen wir aber auch das in Erwägung ziehen. Auch der Anteil an Biogas könnte durch entsprechenden Ausbau erhöht werden.
Müsste dann beispielsweise mehr Mais zur Biogasherstellung auf landwirtschaftlichen Flächen angebaut werden?
Hoffmann: Es sollte grundsätzlich keine Denkverbote geben und die Energie-Importabhängigkeit in Deutschland beziehungsweise der EU auf jeden Fall reduziert werden, dabei muss uns aber klar sein, dass sowohl Fracking als auch die Erhöhung des Biogas-Anteils nicht kurzfristig weiterhelfen und auch nicht billig sind.
Was sind dann die Alternativen?
Hoffmann: Die Bundesregierung arbeitet an den richtigen Maßnahmen: Der Aufbau von zwei Flüssiggas-Terminals, die Erhöhung der Importmenge aus anderen Ländern und eine nachhaltige Sicherung der Füllstände in den Gasspeichern sind unabdingbar.
Wie kann die Regierung die Füllstände in Gasspeichern erhöhen?
Hoffmann: Die Betreiber können rechtlich zu bestimmten Füllständen verpflichtet werden. Entstehende Nachteile muss der Staat allerdings finanziell ausgleichen.
Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"
Woher kann noch Gas bezogen werden? Große Vorkommen gibt es im Iran und in Katar, eher unsichere Kantonisten.
Hoffmann: Wir haben schon einen diversifizierten Lieferentenkreis für die restlichen nicht von Russland gelieferten Mengen. Aktuell laufen Verhandlungen mit Venezuela und Iran. Langfristig müssen aber wir aber auch von diesen Staaten wegkommen. Auch hier kann das mittel- bis langfristige Ziel nur die Reduzierung der Energie-Importabhängigkeit sein, gepaart mit einer Elektrifizierung des Wärmemarkts auf Basis eines schneller steigenden Ausbaus der erneuerbaren Energien und flankiert durch Energieeffizienzmaßnahmen.
Vieles davon ist von der Bundesregierung ja auch schon im Zuge der Klimaschutzgesetzgebung angedacht. Der Ukraine-Krieg und seine Auswirkungen liefern dafür zusätzliche Argumente und erhöhen die Relevanz und Brisanz und wirken als zusätzlicher Katalysator für die Energiewende. Versorgungssicherheit und Klimaschutz müssen sehr eng miteinander verzahnt werden.
Gibt es eigentlich genügend Gas auf dem Weltmarkt und das Angebot ist nur eine Frage des Preises oder fehlt es an Angebotsmengen?
Hoffmann: Gas ist weltweit genügend vorhanden. Es ist neben der Frage des Transportweges, per Pipeline oder flüssig per Tanker, auch eine Frage des Preises. Flüssiggas-Tanker aus den USA oder Katar können jederzeit ihr Ziel anpassen und dort entladen, wo global der höchste Preis gezahlt wird. Die Kapazitäten der vorhandenen Flüssiggas-Terminals, etwa in Rotterdam, wird bei einer Ausweitung an Kapazitätsgrenzen stoßen. Daher ist der Vorstoß, zwei Terminals in Deutschland zu bauen, sehr begrüßenswert. Nur: Das hilft uns kurzfristig leider nicht.
Liefert Russland weiterhin Gas nach Deutschland, wie vertraglich vereinbart?
Hoffmann: Russland liefert noch die vertraglich vereinbarten Mengen. Vermutlich ist das rein wirtschaftlich getrieben, damit Russland überhaupt noch Zugang zu Kapital erhält.
Und was würde bei einem Embargo passieren, wenn Deutschland kein Gas und auch Öl mehr aus Russland bezieht?
Hoffmann: Dann müsste Gas rationiert und zugeteilt werden. Die Folge eines sofortigen Stopps wäre eine Wirtschaftskrise und ein spürbarer Rückgang der Wirtschaftskraft hierzulande. Das steht aber aktuell noch nicht zur Entscheidung an. Kann aber schnell relevant werden.
Müssen Kernkraftwerke länger laufen, um in Zukunft ausreichend Strom zu liefern?
Hoffmann: Auch das müssen wir ergebnisoffen diskutieren. Hierzu hat sich die Bundesregierung mittlerweile dagegen positioniert. Wenn man sich dafür entscheiden sollte, dann sollten offene Fragen zum Bezug und zur Entsorgung der Brennstäbe geklärt werden und ein Weiterbetrieb sicherheitstechnisch vertretbar sein. Dadurch könnte die Importabhängigkeit reduziert, wahrscheinlich ein preisdämpfender Effekt erzielt werden. Insbesondere wenn Gaskraftwerke nicht mehr genug Energie liefern können. Im Vergleich zu alternativem Betrieb von Kohlekraftwerken wird weniger CO2 emittiert. Klar ist aber auch: Die Brennstäbe dürfen wir dann aber auch nicht von Russland beziehen, um nicht weitere Abhängigkeiten zu schaffen.
Muss der Kohleausstieg verschoben werden, damit es genügend Strom gibt?
Hoffmann: Ja, das ist unstrittig, weil es zu erwarten ist, dass Gaskraftwerke mangels Gasangebot oder aus preislichen Gründen vom Netz gehen. Das ist zwar aus Klimagesichtspunkten kontraproduktiv, aber wenn der Betrieb der als Übergangstechnologie angedachten Gaskraftwerke wegfällt, brauchen wir die Kohlekraftwerke wahrscheinlich auch über das geplante Ausstiegsdatum hinaus.
Gas und Strom werden in der Regel über längere Zeiträume beschafft, hat die GGEW schon genügend für 2022 und 2023 auf Termin eingekauft?
Hoffmann: Für 2022 sind wir vollständig eingedeckt. Für 2023 befinden wir uns gemäß unseren Beschaffungshandbüchern seit längerem in der Beschaffungsphase für die Haushaltskunden und haben schon bedeutende Teile eingedeckt. Die Mengen für Industrie- und große Gewerbekunden werden erst nach Vertragsverhandlungen beziehungsweise nach Vertragsabschluss sehr zeitnah eingedeckt. Das Problem ist derzeit, dass für 2023 keine großen Mengen handelbar sind, da die Marktteilnehmer durch die massiven Preissprünge entstehende Risiken vermeiden und ihre Handelsaktivitäten daher größtenteils aussetzen.
Woher bezieht die GGEW Gas und Strom?
Hoffmann: Von einer Vielzahl deutscher und europäischer Handelspartner, jedoch nicht direkt von Gazprom oder anderen russischen Unternehmen. Ein großer Lieferant ist die Gasversorgung Süddeutschland, die zur EnBW Energie Baden-Württemberg gehört. Kurz- bis mittelfristig schrauben wir als GGEW den Anteil erneuerbarer Energien weiter hoch, um die Klimaschutzziele zu erreichen und um die genannten Abhängigkeiten konsequent abzubauen.
Wie hoch ist der Anteil der Eigenerzeugung beim Strom? Und was ist hier das Ziel?
Hoffmann: Der Anteil selbst erzeugten Stroms am gesamten Stromabsatz der GGEW beträgt um die 50 Prozent. Fossile Stromerzeugung besitzen wir nicht. 100 Prozent unserer Erzeugung ist regenerativen Ursprungs. Unser Portfolio an erneuerbaren Energien werden wir bei entsprechenden Opportunitäten kontinuierlich ausbauen. Mit unseren Windrädern und Photovoltaik-Anlagen produzieren wir schon so viel Strom wie ein kleines Gaskraftwerk.
Wie werden sich die Gaspreise für Verbraucher entwickeln?
Hoffmann: Wir erwarten, dass sich die exorbitant hohen Marktpreise, die derzeit den Energieeinkauf für die Branche massiv verteuern, zeitverzögert auf die Kunden umgewälzt werden müssen und das von allen Versorgern. Da sitzen wir alle im gleichen Boot. Ursache ist, dass Marktmechanismen nicht mehr funktionieren und wir einen politischen Markt haben, der im Kriegsmodus sehr volatil ist und fehlendes Vertrauen die Preise explodieren lässt. Wir erwarten, dass das leider noch längere Zeit andauern wird.
Und die Strompreise?
Hoffmann: Strompreise werden den Gaspreisen folgen und weiter steigen und mittelfristig auf hohem Niveau bleiben; wir erwarten spürbare Reduzierungen erst mit einem weiteren substanziellen Ausbau der Erneuerbaren Energien. Das hat auch der Jahresanfang gezeigt. Immer wenn die Erneuerbaren-Produktion sehr hoch war, etwa durch ein hohes Windaufkommen, dann hat das die Börsenpreise gesenkt beziehungsweise gedämpft. Kurzfristig gibt es zum 1. Juli dieses Jahr eine leichte Entlastung der Kunden durch den Wegfall der EEG-Umlage, der aber den Anstieg der Beschaffungspreise nicht vollständig kompensieren wird. Auch nach Wegfall der EEG-Umlage enthält der Strompreis noch einen hohen Teil weiterer Umlagen und Steuern wie etwa die Stromsteuer. Wenn diese staatlichen Steuern und Umlagen reduziert würden, könnten auch die Kunden per Saldo entlastet werden.
Was können Verbraucher dagegen tun, was raten Sie?
Hoffmann: Energiesparen zum Beispiel ist eine sehr effiziente Methode, die mehrere positive Aspekte beinhaltet: Wir brauchen dann weniger Gas aus Russland, was den Staat Russland schwächt. Gleichzeitig tragen wir dazu bei, eigene Reserven zu erhöhen. Und drittens trägt Sparen zum Klimaschutz bei, weil sich der CO2-Ausstoß verringert. Wer die Raumtemperatur zum Beispiel nur um ein Grad Celsius senkt, spart rund sechs Prozent Energie – egal ob Gas, Strom oder Öl.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/region-bergstrasse_artikel,-bergstrasse-ggew-vorstand-hoffmann-keine-denkverbote-bei-der-energieversorgung-_arid,1927134.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/heppenheim.html