Herr Hoffmann, in knapp sechs Monaten ist Weihnachten, wird es kalt unterm Baum?
Carsten Hoffmann: Deutschland ist mit Blick auf die Versorgungssituation mit Gas sicherlich in einer schwierigen Situation. Wir sollten das Bild aber auch nicht zu düster malen. Bundesregierung und Bundesnetzagentur arbeiten mit Hochdruck an Lösungen für diese Situation. Eine entscheidende Weichenstellung sehen wir am Ende der planmäßigen Wartungsarbeiten für die derzeitige Hauptversorgungsleitung Nord Stream, voraussichtlich am 21. Juli. Hier entscheidet sich, ob und in welchem Umfang die Gaslieferungen durch Russland wieder hochgefahren werden.
Es kommt derzeit weniger Gas aus Russland hierzulande an, der größte deutsche Gasimporteur Uniper ist in Nöten und braucht Staatshilfe. Ein anderer, Wingas, wird bereits von der KfW gestützt? Bekommt die GGEW noch genügend Gas von ihren Lieferanten?
Hoffmann: Die Gas-Versorgungssicherheit ist derzeit gewährleistet. Die GGEW bekommt unverändert noch genügend Gas über die vorgelagerten Netzbetreiber von ihren Lieferanten geliefert. Das bezieht sich auf bereits bestehende Lieferverträge.
Was passiert, wenn die Lieferanten der GGEW nicht mehr genug Gas liefern?
Hoffmann: Dann liegt nicht nur ein GGEW spezifisches Thema vor, sondern die gesamte Energiebranche steht vor einer großen Herausforderung. Wenn im Zuge des Notfallplans der Bundesregierung die dritte und letzte Stufe, die Notfallstufe, ausgerufen wird, nimmt die Bundesnetzagentur die Rolle des sogenannten Bundeslastverteilers ein. Dann haben wir eine Planwirtschaft. Der Staat sagt, wer welche Gas-Mengen bekommt.
Die Netzagentur übernimmt im Krisenfall hoheitlich die Reduktion der geplanten Bezugsmengen von größeren Verbrauchern im Markt, um die Nachfrage auf das Niveau der knappen Gasmengen zu reduzieren. Insbesondere Privathaushalte, Krankenhäuser und soziale Einrichtungen haben die höchste Priorität; Schwimmbäder, Freizeiteinrichtungen und die Industrie hingegen werden in einer solchen Situation zuerst den Verbrauch reduzieren müssen.
Kommt die GGEW, wie die großen Gasimporteure, auch in Liquiditätsnöte?
Hoffmann: Wir sind liquiditätsseitig und auf der Eigenkapitalseite aktuell gut aufgestellt. Wir haben einen guten Risikopuffer und das Vertrauen der Banken ist da. Die anfallenden Mehrkosten der Energiebeschaffung müssen wir jedoch an die Endkunden weitergeben. Die Liquiditätsnöte einiger Energiewirtschaftsunternehmen resultieren zu großen Teilen aus an Börsen zu zahlende Sicherheitsleistungen für Finanzgeschäfte. Die GGEW kauft jedoch ausschließlich ‚echte‘ physische Gaslieferungen ein und vermeidet so die extremen Belastungen der Liquidität.
Wie knapp ist denn Gas aktuell?
Hoffmann: Die deutschen Gas-Speicher sind derzeit zu gut 62 Prozent gefüllt. Bei vollen Speichern reicht das Gas, einen normalen Temperaturverlauf vorausgesetzt, rund zweieinhalb Monate. Man muss auch berücksichtigen: Rund 40 Prozent des Erdgases kommen derzeit aus Russland, 60 Prozent aus Ländern wie Norwegen, Großbritannien und über Flüssiggaslieferungen.
Letzteres ist recht teuer.
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Hoffmann: Ja, durch Fracking etwa und das Verflüssigen ist Flüssiggas in der Regel doppelt so teuer wie russisches Pipelinegas in einer normalen Marktsituation.
Selbst wenn es noch genügend Gas geben sollte, werden die Preise steigen, womit müssen die GGEW-Kunden noch rechnen?
Hoffmann: Bundeswirtschaftsminister Habeck hat es deutlich auf den Punkt gebracht. Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland müssen sich auf dauerhaft hohe Energiepreise einstellen und weiter mit deutlich höheren Preisen rechnen, die ein mehrfaches über dem Niveau liegen, wie wir es aus der Vergangenheit kennen.
Mit einer erheblichen Preissteigerung für alle Strom- und Gaskunden in Deutschland muss bundesweit zum 1. Januar 2023 gerechnet werden, weil erst dann die explodierten Beschaffungspreise voll durchschlagen. Kundengruppen mit Preisgarantie über den 31.12.2022 hinaus sind davon ausgenommen. Diese Kunden müssen dann nach Ablauf der Preisgarantie direkt mit der Weitergabe rechnen.
Mineralölkonzerne profitieren beim Benzin und Diesel vom hohen Ölpreis, die GGEW auch von hohen Gas- und Strompreisen?
Hoffmann: Wir sind ein kommunales Unternehmen mit einer großen regionalen und gesellschaftlichen Verantwortung. Da wir die Gasmengen selbst einkaufen müssen, sind wir jedoch gezwungen, die erhöhten Preise an die Kunden weiterzugeben. Wir profitieren nicht von den höheren Einkaufspreisen. Eher im Gegenteil, wir tragen das wirtschaftliche Risiko, dass sich ein Teil unserer Kunden die hohen Energiekosten nicht mehr leisten kann.
Mit der umgesetzten Diversifizierung unserer Geschäftsstrategie hin zu Erneuerbaren Energien haben wir die richtigen Weichen gestellt, so dass wir die Preise nicht in dem Umfang erhöhen müssen wie wenn wir keine oder nur wenig Erneuerbaren Energien hätten. Dieser kraftvolle strategische Schritt hilft uns jetzt und in der Zukunft, unseren Kunden Strompreise anzubieten, die unterhalb des Preisniveaus der Strombörse liegen. Indirekt profitieren wir von einer höheren Nachfrage nach Photovoltaik-Anlagen, insbesondere zur eigenen Nutzung des erzeugten Stroms, und nach privaten Ladestationen für Elektroautos.
Strom und Gas, die jetzt verkauft werden, hat die GGEW schon früher eingekauft, zu günstigen Preisen, warum wird der jetzt teuer verkauft?
Hoffmann: Unsere Bestandskundenpreise liegen deutlich unter Marktniveau. Die GGEW muss jedoch systemimmanent zusätzliche Mengen für den tatsächlichen Verbrauch im Kurzfristhandel zu sehr hohen Preisen nachkaufen. Daher sind Preisanpassungen im ersten Schritt für rund ein Viertel unserer Kunden erforderlich. Die große Anpassungswelle kommt leider mit Wirkung zum Jahresbeginn 2023. Auch danach werden wir unter dem allgemeinen Marktniveau liegen.
Wenn weniger Gas aus Russland kommt, könnte es helfen Kohle- und Kernkraftwerke länger laufen zu lassen, Gaskraftwerke aus der Stromproduktion rauszunehmen und das wenige Gas nur fürs Heizen zu nutzen oder Speicher zu füllen. Strom lässt sich anderweitig erzeugen. Warum wird das nicht schon jetzt gemacht?
Hoffmann: Das passiert gerade in der zweiten Stufe, der Alarmstufe, des Notfallplans der Bundesregierung. Dort wird die Stromproduktion aus Gas ersetzt durch Kohlekraftwerke. Hier können zusätzlich auch Energieeinsparungen im privaten und betrieblichen Bereich einen spürbaren Effekt auf die Reduzierung der Gasmengen haben. Jede nicht genutzte Gas-Kilowattstunde kann eingespeichert werden und hilft uns im Winter. Das Gebot der Stunde heißt daher Gassparen.
Wie bringt man die Menschen zum Energiesparen?
Hoffmann: Ich setze zunächst auf die Eigenverantwortung. Aber auch gesetzliche Vorgaben können helfen, ähnlich wie bei den Regelungen zu Corona. Es könnten beispielsweise Raumtemperaturen gesenkt werden oder es gibt Einschränkungen bei Saunen und anderen Freizeiteinrichtungen mit hohem Energiebedarf. An die Corona-Vorgaben haben sich auch 80 bis 90 Prozent der Menschen gehalten. Damit wäre in Sachen Energiesparen schon viel geholfen
Die Alternative zu Öl und Gas sind erneuerbare Energien. Mit denen soll es schneller vorangehen, hat die Bundesregierung nach der Wahl angekündigt. Ist davon schon etwas zu sehen?
Hoffmann: Zahlreiche Gesetzes- und Verordnungsnovellen wurden bereits angestoßen und sollen in den nächsten Wochen und Monaten verabschiedet werden, um den Ausbau der Erneuerbaren Energien raumplanerisch, genehmigungsseitig und wirtschaftlich zu erleichtern. Da hat sich im Vergleich zur Vorgängerregierung schon einiges getan.
Wie sehen in dem Zusammenhang die Ausbaupläne der GGEW aus, bauen Sie nun jede Woche oder jeden Monat neue Windräder und Solaranlagen?
Hoffmann: Letztlich sind die Windräder und Solaranlagen die günstigste Möglichkeit, Strom zu erzeugen, da kein Brennstoffeinsatz notwendig ist. Analysen des Energiemarktes belegen, dass der Strompreis durch einen hohen Einsatz von Erneuerbaren Energien deutlich niedriger liegt, als wenn fossile Kraftwerke überwiegend im Einsatz sind.
Wir investieren zielgerichtet in Photovoltaik-Dach- und Freiflächenanlagen. Wir planen in den nächsten Jahren rund 18 Megawatt. Das entspricht einer Leistung von sechs Windenergieanlagen. Der Ausbau in der Windenergie in der Region hat sich bisher leider bei weitem nicht so entwickelt wie er erforderlich wäre. Hier wird sich noch einiges tun müssen, um die deutschen Ausbauziele, 80 Prozent des Stroms aus erneuerbarer Energie bis 2030, einzuhalten.
Was wird dieses Jahr von der GGEW noch umgesetzt?
Hoffmann: Leider kein größeres Projekt, lediglich verschiedene Photovoltaik-Dachanlagen. Das nächste große Projekt könnte im Frühsommer 2023 in Wald-Michelbach entstehen. Ansonsten bringen wir die PV-Freiflächenanlagen in Bensheim nördlich vom ADAC-Übungsplatz an der Autobahn planerisch weiter voran.
Was sind die größten Hindernisse?
Hoffmann: Grundsätzlich sehen wir die Flächenverfügbarkeit für größere Anlagen, siehe Photovoltaik und Wind im Kreis Bergstraße, und gegebenenfalls Konflikte mit Raumplanung sowie langwierige Genehmigungsverfahren als große Hindernisse. Weiterhin sind wir, wie alle anderen Branchen auch, betroffen von hohen Rohstoffpreisen, einer schlechten Komponentenverfügbarkeit, vor allem im Photovoltaik-Bereich durch Corona-Lockdowns in Asien sowie Lieferkettenproblemen und stark ansteigenden Kapitalkosten.
Und keiner will ein Windrad vor seiner Haustür.
Hoffmann: Ja, ebenso steht die fehlende Akzeptanz der Bevölkerung für Windenergieanlagen in Nähe zur Wohnbebauung und für Waldstandorte dem Ausbau entgegen. Das sind große Herausforderungen, die wir gesellschaftlichen meistern müssen, um die zwingend erforderlichen Ausbauziele zur erreichen.
Vorwärts gehen soll es auch mit der Elektromobilität. E-Autos haben die Hersteller mittlerweile reichlich im Angebot. Geklagt wird über zu wenige Ladesäulen. Wer soll die bauen und bezahlen? Der Staat, die Autohersteller oder die Energieversorger?
Hoffmann: Es geht nur im Schulterschluss mit allen Beteiligten. Die GGEW verfügt bereits über eine flächendeckende Versorgung mit 120 öffentlichen Ladepunkten im Netzgebiet. Die sind für uns noch nicht kostendeckend, doch damit sind wir etwa auf Großstadtniveau. Wir haben aber auch in Deutschland insgesamt schon viel erreicht. Aktuell sind rund 40 000 öffentliche und teilöffentliche Ladepunkte von Energieunternehmen, Parkhaus- und Parkplatzbetreibern, Supermärkten und Hotels erfasst, jede siebte davon ist ein Schnelllader. Rund 80 Prozent der Ladepunkte werden von Unternehmen der Energiewirtschaft bereitgestellt. Der Ausbau der öffentlichen Ladepunkte geht ungebremst weiter. Hinzu kommen mehrere hunderttausend private Ladepunkte. Wir dürfen nicht vergessen: Neun von zehn Ladevorgängen finden zu Hause oder am Arbeitsplatz statt.
Die Gemeinde Einhausen kooperiert im Rahmen der Gigabitregion mit anderen Anbietern, bleibt die GGEW in ihrem Kernmarkt hier außen vor?
Hoffmann: Die Gemeinde Einhausen zählt noch nicht zum Kernmarkt, dem Netzgebiet, der GGEW. Dazu zählen: Bensheim, Zwingenberg, Alsbach-Hähnlein, Bickenbach, Seeheim-Jugenheim, Heppenheim, Lorsch und Lautertal. In Einhausen sind in einem guten Dialog mit der Gemeinde und bauen dort selektiv unser Glasfasernetz aus, wo wir bereits Kunden haben.
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