Bergstraße. Es ist für Schüler die Fragen aller Fragen: Was folgt auf den Schulabschluss? Welche Ausbildung passt zu mir? Oder soll es doch ein Studium sein? Es passiert gar nicht selten, dass nach der Schule kein Plan vorhanden ist, wie es weitergehen soll. Eine Option ist ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) – ein Programm für junge Menschen zwischen 16 und 26 Jahren, die sich für Natur, Umwelt und Gesellschaft engagieren möchten. Das FÖJ wird in Hessen seit 30 Jahren angeboten. Der größte Träger im Land ist das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG). Es stehen beim HLNUG rund 90 Einsatzstellen mit über 110 Plätzen zur Verfügung.
Darunter ist auch das Experimentalarchäologische Freilichtlabor Lauresham in Lorsch. Es gehört zur UNESCO Welterbestätte Kloster Lorsch und ist ein begehbares 1:1 Modell eines Herrenhofes des 8./9. Jahrhunderts. Seit 2015 unterstützen FÖJler das Projekt. Pro Jahr werden vier Plätze angeboten. Eine Teilnehmerin ist aktuell die 20-Jährige Luisa Gogeißl. Die Abiturientin ist noch bis Ende August da.
Sie entschied sich nach der Schule dafür, weil sie nach dem vielen Sitzen in Klassenräumen etwas Draußen machen wollte: „Ich wollte körperlich etwas tun und ich fand auch den mittelalterlichen Aspekt spannend.“
Luisa zieht nach den zehn Monaten eine durchweg positive Bilanz. Jeder im FÖJ bekommt in Lauresham ein eigenes Projekt. Luisa erhielt die Aufgabe, einen Getreideacker ein Jahr zu bewirtschaften – sie hat gepflügt, sie hat ein Gemisch aus alten Sorten ausgesät, hat gegen Unkraut gekämpft und am Ende wird sie auch ernten: „Ich habe so viel gelernt und es ist auch sehr befriedigend, die Ergebnisse der Arbeit direkt zu sehen. Man merkt auch mal, was die Menschen früher für ihr Leben leisten mussten. Wie hoch oder auch gering der Ertrag bei sehr viel Aufwand war.“
Besonders ist ihr die Internationale Zugtierkonferenz im März in Erinnerung. Drei Tage haben auch die FÖJler mit angepackt. Sie haben sowohl bei der Konferenz teilgenommen und sich Vorträge angehört, als auch organisatorisch das Team aus fünf Festangestellten in Lauresham unterstützt. Am letzten Tag waren beim Tag der offenen Tür immerhin rund 3500 Menschen auf dem Gelände.
FÖJler beteiligen sich an vielen Projekten in Lauresham
Auch der zweite FÖJler, der 17 Jahre alte Viktor Bletz, denkt gerne an diese Veranstaltung zurück. Er wollte ursprünglich eine Ausbildung zum Tiermedizinischen Fachangestellten machen. Er war nach seinem Realschulabschluss aber etwas spät dran und fand keinen Ausbildungsplatz mehr. Zunächst stand es im Raum, dass er Abitur macht, doch dann entschied er, dass er lieber etwas in der Natur machen möchte. Das Vorstellungsgespräch habe ihn schließlich überzeugt: „Die Landwirtschaft, die Tiere, das Bauen und die Gartenarbeit sind eine tolle Mischung.“
Viele Projekte haben ihm Spaß gemacht, wie er erzählt. „Wir haben zum Beispiel mit den Zugochsen im Wald Holz gerückt. Das Holz haben wir dann für die Verkleidung für einen Brunnen benutzt.“ Viktor hat wie Luisa auch einen Getreide-Acker bewirtschaftet und er hat zwei Weidenzäune gebaut. Die zeigt er auch stolz beim Rundgang auf dem Gelände. Er hat die Weiden geernet, Holzpfähle in den Boden gerammt und den Zaun dann selbst geflochten.
Viktor und Luisa haben einiges erlebt in den vergangenen Monaten. Beim weiteren Rundgang erzählen sie, wo sie überall mitgearbeitet haben. Sie berichten, wie im Mittelalter Kleidung hergestellt wurde, wie die Menschen gelebt haben, was sie gegessen haben und wie viel Spaß auch die Arbeit mit den Tieren gemacht hat. Sie kennen die Hühner, die übers Gelände streifen. Sie haben Lieblinge, über die sie sich freuen, wenn sie sehen.
Die beiden berichten davon, wie sie abends das Federvieh in den Stall bringen müssen, so dass sie vor Füchsen in Sicherheit sind – auch eine nicht immer leichte Aufgabe. Luisa und Viktor strahlen ganz besonders wenn sie zu den Schafen und zu den Zugochsen gehen. Denn auch bei der Versorgung des Viehs halfen sie regelmäßig mit. Eine besondere Verbindung hat Viktor zu „Annette“ – wie er sie liebevoll nennt – aufgebaut. Das Schaf fühlt sich auch sichtlich wohl als Viktor vor ihr kniet und sie streichelt. Auch die Massage von Luisa für „Don“, ein Rätisches Grauvieh, eine alte Rasse aus der Schweiz, genießt das Tier.
Die Zeit im FÖJ dient auch der Charakterbildung
„Unsere FÖJler sind ein wichtiger Teil unseres Teams. Sie erfahren Wertschätzung, sie bekommen aber auch Verantwortung übertragen. Das ist einfach so wenn man mit Tieren arbeitet,“ so der Leiter des Freilichtmuseums Claus Kropp. Er motiviert die jungen Menschen ihre Meinung offen zu sagen und er ist auch beeindruckt: „Sie bringen sich auch wirklich gut ein, wie beispielsweise beim Hochwasser am Rhein. Da haben sie alle mit angepackt, um die Rinder zu evakuieren.“
Neben den Veranstaltungen in Lauresham, der Tierpflege und der Landwirtschaft, helfen die FÖJler bei Forschungsprojekten mit. Es wird zum Beispiel untersucht, wie sich die Natur verändert, wenn auf Wiesen große Nutztiere gehalten werden. Das heißt, es wird unter anderem der Mist auf Laufkäfer untersucht. Dazu mussten die FÖJtler den Mist auf Käfer sieben.
„Das klingt erst mal nicht so toll, aber es schon klasse, wenn man Käfer findet, die schon als ausgestorben galten oder man entdeckt Arten, von denen keiner wusste, dass sie überhaupt hier leben.“ Da ergänzt Kropp: „Da sind wir auch beim Thema Klimawandel, dass wir dann Käfer finden, die eigentlich im mediterranen Raum leben.“
Und zu guter letzt spricht Kropp auch darüber, welch ein erhebendes Gefühl es ist, mit viel Mühe und Schweiß einen Jahreszyklus zu erleben. Das sei wichtig, um zu verstehen, was Nachhaltigkeit wirklich bedeute. Man lerne die alltäglichen Dinge wertzuschätzen. Und das sei in Anbetracht vieler Herausforderungen unserer Zeit wichtiger denn je: „Es gibt viele junge Schulabgänger, die noch Orientierung suchen. Mit einem FÖJ können sie in viele Bereiche reinschnuppern. Gleichzeitig leisten sie einen Beitrag für die Gesellschaft und den Artenschutz.“ Und so ganz nebenbei war es für Luisa und Viktor auch schön, nach der Schule endlich Geld zu verdienen. Sie bekommen 150 Euro Taschengeld, aber da sie zusätzlich noch Geld für Essen und Unterkunft erhalten,erhalten sie im Monat 741 Euro.
Ab August sind in Lauresham noch Plätze frei
Zusätzlich bietet der Träger, das HLNUG, fünf Wochenseminare an verschiedenen Orten in Hessen an. Dort machen sie Ausflüge, Experten halten Vorträge – Themen waren im aktuell Jahr zum Beispiel Biodiversität und Müll.
Beiden, Viktor und Luisa, hat das Jahr wirklich was gebracht – wie sie sagen. Luisa wird nach ihrer Zeit in Lauresham ein 13-wöchiges Vorpraktikum in einem anerkannten landwirtschaftlichen Ausbildungsbetrieb machen. Danach möchte sie an der Universität Kassel ökologische Agrarwissenschaften studieren. Vieles von dem, was sie in Lauresham gelernt hat, kann sie nun nutzen.
Viktor hat sein FÖJ etwas verkürzt. Sein letzter Arbeitstag war Ende Juni. Am 1. August beginnt er nun die Ausbildung zum Tiermedizinischen Fachangestellten. Die geht drei Jahre und nach weiteren drei Jahren kann er sich fürs Studium der Tiermedizin bewerben. Das ist sein Ziel und seine Zeit in Lauresham hat ihn darin bestärkt. Denn sein Schwerpunkt sollen Großtiere werden – und da hat er im Umgang mit den Zugochsen schon mal einiges an Erfahrung sammeln können. Beide raten allen Jugendlichen sich das Programm mal anzuschauen: „Jeder ist geeignet ein FÖJ zu machen. Es gibt ja auch Plätze, in denen man mehr in der Verwaltung und weniger draußen ist. Sollte man sich für Lauresham entscheiden, können wir zwei Tipps geben: Seid robust und habt einfach Spaß.“
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