Kolumne. Wer hat an der Uhr gedreht? Ein Satz, der mir in den Sinn kam, als ich kürzlich eine Kiste mit alten Schwarzweißfotos digitalisierte. Bilder aus den Anfangsjahren meiner Tätigkeit als Pressefotograf. Dabei fielen mir einige kleine Anekdoten aus den analogen Jahren vor der Jahrtausendwende ein, zwei davon möchte ich heute mit Ihnen teilen:
„Jetzt aber keine Fotos mehr“ – ein Satz, der mich elektrisierte. Bei einem Besuch des Martin-Buber-Hauses in Heppenheim hat der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl mir mit diesem Satz die fotografischen Füße weggezogen. Was war passiert? In einem Film käme jetzt die Einblendung „Zehn Minuten vorher“: Ich bin spät dran! Mein Puls ist wahrscheinlich bei 180. Für den Bergsträßer Anzeiger soll ich Fotos vom Besuch des Bundeskanzlers in Heppenheim fotografieren. Irgendwie ist der Wurm drin. Alle Ampeln auf Rot und dann keinen Parkplatz gefunden. Und so muss ich mit schwerer Fototasche vom Parkhof zum Martin-Buber-Haus rennen.
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Die Zeit wird knapp. Endlich erreiche ich das Haus, die Sicherheitsbeamten lassen mich dank Presseausweis und Akkreditierung hinein. Ich sehe den Kanzler am Ende des Raums stehen, ein Mann mit Knopf im Ohr sieht mich streng an, vorne Blitzlichtgewitter der Pressekollegen und dann der Satz des Kanzlers: „Jetzt keine Fotos mehr“. Ich erstarre, was tun? Ich kann unmöglich ohne Bilder in die Redaktion kommen. Also missachte ich diesen Satz, gehe nach vorne und schieße meine Bilder. Keiner wirft sich zwischen mich und den Kanzler. Ein musternder Blick von Helmut Kohl trifft mich, mehr passiert nicht. Puh, ich gehe in die Hocke, meine Kollegen grinsen mich an und mir läuft der Schweiß von der Stirn. Noch mal gut gegangen.
Anspannung vor der Ankunft von Richard von Weizsäcker
Zeitsprung! Grundsteinlegung für das Klaus-Bonhoeffer-Haus in Seeheim: Ich fahre die Straße durch den Seeheimer Wald zum Schulungszentrum der Lufthansa, überall Polizeipräsenz, es signalisiert, dass heute hoher Besuch aus Berlin erwartet wird. Bundespräsident Richard von Weizsäcker kommt nach Seeheim, um die Grundsteinlegung für den Erweiterungsbau vorzunehmen. Die Anspannung bei allen Beteiligten ist spürbar und auch ich bin ein bisschen aufgeregt, zwar weiß ich, dass die Batterien aufgeladen sind und ich auch genug Filme in der Fototasche habe, aber nach Jahren im Berufsleben weiß ich, was alles schiefgehen kann. Vom Parkplatz aus sehe ich schon das Flatterband der Baustelle und die unauffälligen Sicherheitsbeamten mit Knopf im Ohr. Der Bundespräsident ist noch nicht vor Ort. Wird aber sehnlich erwartet, nicht nur von der lokalen Politikprominenz und den Verantwortlichen der Lufthansa, sondern auch von einem Pulk von Fotografen, in den ich mich einreihe.
Im Jahre 1994 bin ich zwar acht Jahre bei der Zeitung, aber gegenüber den alten Hasen, die da vor Ort sind, immer noch ein Greenhorn. „Er kommt“, höre ich einen der älteren Fotografen neben mir sagen, und man sieht, wie sich große Limousinen in einem Konvoi von Streifenwagen nähern. Die Tür des großen schwarzen Mercedes wird von einem Sicherheitsbeamten geöffnet, Bundespräsident Richard von Weizsäcker steigt aus dem Wagen. Vor und hinter ihm seine Sicherheitsbeamten. Aus den Fenstern des Schulungszentrums schauen die Menschen in Richtung der Baustelle. Keiner möchte verpassen, wenn der Bundespräsident vor Ort ist.
Der Bundespräsident im starken Gegenlicht
Richard von Weizsäcker ist einfach eine Erscheinung, ein Gentleman der alten Schule, vom Scheitel bis zur Sohle. Freundlich begrüßt er die Menschen vor Ort. „Mist Gegenlicht“, denke ich, als wir Fotografen unseren Platz angewiesen bekommen, um die symbolische Grundsteinlegung aufzunehmen. Bei so starkem Licht hinter dem Kopf des Bundespräsidenten war die Chance, dass das Bild nicht den Erwartungen entspricht, groß – trotz Aufhellblitz. Eine Kontrolle vor Ort auf dem Bildschirm der Kamera war in der vor-digitalen Zeit nicht möglich. „Herr Bundespräsident, könnten wir uns wegen des starken Gegenlichts einmal um 180 Grad drehen und Sie von der anderen Seite aus aufnehmen?“, fragte schließlich einer der älteren Kollegen. „Ich dachte, die Fotografen mögen Gegenlicht,“ antwortet der Bundespräsident. „Nur die guten Fotografen“, erhält er als Antwort.
Der Bundespräsident lächelt und wechselt mit uns Fotografen die Seite, um nicht im Gegenlicht zu stehen. Als ich später das Bild in der Dunkelkammer entwickele, muss ich noch immer über die Spontaneität meines Kollegen schmunzeln. Und tue es 30 Jahre später wieder, als ich das Bild auf den Scanner lege, um es in meinem digitalen Archiv zu speichern.
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