Bergstraße. Wenn selbst Mark Branson Alarm schlägt, dann ist die Lage wirklich ernst. Branson ist Chef der obersten deutschen Finanzaufsichtsbehörde Bafin. „Es gibt dunkle Wolken am Horizont. Alle sehen sie. Wir wissen aber nicht, wie schwer das Gewitter wird und wo der Blitz einschlägt“, sagte er. „Eine akute kurzfristige Gefahr für die Finanzstabilität sehe ich zwar nicht – aber fragen Sie mich noch einmal in drei bis sechs Monaten. Dann kann es anders aussehen.“ Bei einer Energiekrise wäre fast die gesamte Wirtschaft betroffen, in aller Breite. Und je weiter die Inflationsrate zulegt, desto größer die Gefahr einer Rezession. Aktien wären dann noch weniger gefragt. Nutznießer wären festverzinsliche Anlagen.
Erste schwere Gewitter
Auch über den Aktien der Region, über deren Entwicklung im Aktienranking des BA regelmäßig berichtet wird, ziehen bereits dunkle Wolken auf. Und im Depot Rhein-Main mit seinen Bank- und Luftfahrtaktien sind schon die ersten schweren Gewitter niedergegangen. Das Depot gab in den vergangenen vier Wochen von einer schwachen Basis ausgehend um 14 Prozent nach.
Etwas glimpflicher lief es für die Papiere aus dem Depot Rhein-Neckar. Sie verloren nur knapp vier Prozent. Das Depot Südhessen/Bergstraße hingegen verzeichnete gegen den Trend sogar ein Plus von einem Prozent. Zum Vergleich: Der Deutsche Aktienindex Dax verlor im gleichen Zeitraum rund fünf Prozent.
Merck als Zugpferd für das Depot
Das Plus in Südhessen/Bergstraße resultierte aus einem gestiegenen Aktienkurs von Merck und weitgehend stabilen Kursen bei TE Connectivity, Dentsply Sirona und Jungheinrich. Die Aktie des Darmstädter Chemie- und Pharmakonzerns Merck hat sich von ihrem Juni-Tief erholt. Finanzanalysten sind sich allerdings nicht so recht einig, wie es weitergeht. Peter Spengler von der DZ Bank glaubt, dass die wachstums- und margenstarke Laborsparte im aktuellen Kurs nicht richtig eingepreist sei. Die Spezialisten der US-Investmentbank Goldman Sachs sind skeptischer. Trotz der unterdurchschnittlichen Kursentwicklung seit Jahresbeginn hätten andere Branchentitel mehr Potenzial. Entscheidend für die Wahrnehmung der Aktie sei eine auch dauerhaft gute Entwicklung des wichtigen Wachstumstreibers Life Science (Laborausrüstung).
Drei Regionen – drei Depots: Das Aktienranking des Bergsträßer Anzeigers
Der Bergsträßer Anzeiger hat verschiedene regionale Aktiendepots zusammengestellt und berichtet in regelmäßigen Abständen über die Entwicklung dieser (fiktiven) Geldanlagen.
Im Depot Bergstraße/Südhessen sind die Anteilsscheine des Dentaltechnikweltmarktführers Dentsply Sirona enthalten, ebenso die Papiere von TE Connectivity. Beide Konzerne sind an US-Börsen notiert. Für den besseren Vergleich werden Euro-Wechselkurse verwendet. Mit von der Partie sind die Anteilsscheine des Flurfördertechnikunternehmens Jungheinrich und des Zwingenberger Biotechunternehmens Brain. Nicht fehlen darf natürlich der Dax-Konzern Merck aus Darmstadt.
Im Depot Rhein-Neckar liegen Aktien des Softwarekonzerns SAP, des Mannheimer Energieversorgers MVV, von Südzucker, dem Schmierstoffkonzern Fuchs Petrolub sowie der BASF.
Das Depot Rhein-Main enthält Papiere der Deutschen Bank und der Commerzbank, sowie von Lufthansa und Fraport. Hinzu kommt der Bad Homburger Fresenius-Konzern. mir
Große Bergsträßer Arbeitgeber
Die Aktie von Dentsply Sirona hat ihre Verluste, die sich seit gut einem Jahr hinziehen, in den vergangenen Wochen immerhin bremsen können. Solange nicht klar ist, was bei den Ermittlungen zu zweifelhaften Geschäftspraktiken (der BA hatte berichtet) herauskommt und die nächsten Quartalszahlen besser werden, dürfte es auch mit einer nachhaltigen Trendwende der Aktie nichts werden. Zeit dafür wäre es. Das Papier ist mittlerweile am Zehnjahrestief angelangt.
Beim anderen großen Arbeitgeber an der Bergstraße, TE Connectivity, hat sich der Abwärtstrend ebenfalls verlangsamt. Allerdings ist die Aktie des Autozulieferers (Steckverbindungen, Sensoren) weit von historischen Tiefs entfernt. Das Papier notiert auf dem Niveau von Ende 2020. Und wenn die Quartalszahlen, die in zwei Wochen veröffentlicht werden, gut werden, könnte aus dem Abwärts- ein Aufwärtstrend werden. Immer vorausgesetzt, die weltpolitische Lage wird nicht noch schlechter.
Die Aktie des Gabelstaplerherstellers Jungheinrich hielt sich nach ihrem Juni-Tief zuletzt recht wacker. Beim Zwingenberger Biotech-Unternehmen Brain ging es wieder bergab. Die Gretchenfrage ist hier – wie schon so oft –, wann das Unternehmen nachhaltig profitabel ist. Vorher wird es auch nicht wieder länger bergauf gehen mit dem Aktienkurs.
Im Depot Rhein-Neckar machte dieser Tage die BASF mit guten Quartalszahlen von sich reden. Höhere Rohstoffkosten konnten in den Verkaufspreisen an die Kunden weitergegeben werden und die Öl- und Gas-Tochter Wintershall Dea profitiert vom hohen Ölpreis und steuert entsprechende Gewinne bei. Das bewahrte die Aktie aber nur kurz vor dem Sturz auf den Tiefstand der 40-Euro-Marke.
Bremse für Biosprit?
Während die BASF sich zunächst fing, ging es mit SAP weiter bergab. Der Konzern tritt nun auf die Kostenbremse und verhängte einen Einstellungsstopp. Die nächsten Quartalszahlen müssen aber auch Positives oder wenigstens Zuversicht auf der Umsatzseite ausstrahlen. Konzernchef Christian Klein ist gefordert. Denn die Aktie nähert sich einem Fünfjahrestief.
Gut entwickelt hingegen hat sich das Papier von Fuchs Petrolub, dem Hersteller von Schmierstoffen, unter anderem für Autohersteller. Oliver Schwarz von Warburg Research hebt die Wachstumschancen im klassischen Geschäft sowie im Wandel zur E-Mobilität hervor. Da die Fertigung nicht energieintensiv sei, habe ein mögliches Ende der russischen Gasversorgung kaum eine Rolle gespielt. Zudem sei das Unternehmen nach eigener Aussage nicht besonders konjunktursensibel, da es eine Vielzahl an Branchen beliefere.
Auf Südzucker könnten schwere Zeiten zukommen, wenn die Tochter Crop Energies, die Biosprit (E 10) aus Getreide herstellt, das künftig nicht mehr tun dürfte. Die deutsche Umweltministerin will das verbieten. Zudem fragt sich, ob die jüngsten Zuckerpreis-Steigerungen ausreichen, um höhere Energiekosten abzufedern.
Die Banken leiden
Im Depot Rhein-Main kam einiges zusammen – im negativen Sinne. Die Bankwerte Deutsche Bank und Commerzbank leiden unter der aktuellen wirtschaftlichen Lage. Wird die noch schlechter, dann wird es vermehrt zu Kreditausfällen kommen. Im Moment ist das Finanzsystem robust. „Die Banken haben viel mehr Kapital als früher als Verlustpuffer“, sagte Bafin-Chef Branson der Süddeutschen Zeitung. Es gebe aber einen Punkt, ab dem es gefährlich werde. „Denn man kann das Finanzsystem nicht so kapitalisieren, dass es für jegliches Horrorszenario gewappnet ist.“
Die Lufthansa-Aktie müsste eigentlich florieren. Trotz einer schwachen Verbraucherstimmung werde Geld für Reisen ausgegeben, meint Alexander Irving von Bernstein Resarch. Nachfrage sei also da, es fehle aber teilweise an Personal, so dass hier einiger Umsatz flöten gehe und Kosten entstünden. Der Gewinn geht auf Sinkflug, wie die Aktie auch.
Gelegenheit zum Einstieg
Dass man auch niedrigen Aktienkursen etwas abgewinnen kann, zeigt das Fraport-Papier. Der starke Kursrückgang schaffe eine Gelegenheit zum Einstieg, um dann von einer Restrukturierung zu profitieren, so Analyst William Fitzalan Howard von der Berenberg-Bank. Fraport hat wie die Lufthansa in der Corona-Krise tausende Stellen abgebaut und wundert sich nun, dass die Ex-Mitarbeiter anderswo arbeiten und nicht zurückkommen.
Bleibt im Depot noch Fresenius. Hier gibt es ein verheerendes Urteil von Dirk Van Vlaanderen vom Analysehaus Jefferies. Trotz des Optimismus für die Dialysetochter (Fresenius Medical Care) bleibe der Gesundheitskonzern im Ganzen „eine Wert vernichtende Anlegerfalle“. Unter anderem bleibe das Infusionsgeschäft (Kabi) Herausforderungen ausgesetzt, Investoren sorgten sich um die Verschuldung und das Gewinnwachstum bleibe wohl aus eigener Kraft begrenzt. Gnädiger ist Graham Doyle von der Schweizer Großbank UBS. Die Sparte Helios (Krankenhäuser) entwickle sich gut. Bei Kabi dürfte das zweite Quartal etwas schwächer verlaufen sein, so dass das zweite Quartal auf Konzernebene das schwächste des Jahres werden dürfte.
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