Zwingenberg. Die Bioökonomie und die Frage, ob sie als nachhaltiges und klimaschonendes Wirtschaftsmodell eine Zukunft hat, stand im Mittelpunkt der jüngsten „Liberalen Runde“, zu der die Zwingenberger FDP in den „Bunten Löwen“ eingeladen hatte. Mit Dr. Holger Zinke stand ein kompetenter, aber leicht desillusionierter Referent zur Verfügung.
Der in Bensheim geborene promovierte Biologe hat nach seinem Studium an der damaligen Technischen Hochschule in Darmstadt mit 30 Jahren in Zwingenberg zusammen mit Jürgen Eck und Hans Günter Gassen die Brain AG gegründet – ein heute börsenorientiertes Biotechnologie-Unternehmen. 2015 hatte er sich aus der Unternehmensspitze zurückgezogen und mit dem Umbau des 2013 erworbenen ehemaligen Hotels auf dem Felsberg zur Felsberg-Akademie begonnen. Hier soll im kommenden Jahr ein Refugium für kreative Köpfe aus unterschiedlichen Disziplinen an den Start gehen und bis zu acht Stipendiaten die Möglichkeit der freien Forschung geben.
„Bioökonomie wird sich durchsetzen“, ist Zinke überzeugt, hat aber seine Zweifel, ob das auch in Deutschland sein wird. Denn nach fast 30-jähriger Erfahrung am Wirtschaftsstandort Deutschland ist er nur noch „wenig enthusiasmiert“und bedauert zum Auftakt der Liberalen Runde, nicht den Stein der Weisen verkünden zu können. Es ist der Kampf David gegen Goliath, der durch noch so fleißige Arbeit im Labor die Bioökonomie nicht nach vorne bringen konnte. Nach wie vor müsse die biologische Lösung kämpfen, den Markt zu erreichen und da sei die Politik bisher nicht sehr hilfreich gewesen, verwies Zinke auf eine Initiative zur Unterstützung der Biotechnologie am Kapitalmarkt. Mit seinem Vorschlag, private Investitionen in Technologieunternehmen durch den Verzicht auf die Abgeltungssteuer zu fördern, waren in Berlin keine Mehrheiten zu finden. So gelinge es Gründern in Deutschland nicht, eine relevante industrielle Größe zu gewinnen. Gute und innovative Entwicklungen, wie beispielsweise das für Henkel entwickelte waschaktive Enzym mit einer Reinigungskraft schon bei 40 statt bei 60 Grad oder ein in Ludwigshafen entwickeltes Medikament gegen rheumatische Arthrose haben ihre Wertschöpfung nur in den großen Industrieunternehmen oder in den USA, wo jedes Jahr 50-mal mehr Kapital in die Biotech-Gründerszene fließt als hierzulande. So war der Börsengang der Brain AG im Februar 2016 an der Frankfurter Börse nicht nur das erste Unternehmen aus der Bioökonomie, sondern auch das erste Unternehmen in diesem Jahr, das zum ersten Mal Aktien angeboten hat.
Zinke bedauert es, dass es die Politik bisher nicht geschafft habe, Bioökonomie als umfassende Transformationsstrategie ins Volk zu bekommen. Stattdessen werde das Thema trivialisiert und auf einzelne Produkte reduziert, nennt er den aus Stärke hergestellten Kugelschreiber oder das Bambusfahrrad. Nicht hilfreich sei auch die in Deutschland präsente und tief sitzende Haltung, Dinge erst einmal kritisch zu hinterfragen, statt einfach mal etwas zu machen. Scheitern sollte nicht als Makel begriffen werden. Es müsste in Deutschland mehr Unternehmen wie die Brain AG geben, die Zinke als einen „Desperado“ bezeichnete, „der es geschafft“ habe.
An den theoretischen Voraussetzungen für die bioökonomische Entwicklung in Deutschland scheint es nicht zu liegen. So wurde von der Bundesregierung ein Bioökonomierat berufen, dem Holger Zinke bis 2020 angehörte und es gibt eine nationale Forschungsstrategie 2030. Die Bremse liegt in der Umsetzung bei der Industrie und auf dem Kapitalmarkt.
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