Genuss

Der Federweiße ist an der Bergstraße ein Renner

Von 
Thomas Tritsch
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Martin Simon, Geschäftsführer des Bensheimer Weinguts Mohr, mit frischem Federweißem. © Thomas Zelinger

Mit dem Ohr am Glas klingt das gärende Tosen fast wie Meeresrauschen. Jedes Jahr, wenn die Weinlese beginnt, läutet der frische Traubenmost aus frühreifenden Sorten den Herbst ein. Bekannt ist der „neue Wein“ unter anderem als Rauscher, Sauser oder Brauser. In Österreich kennt man ihn als Sturm. An der Bergstraße heißt er Federweißer.

Die Hefe wirbelt umher

Im Glas wütet reine Natur. Die Hefe sorgt dafür, dass sich der Fruchtzucker in Alkohol umwandelt. Bei diesem Prozess entsteht zudem Kohlensäure. Aber nur die Hefe ist für die Trübung verantwortlich und wirbelt dabei - ähnlich wie kleine Federn - in der Flasche und im Glas umher. Daher der Name.

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Federweißer schmeckt auf den ersten Metern zunächst recht süß und erinnert an einen spritzigen Traubensaft. Der Alkohol, etwa vier bis fünf Volumenprozent, ist kaum zu schmecken. Doch je weiter die Gärung vorangeht, desto trockener und alkoholreicher wird das noch unfiltrierte Getränk, das in der Region als klassischer Begleiter zum Zwiebelkuchen beliebt ist. Aber auch Kürbissuppe, Flammkuchen und einige herbstliche Pilzgerichte vertragen sich gut mit dem Jungspund, wenn er eine ausgewogene Balance aus Süße und Säure bietet.

Idealerweise trinkt man ihn genau zu diesem Zeitpunkt etwa auf halbem Weg vom Traubensaft zum Wein. Zum Finale der Gärung hat sich der Alkohol auf zehn bis elf Volumenprozent gesteigert. Stammt der Most aus roten Trauben, spricht man auch vom Federroten oder Rotem Rauscher. Doch der Weiße ist verbreiteter. Und beliebter.

Viele Vitamine und Mineralien

„Federweißer enthält viele Vitamine und Mineralien“, betont Geschäftsführer Martin Simon vom Bensheimer Weingut Mohr. Einer von nicht mehr allzu vielen Betrieben im Anbaugebiet, die den spritzigen Most aus eigenen Trauben herstellen. Bei Mohrs ist das momentan Müller-Thurgau. In den nächsten Tagen kommen auch Rieslingtrauben hinzu, die für mehr Säure sorgen. Durch die Kombination von Fruchtmost und aktiven Hefen entsteht in der Flasche ein Mix an Vitaminen, Spurenelementen und Mineralstoffen. Unter anderem sind das B1 und B2-Vitamine, Vitamin D, Kalium, Magnesium, Mangan, Kupfer und Eisen. Die Hefen und Milchsäurebakterien im halbfertigen und daher inhaltlich sehr lebendigen Getränk regen außerdem die Verdauung an und wirken entschlackend. Wer sich der süffigen Frische daher allzu leidenschaftlich hingibt, erlebt bald im eigenen Körper, dass man die Begriffe Sauser und Brauser auch anders deuten kann.

Kälte hält die Gärung auf

Der Geschmack hängt vom Fortschritt der Gärung ab. Beim Kauf weiß man aber nicht immer, in welchem Stadium sich der Sturm gerade befindet. Ein Probeschlückchen muss deshalb sein. Ist er noch zu süß, lässt man ihn einige Stunden bei Zimmertemperatur stehen, damit die Hefen reichlich Zucker „fressen“ können. Wenn sich der Bizzler nach eigenem Ermessen in einem optimalen Zustand befindet, kann man die Gärung im Kühlschrank ausbremsen, denn durch Kälte werden die Hefen träge. Ganz stoppen aber kann man diesen Prozess allerdings nicht, weshalb man den Frischling grundsätzlich innerhalb weniger Tage austrinken sollte.

Die Saison dauert in der Regel bis Ende Oktober. Bei Mohr ist Federweißer noch etwa zwei Wochen lang erhältlich, so Martin Simon. An diesem Wochenende (heute und morgen) widmet das alteingesessene Weingut an der Grieselstraße dem Bergsträßer Jungwein erneut ein traditionelles Hoffest. Außer Haus verkauft wird er nur noch in Einliterflaschen. Von den früher ebenfalls üblichen Kanistern ist man bei Mohr abgekommen, aus hygienischen Gründen. Da die Gärung ja in der Flasche weitergeht, ist diese normalerweise mit einer luftdurchlässigen Kapsel oder etwas Ähnlichem verschlossen, damit die Kohlensäure entweichen kann. Wer die Flaschen also ins Auto legt statt stellt, kann sich noch bis weit über die Saison hinaus am markanten säuerlichen Duft des Getränks erfreuen.

„Die Leute gieren danach“

Seit der letzten Septemberwoche verkauft auch die Bergsträßer Winzer eG in Heppenheim den neuen Wein. Geschäftsführer Patrick Staub spricht von einem Klassiker, der sich in der Region nach wie vor großer Beliebtheit erfreut: „Die Leute gieren regelrecht nach Federweißem“, sagt er und meint das nur positiv.

Anfang Oktober hatte die Genossenschaft am Verkaufsstand vor der Vinothek Viniversum an der B 3 den neuen Wein offen ausgeschenkt. Die Resonanz war gewaltig, so Staub. In Heppenheim kommt ebenfalls Müller-Thurgau in die Flasche. Aber auch die pilzwiderstandsfähige Weißweinsorte Solaris und der Silvaner werden für den Federweißen verwendet. Die Winzer eG plant das Saisonende für den 23. Oktober, vielleicht ein paar Tage später. Die Genossenschaft vermarktet den Sauser auch über den regionalen Einzelhandel.

Der Önologe betont: Federweißer braucht fast so viel Aufmerksamkeit wie Wein. Nicht nur bei der Auswahl der Trauben müssen die Winzer auf einiges achten. Die Tatsache, dass er schon so früh auf den Markt kommt, erfordert besonders frühreife Rebsorten.

Der Aufwand ist relativ hoch

Aber auch die Abfüllung ist weniger banal, als man meinen möchte. „Wenn man es gut machen will, ist der Aufwand relativ hoch“, so Patrick Staub. Denn der Federweiße kommt bei der Winzer eG nicht über die normale Abfüllanlage in die Flasche. Alles passiert per Hand. Betriebswirtschaftlich sei das durchaus relevant, so der Geschäftsführer. Zumal auch die Literpreise in der Regel zwischen drei und vier Euro recht moderat ausfallen.

Doch nicht überall, wo Federweißer draufsteht, ist auch deutscher Wein im Spiel. Um der großen Nachfrage gerecht zu werden, greifen viele Discounter auf Tankweine aus Süd- oder Süd-Osteuropa zurück, die noch bis Dezember zu Dumpingpreisen von manchmal unter zwei Euro der Liter in den Regalen liegen. Es empfiehlt sich daher, direkt beim Winzer zu kaufen - oder ganz genau aufs Etikett zu schauen. Und Ende Oktober sollte ohnehin Schluss sein mit dem Run auf den Rauscher. Jeder jahreszeitlich fixierte Genuss verliert an Geschmack und Charme, wenn man ihn übersaisonal aufbläht.

Freier Autor

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