Weinlese

Bergsträßer Winzer hoffen auf einen goldenen Herbst

Von 
Thomas Tritsch
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Bergstraße. In diesen Tagen starten die Winzer in Deutschland ihre Weinernte. Wie das Deutsche Weininstitut (DWI) erläutert, habe der recht sonnige September nach dem kühlen und regnerischen Sommer der Traubenreife extrem gut getan. Die Mostgewichte konnten in den letzten Wochen bei den Burgundersorten um bis zu 17 Grad Oechsle und beim Riesling je nach Region bis zu 21 Grad Oechsle zulegen. Bei den amtlichen Reifemessungen bewegen sich nahezu alle Sorten im Mittel bereits auf dem Qualitätsweinniveau. Beim Blick auf die Anbaugebiete fällt der Trend deutlich differenzierter aus.

Die nächsten drei bis vier Wochen werden letztlich über die Qualität und die Erntemenge des Jahrgangs 2021 entscheiden. Ein Jahr, das für die Winzer nicht nur aufgrund der Pandemie als weiteres Katastrophenjahr in die Geschichte eingehen wird. Auch der Weinbau hat - klimatisch gesehen – einen enorm wechselhaften und insgesamt sehr kalten und nassen Sommer hinter sich. Zu Frost, Pilzkrankheiten und schädlichen Fliegen kam dann noch die Flutkatastrophe im Ahrtal. Unterm Strich scheint das Weinjahr 2021 unter keinem guten Stern zu stehen. Nun hoffen die Weinbauern auf einen versöhnlichen Endspurt.

Wunschdenken bringt nichts

„In der finalen Reifephase ist die Witterung ganz entscheidend für die Jahrgangsqualität“, so die Heppenheimer Winzerin Charlotte Freiberger-Rabold. Sie wünscht sich einen möglichst trockenen und idealerweise sonnig-milden Altweibersommer. Doch die Winzertochter mit einem Master in Önologie weiß auch, dass die Träume der Winzer immer auch gegen die Launen der Natur in den Ring steigen müssen. Kurz: Wunschdenken bringt nichts. Was zählt, ist Erfahrung und eine fachkundige Einschätzung der Lage, gepaart mit einer reaktionsschnellen Flexibilität beim Heimbringen des Leseguts, dessen Reife und Gesundheit grundsätzlich an erster Stelle rangieren.

Am Mittwoch hat Freiberger die ersten Müller-Thurgau-Beeren gelesen. Eine frühreifende Sorte. Die Kollegen brauchen noch Zeit: der Riesling oder der Spätburgunder zum Beispiel. „Noch lässt sich der Jahrgang nicht bewerten“, so Charlotte Freiberger-Rabold, die nach zwei Tagen Pause am heutigen Samstag wieder mit den Lesehelfern ausrücken will. Jede Sonnenstunde am Stock zählt. Und jede Schlechtwetterfront bedeutet ein Risiko. Es ist ein Pokern mit dem Wetter. Wer schneller ist und cleverer, gewinnt. Die Winzerin geht davon aus, dass die letzten Trauben erst Mitte Oktober im Keller ankommen werden. Der klamme Sommer hat die Vegetation ausgebremst.

2021 von Beginn an schwierig

2021 war für die Weinerzeuger von Anfang an schwierig. Zuerst verzögerte das vergleichsweise kühle und niederschlagsreiche Frühjahr den Austrieb der Reben, dann richteten Spätfröste in einigen Anbaugebieten massive Schäden an. Die Hessische Bergstraße kam in dieser Hinsicht ziemlich unbeschadet davon. Im feuchten Juni wuchsen die Pflanzen dann so zügig, dass die Winzer vielerorts mit dem Aufbinden kaum nachkamen. Zudem hat die überdurchschnittliche Feuchtigkeit auch die Schädlinge sehr begünstigt. Zum einen fürchten Winzer wie Obstbauern die vor einigen Jahren aus Asien eingeschleppte Kirschessigfliege, die derzeit günstige Bedingungen zur Vermehrung vorfindet. Sie bevorzugt rote Sorten. Insbesondere beim Dornfelder hat das Insekt schon erhebliche Schäden angerichtet. Aber auch dem Sankt Laurent ist das Viech nicht abgeneigt, wie Charlotte Freiberger-Rabold bestätigt: „Wir Bergsträßer Winzer wissen ja, was sie anrichten kann.“ 2012 wurde die etwa drei Millimeter kleine Fliege erstmals im Anbaugebiet nachgewiesen. 2015 und 1016 verzeichneten die hiesigen Winzer ihretwegen teils erhebliche Ausfälle. Die Larven entwickeln sich in der Frucht und ernähren sich vom Fruchtfleisch.

Noch größere Sorge bereitet den Weinbauern der Falsche Mehltau, der in der laufenden Saison nach Einschätzung von Experten in allen Anbaugebieten merkliche Schäden anrichten und Ertragseinbußen zur Folge haben wird. Die Pilzerkrankung (Peronospora) befällt Blätter und Beeren. Sie färben sich gelblich, später blau-schwarz, schrumpfen und fallen ab. Der Pilz kann mit Fungiziden, im an der Bergstraße relativ kleinräumigen Bio-Anbau nur mit den in der Regel weniger wirksamen Kupferpräparaten bekämpft werden.

Was die erwartete Erntemenge angeht, so wagen Beobachter und Verbände bisher keine genauen Prognosen. Die Heppenheimer Winzerin geht momentan auf jeden Fall von weniger Erträgen aus.

Gefahr von Pilzbefall steigt

Bei Sebastian Jäger klingt das ähnlich. Durch den „späten Herbst“ steige die Gefahr von Pilzbefall und Fäulnis so der Junior aus dem gleichnamigen Bensheimer Weingut. Für ihn ist 2021 ein doppelt besonderer Jahrgang: Denn jetzt steht auch die erste Ernte im Weingut der Stadt Bensheim ins Haus, das im Januar von ihm und seinem Vater Michael übernommen wurde. „2020 war heiß und trocken. Jetzt haben wir das Gegenteil erlebt“, so der 24-Jährige, der in Neustadt studiert hat und zur jungen Front im kleinsten deutschen Anbaugebiet zählt.

Genauso wie Barbara Amthor aus Heppenheim, die mit ihrem Mann Patrick knapp drei Hektar Rebfläche bewirtschaftet. Die Geisenheim-Absolventin geht seit 2017 weinbaumäßig ihren eigenen Weg. Der kleine Betrieb hat dieser Tage die ersten Weißburgunder-Trauben gelesen. „Ab Mai wurde es schwierig. Wir hatten durch den Regen viel Mühe, geeignete Zeitfenster für den Pflanzenschutz zu finden.“ Auch sie kann ein Lied von der Kirschessigfliege singen.

Die gesunden Trauben auslesen

Ebenso wie Johannes Bürkle in Zwingenberg. Der Schädling macht sich an den Spätburgunder-Trauben zu schaffen. Das Team vom Weingut Simon-Bürkle ist seit gut einer Woche täglich im Weinberg. Was sie dort sehen, schaut nicht allzu erfreulich aus: in vielen Rebzeilen sind durch den verregneten Sommer Krankheiten erkennbar. Je nach Lage und Sorte in unterschiedlicher Ausprägung. „Das bedeutet eine konsequente Selektion“, so Bürkle, der aktuell noch keine Prognosen über Menge und Güte wagt. „Dafür ist es noch zu früh.“ Jetzt komme es darauf an, die gesunden Trauben auszulesen. Wenn das gut klappt, dann könnte es für den Betrieb auch quantitativ noch ein einigermaßen normales Weinjahr werden, so der Winzer.

„Die Vegetation rangiert aktuell zwei Wochen hinter der des Vorjahrs“, sagt Patrick Staub. Der Geschäftsführer der Bergsträßer Winzer eG meldet allgemein noch relativ hohe Säurewerte. „Wir warten bei vielen Sorten noch auf eine ideale physiologische Reife.“ Das Weinjahr 2021 sei definitiv eines der schwächeren der letzten Zeit – doch Staub relativiert: Es habe in der jüngeren Vergangenheit so viele Super-Jahrgänge gegeben, dass ein durchschnittliches Intermezzo natürlich stärker auffalle als in früheren Zeiten, als Kontraste eher die Regel waren. „Das ist eben die Natur“, so der Önologe und Agrarökonom, der gestern im Weinberg eines Genossen in der Lage Auerbacher Höllberg unterwegs war.

Federweißer ab nächster Woche

Von dort gab es auch positive Nachrichten zu vermelden: die handverlesenen Trauben für den Sektgrundwein der Sorte Chardonnay seien nicht weniger als „perfekt“. Hinzu kam das sonnige Spätsommerwetter. „Ein Lesetag wie aus dem Bilderbuch“, so Patrick Staub. Bleibt zu hoffen, dass von dieser Sorte noch etliche folgen werden. Die Vorlese von Müller-Thurgau und Solaris hat die Winzergenossenschaft bereits beendet. Ab kommender Woche bizzelt Federweißer.

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