Heidelberg. Die kleine Zigarettendose nimmt auf ihrem Deckel ein Ereignis vorweg, das die ganze Welt schockieren sollte. Sie zeigt den Luxusdampfer „Titanic“ – direkt neben Eisbergen auf hoher See. Tatsächlich kollidierte das Schiff auf seiner Jungfernfahrt am 14. April 1912 im Atlantik mit einem Eisberg und sank, was 1514 Menschen das Leben kostete.
Kunsthistoriker Hans-Georg Böcher ist sich sicher, dass die per Hand bedruckte Blechdose – „eine absolute Rarität“ – vor dem Unglück entstand. Eine Herstellung danach, „zur Erinnerung“, hält er für „undenkbar. Das verkennt das konservative Markenmodell aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“. Böcher muss es wissen. Er leitet das Deutsche Verpackungs-Museum, ihm zufolge das einzige seiner Art bundesweit. Mittlerweile existiert das Museum, das von der Hauptstraße aus zu erreichen ist, seit über 25 Jahren.
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Gezeigt werden etwa 2000 Objekte aus der gut 200-jährigen Geschichte der industriellen Markenartikel, von der Cola-Flasche über Generationen von Nivea-Dosen, Odol-Fläschchen und Leibniz-Keks-Packungen bis zum „Care“-Paket, mit dem die „Amis“ nach dem Krieg die Europäer versorgten. Neben Verpackungs-Maschinen und Infotafeln sind Puppenstuben mit historischen Miniatur-Waren – auch aus der DDR – zu sehen, dazu Öl- und Kaffeedosen und und und.
Vieles stammt aus der Ära des Bauhauses, zu dessen 100. Jubiläum Böcher 2019 eine Ausstellung kreiert hat. Dass es gelungen sei, Artikel aus der Welt des schnelllebigen Konsums – Pralinenschachteln, Schokolade und eine Teedose – eindeutig in Bezug zum Bauhaus zu setzen, „das war neu, das war innovativ für das Bauhausjahr“, sagt er. „Man hat immer nur die Möbel im Auge gehabt und natürlich die Architektur.“
„Die Verpackung wird nie aussterben“, sagt Böcher. Sie verleihe der Ware Wertigkeit und Prestige, mache sie ansehnlich und konserviere sie – und sei damit auch „der große Killer für die Preise, denn das Teuerste am Lebensmittel war immer der Verderb“. Erst das Einschweißen sorgte für Abhilfe. Die Verpackung, die durch viele Hände geht, dient zudem der Kommunikation und Information.
„Alpenmilch ist immer hellblau“
Mit Einführung der Selbstbedienung und den ersten Supermärkten Anfang der 1960er Jahre gibt es keine Produkt-Beratung mehr wie im Tante-Emma-Laden. „Die Verpackung hat jetzt die Verbraucheransprache übernommen und musste den Verkaufserfolg sicherstellen“, so Böcher. Es entwickeln sich neue Mechanismen im Design, „Codes“, zum Beispiel „Leitfarben“ bei Schokolade.
„Haselnuss ist immer grün und Marzipan immer weinrot, Alpenmilch ist immer hellblau – bei allen Herstellern.“ Produkte bekommen eine „Schauseite“, die „wie ein kleines Plakat“ die Botschaft transportiert. Und es gibt Illustrations-Trends: Verpackungen reagieren auf bestimmte Themen, zum Beispiel auf technologische Trends, etwa in Verbindung mit dem Auto. Heute sei Nachhaltigkeit „ein Mega-Trend“, sagt Böcher, Aber auch bei Verpackungen, die nachhaltig sein sollen, seien Verbesserungen denkbar.
Der Museumsgründung ging eine Debatte über Müll und Rohstoffe voraus. Auf der „Pro-Verpackungsseite“ habe es damals das Bedürfnis gegeben, mit den Verbrauchern darüber zu reden, wofür Verpackungen gut sind, etwa in einem Museum, sagt Böcher. Er sammelte selbst und hatte gerade ein Buch geschrieben, dann wurde er eingeladen. Sein Ansatz:
„Kein politisches Institut“ gründen, sondern nur die Geschichte der Verpackung abarbeiten, „das war noch nicht geschehen“. Bei der Gebäudesuche war die Wahl auf ein altes Kirchengebäude in Heidelberg gefallen. Das Geld ist auch heute knapp. Hohe Kosten belasten das Haus, das von der Straße aus nicht zu sehen ist. Daher öffnet es Böcher für spezielle Veranstaltungen, etwa den Deutschen Verpackungsdialog. Eines aber ist tabu: Es werde nicht für Produkte geworben, auch nicht für Geld. Werbung sei ein Leistungsversprechen: „Das geben wir nicht ab.“
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