Kultur

„Blaugelbe Brennessel“ für Krimi-Autorin Ingrid Noll

Damit ist sie die dritte Persönlichkeit, die vom Brennessel-Programmkino in Hemsbach für besondere Verdienste um den Film ausgezeichnet wird.

Von 
Thomas Tritsch
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Schriftstellerin Ingrid Noll erhielt in Hemsbach im Programmkino Brennessel aus den Händen von Kino-Inhaber Alfred Speiser die „Blaugelbe Brennessel“. © Thomas Neu

Bergstraße. Die Weinheimer Krimiautorin Ingrid Noll ist neue Preisträgerin der „Blaugelben Brennessel“ - nach Regie-Legende Michael Verhoeven und Berlinale-Direktor Dieter Kosslick.

Außergewöhnlich für eine Autorin, doch ihr Krimi „Die Apothekerin“ wurde 1997 unter der Regie von Rainer Kaufmann sehr erfolgreich verfilmt. Die 87-Jährige nahm den Preis jetzt persönlich aus den Händen von Kinochef Alfred Speiser entgegen. Die Laudatio hielt Hemsbachs Bürgermeister Jürgen Kirchner. Gestaltet wurde die Plastik von dem Auerbacher Künstler Siegfried Speckhardt.

Persönliches Qualitätssiegel

„Ich habe mir schon immer eine Brennessel gewünscht, die nicht brennt und nicht kratzt“, so Ingrid Noll augenzwinkernd. Mit ihr würdige man einen Menschen, der besonders viel für das kulturelle Leben getan hat, so Kirchner im Kinosaal. „Auch wenn sie dabei buchstäblich über Leichen gehen musste.“

Die „Grande Dame der deutschen Krimiliteratur“ habe das Genre um ihr persönliches Qualitätssiegel bereichert und mit anspruchsvollen Romanen geprägt, die Herz und Verstand der Leser erreichten. Ihre Werke zeichneten sich durch einen unverkennbaren Stil und fein gezeichnete, klare Charaktere aus, sagte Kirchner, der auch das Überleben der Lichtspielhäuser als wichtige Aufgabe bezeichnete, die noch immer unter „Long Covid“ leide.

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Viele Kinos seien noch nicht wieder richtig in Schwung gekommen. Es sei nun zu hoffen, dass das Publikum wieder zurückkehren werde. Mit Blick auf den Ort und die Region sprach Kirchner vom „Kleinod Brennessel“, das von den Menschen sehr geschätzt werde. Alfred Speiser habe sehr viel dafür getan, dass dieses klassische Kino weiterhin mit Leben erfüllt werde.

Mit dem Preis habe er in schwierigen Zeiten ein Zeichen für die Zukunft der Kinokultur setzen wollen, sagte Speiser, der auch das „Moderne Theater“ in Weinheim betreibt. „Ich habe daran geglaubt, dass es weitergehen wird.“ Das Hemsbacher Kino stehe für Regionalität und Tradition.

Ingrid Noll bestätigte dies. Sie sei seit vielen Jahrzehnten mit dem Haus verbunden. Es sei eine große Ehre, in diesem Kino, das sie so lange kenne, diese besondere Auszeichnung zu erhalten. „Diese Brennessel kommt auf meinen Schreibtisch“, sagte Noll im Anschluss an den Film „Die Apothekerin“, der am Sonntag zwei Mal gezeigt wurde. Es war ihr drittes Buch und verkaufte sich „wie geschnitten Brot“, so die Autorin über den Krimi, von dem sich zunächst nicht gewusst habe, „ob er etwas taugt oder nicht“.

Lebensprall gezeichnete Typen

Die 1997er Produktion mit Katja Riemann in der Hauptrolle (sie erhielt dafür den Deutschen Filmpreis 1998) sowie die von Jürgen Vogel und Richy Müller sehr lebensprall gezeichneten Typen entwickelte sich schnell zu einem Kassenschlager mit mehr als 1,6 Millionen Kinobesuchern. „Wenn man eine Realverfilmung zum ersten Mal sieht, ist man unzufrieden“, kommentierte Ingrid Noll recht diplomatisch den direkten Vergleich von Buch und Film aus der Perspektive der Autorin.

Der Moment, wenn die im Kopf entstehenden Figuren der Schriftstellerin mit konkreten Gesichtern dargestellt werden, sei immer problematisch - auch für den Leser. Doch mittlerweile habe sie anerkannt, dass es sich dabei um zwei zwar inhaltlich ähnliche, aber ästhetisch und dramaturgisch völlig verschiedene Formate handele.

Zudem seien Produzent und Regisseur in ihrer Auswahl der Schauspieler bisweilen stark begrenzt: „Sie müssen nehmen, was gerade verfügbar und bezahlbar ist“, sagte Noll etwas doppeldeutig, doch es folgte ein Lob an Katja Riemann, die allerdings allein rein optisch mit der spröden Apothekerin Hella im Roman wenig zu tun habe. „Im Film müssen Frauen jung und sexy sein, meine Hella ist nicht so hübsch und etwas kompliziert“, so die Autorin beim Filmgespräch mit Brennessel-Mitarbeiter Frank Krause. Sie habe den Film jetzt öfter gesehen und finde ihn nun besser als damals.

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Die Dreharbeiten fanden ab Herbst 1996 in Heidelberg, München und am Starnberger See statt. Ingrid Noll war teilweise zugegen und berichtete von einem Regen-Dreh mit der Feuerwehr vor der Heidelberger Universitätsbibliothek, von einer Katzentrainerin mit fünf Tieren und vermeintlich kostbaren Kommoden in der Film-Villa, die sich als Kulissenmöbel entpuppt haben.

Bereits das erste Treffen mit Kaufmann und Produzent Günter Rohrbach zuhause in Weinheim sei überaus kommunikativ verlaufen, auch bei der Premiere in München war Noll dabei. „Eingemischt habe ich mich nie“, so die Urheberin der Geschichte über die Entwicklung der Kinoversion.

Von Noll wurden vier weitere Romane verfilmt, zuletzt im Jahr 2000 „Kalt ist der Abendhauch“, ebenfalls von Rainer Kaufmann. Auch ihr jüngstes Werk „Tea Time“ habe diesbezüglich offenbar bereits Interesse geweckt, wie sie bei der Lesung in Heppenheim am Nachmittag andeutete. Spruchreif sei aber noch nichts.

Der Erstlingsroman erschien 1991

Nach der Preisverleihung und der Filmvorführung plauderte die Bensheimer Buchhändlerin Ingeborg Deichmann mit der Autorin über biografische und literarische Spezialitäten aus dem Leben der Schriftstellerin, die 1935 als Tochter eines Arztes in Shanghai geboren wurde und 1949 mit ihrer Familie aus Nanjing im Osten Chinas nach Deutschland zurückgekehrt war. Ihr Ehemann Peter Gullatz starb 2021.

Vor ihrer Schriftstellerkarriere versorgte sie die Kinder sowie die Mutter, die 106 Jahre alt wurde, und unterstützte ihren Mann in dessen Arztpraxis. Nachdem der Nachwuchs flügge war und das Haus verlassen hatte, erschien 1991 ihr Erstlingsroman „Der Hahn ist tot“, der auf Anhieb ein großer Erfolg wurde. „Ein Zimmer für sich allein“, zitierte sie den emanzipatorisch wegweisenden Essay von Virginia Woolf, sei auch bei ihr entscheidend gewesen, um sich konzentriert der Literatur widmen zu können. Damals war Noll bereits Mitte 50.

Ausgleich für „die 5 in Mathe“

Ihr Faible fürs Schreiben offenbarte sich bereits in der Schule. Mit ihren fantasievollen Aufsätzen habe sie „die 5 in Mathe“ ausgleichen können - und manchmal ihre Eltern in den Wahnsinn getrieben, weil sie ständig Situationen und Personen erfunden habe. Trotz 17 Romanen und Kurzgeschichten habe sie keinen Liebling, so Noll im Gespräch mit Ingeborg Deichmann. Alle Bücher seien wie ihre Kinder. Wenngleich das Baby noch ein wenig mütterlicher Pflege bedürfe.

Die Gelassenheit der erfahrenen Autorin zeigte sich auch in Nolls entspannter Reaktion auf das eher kleine Publikum im Hemsbacher Kinosaal. „So etwas kenne ich hier sonst überhaupt nicht“, so Alfred Speiser: Nach Ankündigung des Termins waren sämtliche Tickets innerhalb kürzester Zeit vorbestellt, vielen Interessenten musste der Betreiber absagen. Dass dann fast die Hälfte der reservierten Karten am Sonntag nicht eingelöst wurden, war ein wenig ärgerlich, aber keineswegs beispielhaft. Drei Stunden später in Heppenheim sah es ganz anders aus. (tr)

Freier Autor

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