Bensheim. Der Wechsel ist fix: Adil Oyan (Grüne) wird neuer Erster Kreisbeigeordneter in Groß-Gerau. Der dortige Kreistag wählte den hauptamtlichen Bensheimer Stadtrat am Montag mit den Stimmen der Koalition aus SPD, Grünen und Linke.
Für den Finanzdezernenten, der als einziger Bewerber antrat, votierten 38 Kreistagsabgeordnete, 24 stimmten dagegen, vier enthielten sich. Das Dreier-Bündnis verfügt über 37 von 71 Sitzen im Gremium, demnach müssen mindestens zwei Mitglieder aus den Reihen der Opposition für Oyan ihr Kreuz gesetzt haben, da bei der Koalition ein SPD-Vertreter entschuldigt fehlte. Wobei die genaue Verteilung der Stimmen bei geheimen Urnengängen ja immer ein bisschen Kaffeesatzleserei ist.
„Ich bin sehr glücklich“
„Ich bin sehr glücklich und mit dem Abstimmungsergebnis absolut zufrieden. Das gibt mir für den Start zusätzliche Motivation“, betonte der Erste Kreisbeigeordnete im Gespräch mit dieser Zeitung. Zumal er sich bis zum Amtsantritt nicht in Geduld üben muss. Bereits an diesem Dienstag (11.) beginnt seine neue berufliche Phase im Nachbarkreis. Er tritt damit die Nachfolge seines Parteifreunds Walter Astheimer (72) an, der nicht mehr kandidierte und seit Anfang Oktober im Ruhestand ist.
Die Ernennungsurkunde erhielt Oyan am Montagnachmittag im Rahmen der Sitzung, sein Dienstverhältnis in Bensheim erlischt damit automatisch. Formal wird ihm noch die Entlassungsurkunde überreicht. Ende November soll es eine offizielle Verabschiedung geben.
„Ich bin mir bewusst, dass es viele Erwartungen gibt, große und kleine. Auf jeden Fall unterschiedliche und von Ihnen allen. Dazu kann ich Ihnen sagen, dass es mein Ziel sein wird, immer das Beste für diesen Landkreis zu erreichen“, erklärte Oyan in seiner Antrittsrede vor dem Kreistag. Man werde sich beim Ziel eher einig sein als bei der Frage, wie es erreicht werden kann. „Lassen Sie uns auf der sachlichen Ebene auch für den besten Weg streiten“, schlug der 56-Jährige vor.
Er habe sich bei seiner Bewerbung bewusst für den Landkreis entschieden. Dieser suche mit seiner Vielfalt bundesweit seinesgleichen. Sei es die landschaftliche mit viel Landwirtschaft auf der einen, aber zudem sehr wichtigen Naturschutzgebieten auf der anderen Seite. Die Vielfalt der Flora und Fauna ebenso wie die Vielfalt in der Zusammensetzung der Bürgerschaft „und nicht zuletzt die ohnehin vielfältigen Herausforderungen, die zurzeit zu bewältigen sind. Stichworte sind hier: Energie, Klima, Gesundheit, Inflation“, fasste der neue Vize-Landrat zusammen.
Kein leichter Abschied
In Groß-Gerau konnte Adil Oyan auf Unterstützung aus der Heimat zählen. Neben seiner Frau Ulrike waren Mitarbeiterinnen aus dem Rathaus und Freunde zugegen. „Das hat mich sehr gefreut und schon ein bisschen geholfen.“ Bei aller Freude schwang am Montag eine ordentliche Portion Wehmut mit, der berufliche Abschied aus Bensheim fällt trotz allem schwer. „Es war ja nicht alles schlecht, ganz im Gegenteil. Wir haben vieles erreicht und umsetzen können.“ Nur die letzten eineinhalb Jahre seit der Kommunalwahl hätten „leider nicht mehr ganz so viel Spaß gemacht“, spielte der Berufspolitiker auf die Auseinandersetzungen mit der Koalition an.
Oyans Tage an der Bergstraße waren bekanntlich gezählt. Nach besagter Kommunalwahl 2021 legte die neue Koalition aus CDU, SPD und FDP, vornehmlich auf Druck der beiden kleineren Partner, fest, die Stelle des zweiten Hauptamtlichen im Rathaus nach Auslaufen der Amtszeit nicht mehr zu besetzen und einzusparen. Bis Ende November 2023 hätte der Stadtrat demnach noch Dienst in Bensheim versehen können. Als sich die Option mit Groß-Gerau bot, griff der gebürtige Wiesbadener allerdings zu.
Der interne Auswahlprozess bei den Grünen erwies sich letztlich etwas komplizierter und langwieriger als von Oyan und den dortigen Verantwortlichen gedacht. Eine Findungskommission hatte den Bensheimer Stadtrat bereits als potenziellen Nachfolger auserkoren (wir haben berichtet).
Allerdings erhielt der Wahl-Bensheimer bei einer Mitgliederversammlung Ende März in Büttelborn keine Stimmenmehrheit. Stattdessen setzte sich in einem ersten Wahlgang knapp Gegenkandidat Sebastian Wispel durch, der kurzfristig seinen Hut in den Ring geworfen hatte. Weil der aber die erforderliche absolute Mehrheit verfehlt hatte, wurde die Entscheidung vertagt.
Es folgten daraufhin im Sommer drei parteiinterne Regionalkonferenzen, bei denen die beiden Kontrahenten sich selbst und ihre Ideen den Mitgliedern vorstellen konnten. Zum Abschluss gab es Ende Juni eine weitere Mitgliederversammlung, bei der Oyan die meisten Stimmen auf sich vereinen konnte.
Der Abschied aus dem Rathaus läutet dort eine Zäsur ein. Erstmals wird es neben der Bürgermeisterin nur noch ein hauptamtliches Magistratsmitglied geben, die Erste Stadträtin Nicole Rauber-Jung (CDU). Sie und Christine Klein müssen nun die Aufgabenbereiche von Oyan unter sich aufteilen. Der bisherige Finanzdezernent kam im Winter 2011 für den nach Heppenheim abgewanderten Matthias Schimpf in die Verwaltung. 2017 wurde er knapp wiedergewählt.
Mit den Bensheimer Finanzen und der Präsentation des Haushaltsplanentwurfs wird sich ab sofort aller Voraussicht nach die Rathauschefin befassen dürfen. Der frisch gewählte Erste Kreisbeigeordnete hingegen wird am Dienstagvormittag zur Übergabe an alter Wirkungsstätte aufschlagen („das Büro ist schon ausgeräumt“) und sich danach in den Zug nach Groß-Gerau setzen. Für solche Situationen wurde der Begriff „fliegender Wechsel" erfunden.
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