Stadtparlament

Viele Herausforderungen für Bensheims Finanzen

Von 
Dirk Rosenberger
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Der Bensheimer Stadtrat und Finanzdezernent Adil Oyan wurde am Montag zum Ersten Kreisbeigeordneten in Groß-Gerau gewählt. © Zelinger

Bensheim. Für den diplomatischen Dienst hat sich Stadtrat Adil Oyan (Grüne) mit seiner Rede in der jüngsten Stadtverordnetenversammlung nicht beworben.

Der Finanzdezernent äußerte sich ausführlich zum Haushaltssicherungskonzept und einem umfangreichen Prüfauftrag dazu, der im Dezember auf Betreiben der Koalition aus CDU, SPD und FDP auf den Weg gebracht wurde. Zielsetzung: Den Etat spätestens 2024 ausgleichen (und das dauerhaft) und die Hebesätze bei der Grund- und Gewerbesteuer auf ihre bisherige Höhe zurücksetzen.

Früher fertig als vorgeschrieben

Bis zur Einbringung des Haushaltsplanentwurfs 2023 sollte der Magistrat die Ergebnisse der Untersuchungen vorlegen. Im Rathaus war man allerdings früher als vorgeschrieben fertig, so dass Oyan angekündigte, die Ausarbeitung (67 Seiten plus 106 Seiten mit Anlagen) werde den Kommunalpolitikern rechtzeitig vor der Sommerpause zugestellt.

„Lesenswert ist das Elaborat allemal. Wobei zu befürchten gilt, dass sein Inhalt verhallen wird. Daher liegt es an Ihnen, ob aus dem Papier ein Papiertiger wird oder es tatsächlich dazu dient, die Haushaltswirtschaft der Stadt Bensheim dauerhaft leistungsfähig zu machen. Dazu gehört die bekannte Abwägung des Notwendigen und Wünschenswerten“, bemerkte der 55-Jährige.

<p>„Herr Eschborn (Fraktionschef der FDP, Anm. d. Redaktion) hätte sich gefreut, wenn der Stadtkämmerer den Zwischenbericht bereits früher vorgelegt hätte. Tut mir leid, dass ich Ihnen keine Freude machen konnte, indem ich einen Zwischenbericht schon im März vorgelegt habe, mit dem Sie genau nichts hätten anfangen können, außer sich vielleicht zu freuen.“</p> <p>„Ich habe ja Verständnis dafür, dass Sie mit dem Finger auf andere zeigen müssen, um von sich abzulenken. Zukünftig muss aber jemand anderes dafür herhalten. Immerhin werde ich Ihnen aller Voraussicht nach den Gefallen tun, mehr als 13 Monate früher zu gehen als vorgesehen. Bevor Sie zu rechnen anfangen: Es wäre der 11. Oktober. So können Sie auch schon im Haushalt 2023 sehen, welch durchschlagenden Effekt die Nichtbesetzung des weiteren Stadtrats haben wird.“</p>

Er erinnerte zuvor daran, dass die mehr als 40 Änderungsbeschlüsse zum Haushalt 2022 diesen um 63 000 Euro verschlechtert hätten und das auf Kosten des Klimaschutzes. „Keine Rettung, schon gar keine Sanierung“, kommentierte Oyan und kritisierte, dass von der Stadtverordnetenversammlung keine Mittel zur Verfügung gestellt wurden, um die Prüfaufträge mit eigentlich notwendiger externer Unterstützung abzuarbeiten. Dennoch habe man in der Verwaltung „einmal mehr Unmögliches sofort erledigt“.

Zu große Erwartungen wollte der Stadtrat aber nicht schüren. Ausgaben werde man nicht massiv und schon gar nicht nachhaltig senken können. Bei den Einnahmen stoße die Kommunalpolitik früher oder später an ihre Grenzen. Die hohe Inflation sieht Oyan als eines von mehreren Problemen an. Sie führe beispielsweise zu einem Anstieg bei den Sach- und Dienstleistungen im siebenstelligen Bereich. Hinzu komme die Tarifentwicklung, was dazu führe, dass die in der Ausarbeitung des Haushaltssicherungskonzepts aufgeführten Verbesserungen von 2,3 Millionen Euro „aufgefressen werden, bevor der erste Beschluss gefasst ist“.

Unsichere Prognosen

Prognosen für die nahe und mittlere Entwicklung der kommunalen Finanzen in Hessen seien so unsicher wie kaum jemals zuvor. Als Gründe führte der Dezernent unter anderem eine Verschlechterung der realwirtschaftlichen Perspektiven durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine an, angespannte Lieferketten, Belastungen der Städte und Gemeinden durch Entlastungspakete des Bundes, Energieengpässe (Stichwort Gasversorgung) – und nicht zuletzt die Corona-Pandemie.

Realistisch betrachtet müsse man daher für die kommenden Haushaltsberatungen erwarten können, dass keine weiteren und schon gar keine freiwilligen Ausgaben hinzukommen. „Wenn Sie das ausnahmsweise schaffen, können Sie froh sein“, meinte Oyan. Beispielhaft nannte er den Grundsatzbeschluss für einen Bewegungspark nördlich der Taunusanlage, „eine tolle Bereicherung für Bensheim“.

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Die Umsetzung werde aber mittelfristig zu neuen Belastungen im Haushalt führen. Betrieb und Unterhalt müsse man sich nicht nur leisten wollen, sondern ebenso können. „Sie wollen den Bewegungspark, ich will den Bewegungspark, dann müssen wir alle gemeinsam mit den Bensheimerinnen und Bensheimern diesen auch bezahlen wollen“, so Oyan.

Die Fraktionen müssen sich seiner Ansicht nach von der Fantasie trennen, die Steuersätze kurzfristig wieder senken zu können. Der Stadtrat verwies exemplarisch auf notwendige Investitionen in die kritische Infrastruktur und in die IT-Sicherheit, beides keine Schnäppchen. Dennoch dürfe Stillstand keine Option sein. Der Weg sei sicherlich beschwerlich, man dürfe jedoch nicht vergessen, dass alles nicht zum Selbstzweck oder aus Langeweile gemacht werde.

„Wir machen es, weil wir wollen, dass diese schöne Stadt zukunftsfähig bleibt, dass sie ihren Bürgerinnen und Bürgern bietet, was sie verdienen. Und das kostet in der Regel Geld.“ Es sei daher mehr als legitim, die Nutznießer an den Kosten zu beteiligen. Bei diesen handele es sich nun mal um die Bürger und die Gewerbetreibenden. Interessanterweise sei der Widerstand gegen die jüngsten Steuererhöhungen im politischen Raum wesentlich massiver als bei den Betroffenen selbst gewesen. Diese hätten offenbar mehr Verständnis für die „notwendigen Maßnahmen“ aufgebracht.

Steigende Betreuungskosten

Der Finanzdezernent sprach mehrere Herausforderungen an, vor denen Bensheim stehe. Ganz oben auf der Liste führte er die Kosten für die Kinderbetreuung an, die nicht nur wegen der Inflation, sondern wegen des gestiegenen Bedarfs steigen. Daraus leitete er die schwierige Aufgabe ab, Angebote für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zu schaffen, wenn die Stadt immer jünger werde.

Darüber hinaus müsse massiv in die städtischen Immobilien investiert werden. „Jedenfalls in diejenigen, die am Ende dieses Konsolidierungsprozesses noch im städtischen Eigentum sind. Da wage ich zu prognostizieren: alle.“ Ein „neues Rathaus“ schloss Oyan in seine Ausführungen ebenfalls mit ein, verbunden mit der Hoffnung, dass niemand glaube, eine Sanierung käme günstiger. Integration von Geflüchteten, Digitalisierung, EDV-Infrastruktur und „die große Wunschkiste mit immer neuen Zuschüssen oder Räumen für Vereine“ fügte er ebenso an.

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„Selbst wenn es Ihnen gelingt, den einen oder anderen Euro einzusparen. Es warten noch viel mehr Euro darauf, in etliche mindestens so wichtige und dringende – wenn nicht dringendere – Aufgaben investiert zu werden“, sagte Oyan in Richtung der Fraktionen.

Diese hätte in einem „beispiellosen Aktionismus“ Aufgaben zur Haushaltskonsolidierung formuliert und beschlossen, „in der Unterstellung, dass ich als Verantwortlicher nicht genug getan hätte“. Die Wirklichkeit sehe, wenn man sich die schnell und unproblematische Haushaltsgenehmigung ansieht, anders aus. Diese sei nicht wegen der politischen Beschlüsse, sondern trotz dieser möglich gewesen.

In der 173 Seiten starken Aufarbeitung stecke viel Zusatzarbeit der gesamten Verwaltung, besonders des Teams Finanzen. Unterm Strich möge das Dokument vielleicht umsonst gewesen sein, der Stadt habe es aber eine Menge Geld gekostet. „Ob diese Rede nun gespickt mit Weisheiten oder schlicht eine Provokation war, wird sich nach der Sommerpause zeigen, wenn Sie mich eines Besseren belehren oder eben auch nicht“, schloss Oyan seine Ansprache.

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