Bensheim. Adil Oyan steht seit Ende November 2011 in Bensheim als hauptamtlicher Stadtrat in der Verantwortung. Seine Zeit im Rathaus neigt sich aber dem Ende entgegen. Die Koalition aus CDU, SPD und FDP will den Posten nicht weiter besetzen, wenn die Amtszeit des Grünen-Politikers 2023 ausläuft. In der größten Stadt des Kreises gibt es dann erstmals nur zwei Hauptamtliche im Magistrat – Bürgermeisterin Christine Klein und Erste Stadträtin Nicole Rauber-Jung.
Soweit, so bekannt. Aktuell zeichnet sich allerdings ab, dass der 55-Jährige sich vor dem 30. November 2023 aus Bensheim verabschieden könnte (wir haben kurz berichtet). Oyan will sich um die Stelle des Ersten Kreisbeigeordneten in Groß-Gerau bewerben. Der aktuelle Amtsinhaber Walter Astheimer (Grüne) geht im Oktober in Ruhestand.
Eine Findungskommission der dortigen Kreis-Grünen hatte Oyan bereits als potenziellen Nachfolger auserkoren. Allerdings erhielt der hiesige Finanzdezernent bei einer Mitgliederversammlung am Mittwoch in Büttelborn keine Stimmenmehrheit. Stattdessen setzte sich in einem ersten Wahlgang knapp Gegenkandidat Sebastian Wispel durch, der offenbar kurzfristig seinen Hut in den Ring geworfen hatte.
Der Jurist und Kommunalpolitiker aus Riedstadt vereinte 16 Stimmen auf sich, Oyan kam auf 14. Nach einer Sitzungsunterbrechung und langen Diskussionen kam man zum Schluss, vier Regionalkonferenzen abzuhalten, bei denen sich die Kontrahenten den Ortsverbänden vorstellen sollen. Final wird dann eine weitere Mitgliederversammlung über die Kandidatur befinden.
Ob der Bensheimer Stadtrat letztlich nach Groß-Gerau wechseln wird, hängt aber nicht nur von diesem Votum ab. Sollte Oyan die Grünen im Nachbarkreis überzeugen können, gibt es wie üblich in solchen Fällen eine Ausschreibung, abschließend müsste der Kreistag am 4. Juli offiziell zur Tat schreiten und wählen.
Mehrheit von drei Stimmen
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linken in Groß-Gerau ist allerdings festgelegt, dass die Grünen ein Vorschlagsrecht für den Ersten Kreisbeigeordneten haben. Heißt in der Praxis: Wer sich intern bei der Partei durchsetzt, hat den Posten in aller Regel in der Tasche. Das rot-rot-grüne Bündnis verfügt aber nur über eine Mehrheit von drei Stimmen – und wie eng es bei den geheimen Urnengängen zugehen kann, weiß man in Bensheim nur zu gut.
In der Bensheimer Stadtverordnetenversammlung hat Adil Oyan in einer persönlichen Erklärung am Donnerstabend jedenfalls auf seine persönliche weitere Karriereplanung hingewiesen und seine Bewerbung auch in seiner Wahl-Heimat öffentlich gemacht. Die Rede nutzte er auch, um erstmals öffentlich deutlich zu machen, was er davon hält, dass CDU, SPD und FDP seine Stelle einsparen wollen.
„In meiner Position muss man solche Angriffe, und das ist im Grunde ein Angriff, denn es sagt ja aus, dass meine Stelle entbehrlich wäre, aushalten.“ Was viel schwerer als sein persönliches Schicksal wiege, sei die Frage, wie sich das auf die Stadtgesellschaft und im Rathaus auswirke. „Das sollten sich diejenigen überlegen, die solche Sätze formuliert haben“, so Oyan.
Die Entscheidung, dass sein Posten entbehrlich sei, habe ihn dazu bewogen, Konsequenzen zu ziehen, spielte er auf Groß-Gerau an. Der Zeitpunkt sei für ihn in Ordnung, weil aus seiner Sicht die Hauptaufgaben getan sind. Der Masterplan 100 Prozent Klimaschutz sei zum größten Teil umgesetzt, der Haushalt sei konsolidiert worden – und die Stadt habe das Kompass-Sicherheitssiegel erhalten. „Bensheim ist in Sachen Sicherheit eine gut aufgestellte Stadt“, bilanzierte der Dezernent.
Es gebe auch bei diesen Punkten natürlich noch viel zu tun. „Und ich habe immer noch Spaß daran, auch wenn das nicht immer so wirken mag. Ich würde gerne einige angestoßene Projekte weiterverfolgen, vielleicht werde ich das auch noch können.“
Zu seiner möglichen Zukunft als Erster Kreisbeigeordneter erwähnte er im Stadtparlament, dass er in der engeren Wahl sei, es einen Gegenkandidaten gebe. „Egal, wie es ausgeht: Ich freue mich hier auf die weitere Zusammenarbeit und werde bis zum Ende meiner Zeit hier meine Aufgaben selbstverständlich erfüllen“, beendete Adil Oyan seine Erklärung.
Auf Nachfrage dieser Zeitung sagte der 55-Jährig am Freitag, dass es kein Geheimnis sei, dass seine Zeit in Bensheim absehbar endet. Daher dürfte es niemanden überraschen, dass er sich über seine berufliche Zukunft Gedanken mache.
„Das Amt in Groß-Gerau mit dem derzeitigen Zuschnitt Bauen, Umwelt, Verkehr sowie Gesundheit und Soziales bringt große Verantwortung mit sich und entspricht meinen Vorstellungen und Fähigkeiten. So scheint der richtige Zeitpunkt gekommen, meine Erfahrungen zu nutzen, um mich neuen Herausforderungen zu stellen“, erläuterte der gebürtige Wiesbadener.
„Professionelle Arbeit“
Die Findungskommission habe er in drei ausführlichen Gesprächen, die mit ihm geführt wurden, als äußerst professionell erlebt. Das Gremium setzt sich aus Mitgliedern des Kreisvorstands, der Kreistagsfraktion und der örtlichen Landtagsabgeordneten zusammen. Dass in letzter Sekunde bei der Mitgliederversammlung jemand zusätzlich kandidiert, „habe ich zwar nicht erwartet, gleichwohl aber auch nicht ausgeschlossen. Es ist zulässig und gehört zum demokratischen Prozess. Dass es ein Kandidat ist, der schon im Bewerberverfahren war und nicht zum Zug gekommen ist, habe ich erst nachher erfahren“, blickte Oyan auf den Mittwochabend zurück.
Die nun anstehenden Regionalversammlungen würden ihm die Gelegenheit geben, sich und sein Konzept einer breiteren Mitgliedschaft vorzustellen und auch mehr Mitglieder und ihre Anliegen kennenzulernen. „Das kann für die künftige Arbeit nur von Vorteil sein. Wie es ausgeht, wird sich zeigen. Wer in einen Bewerberprozess einsteigt, muss natürlich auch damit rechnen, dass es nicht klappt“, bemerkte der Familienvater abschließend.
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