Bergstraße. In den Bergsträßer Flüchtlingsunterkünften droht es eng zu werden. Wie Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf (Bündnis 90/Die Grünen) im Gespräch mit dieser Zeitung erläuterte, sollen dem Kreis nach der Planung des Landes Hessen bis zum Jahresende noch knapp 900 Schutzsuchende zugewiesen werden. Zwar rechnet der Dezernent damit, dass die bestehenden Unterkünfte zusammen mit weiteren noch zu schaffenden Plätzen diesen Andrang noch gerade so auffangen können. Er fragt sich aber auch, was nach dem Jahreswechsel kommt: „Das hört nach dem 31. Dezember nicht einfach auf“, gibt er zu bedenken.
Nur 20 Prozent aus der Ukraine
In etwa bis zum August seien es vor allem Geflüchtete aus der Ukraine gewesen, die neu in den Kreis Bergstraße kamen, führt Schimpf aus. Zwischenzeitlich haben sich die Verhältnisse verändert: Nach Zahlen des Hessischen Landkreistags machen Ukrainer noch 20 Prozent derer aus, die in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen ankommen, um von dort ihre Weiterreise in die Landkreise und kreisfreien Städte anzutreten. Die übrigen 80 Prozent kommen aus Afghanistan, der Türkei, Syrien und anderen Staaten. Schimpf rechnet auch damit, dass sich künftig mehr Menschen aus Iran auf den Weg nach Deutschland machen.
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Für den Kreis Bergstraße stünden Zuweisungen von insgesamt etwa 80 Personen pro Woche an. In der Kreisspitze sorgt das für Kopfzerbrechen. Den bis zu 900 zu erwartenden Neuankömmlingen stehen etwa 630 Plätze im Bensheimer Zeltdorf gegenüber, die bei einem Ausbau geschaffen werden könnten, um die dortige Kapazität auf 1000 zu erhöhen. Hinzu kämen rund 100 weitere, die ab Anfang November in einer neuen Gemeinschaftsunterkunft in Heppenheim zur Verfügung stehen, und etwa 230 Plätze, die kurz vor dem Jahresende in einer Liegenschaft in Groß-Rohrheim eingerichtet werden sollen, wie der Kreisbeigeordnete mitteilt. Eine ziemlich knappe Rechnung.
„Der Markt ist leer gefegt“
„Wir werden im kommenden Jahr noch eine weitere größere Liegenschaft zur Unterbringung von Flüchtlingen brauchen“, ist Schimpf überzeugt. Das werde schwierig. Der Markt für passende Flächen sei leer gefegt, genauso dürftig sei das Angebot an Privatwohnungen. Turnhallen, Bürgerhäuser und andere öffentliche Gebäude sollen möglichst nicht als Unterkünfte herhalten. Und es sei zumindest kurzfristig auch keine Lösung, Container aufzustellen, betont der zuständige Dezernent. Auch dafür brauche es erstmal große Flächen – nicht nur für Wohncontainer, sondern auch für Duschen, Lagerräume und weitere Einrichtungen – und eine Infrastruktur, den Zugang zu Strom und Wasser.
Das Luisenkrankenhaus in Lindenfels ist praktisch voll, zudem sollen dort nur ukrainische Flüchtlinge einziehen. Das hat auch mit den Leistungsansprüchen von Neuankömmlingen zu tun. Während Geflohene aus der Ukraine dieselben Leistungen beziehen können wie Hartz-IV-Empfänger, wird normalerweise bei anderen Zugereisten zunächst das Asylbewerberleistungsgesetz zugrunde gelegt.
Zahlen, Daten, Fakten
Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges sind nach Angaben des Kreisbeigeordneten Matthias Schimpf 3405 Menschen aus dem Kriegsgebiet in den Kreis Bergstraße zugewandert (Stand 14. Oktober). Einige seien mittlerweile wieder zurückgekehrt oder woandershin gezogen. Aktuell seien 2624 ukrainische Flüchtlinge im Kreis gemeldet.
Stand 15. Oktober befanden sich außerdem 2233 Personen aus weiteren Staaten im Kreis Bergstraße, die Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz haben. Davon sind 1722 in Sammel- oder Notunterkünften untergebracht. Hinzu kommen 605 Bleibeberechtigte, die mittlerweile ebenso wie ukrainische Flüchtlinge Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 2 empfangen können. Nur 511 Asylbewerber oder sonstige dem Kreis zugewiesene Personen leben in privaten Wohnungen.
Im Zeltdorf am Bensheimer Festplatz sind derzeit 262 Geflüchtete aus der Ukraine und 109 Asylbewerber anderer Nationalitäten untergebracht. Insgesamt könnten dort bis zu 1000 Plätze geschaffen werden.
Im ehemaligen Lindenfelser Luisenkrankenhaus wohnen 316 Ukrainer. Damit sind die dortigen Kapazitäten nach Angaben Schimpfs bis auf wenige Plätze ausgeschöpft, ebenso wie in den meisten anderen vorhandenen Unterkünften. kbw
Um die Verwaltungsabläufe zu vereinfachen, würden deshalb ukrainische Flüchtlinge von jenen aus anderen Ländern in der Regel getrennt untergebracht, sagt Schimpf. Im Bensheimer Zeltdorf wohnen derzeit trotzdem nicht mehr nur Schutzsuchende aus der Ukraine – weil anderswo schlicht kein Platz mehr ist, wie der Kreisbeigeordnete verdeutlicht. Inzwischen sei das Zeltdorf meist die erste Unterkunft für Flüchtlinge, die im Kreis Bergstraße ankommen.
Wann das Hotel am Bruchsee in Heppenheim als Bleibe für 100 bis 150 Geflüchtete zur Verfügung steht, ist ebenfalls noch nicht klar – und auch nicht, wie es genau belegt wird, ob dort etwa ukrainische Familien oder alleinstehende Menschen aus anderen Staaten Zuflucht finden sollen. Der Kreis Bergstraße hatte die Immobilie im Sommer gekauft.
„Kommunen in der Pflicht“
Beim Versuch der Linderung dieser Platzprobleme sieht Schimpf auch die Städte und Gemeinden in der Pflicht. Anders als andere Kreisverwaltungen verteile jene mit Hauptsitz in Heppenheim die Zuwanderer nicht einfach auf die Kommunen, sondern organisiere dort weiter ihre Betreuung. Im Gegenzug erwarte er nun zum einen, dass die Rathauschefs Grundstücke für größere Unterkünfte suchen und melden. Zum anderen sieht er einen Lösungsweg darin, Menschen aus den Sammelunterkünften in den Kommunen schnell private Wohnungen und Unterstützung zu verschaffen. Derzeit wohnten in den Flüchtlingseinrichtungen des Kreises noch über 600 Personen mit Bleiberecht, die in eine private Wohnung ziehen könnten, aber keine finden. Gleichzeitig müsse auf Landesebene darüber gesprochen werden, die Kapazitäten in der Erstaufnahmeeinrichtung zu erhöhen.
Größere Probleme als 2015/16
Alles in allem seien die Probleme größer als jene in den Jahren 2015 und 2016, als große Migrationsbewegungen für eine Krise der Verwaltungen sorgten, fasst Schimpf zusammen. Es stünden weniger Flächen als damals zur Verfügung, parallel sei der Kreis mit hohen Energiekosten konfrontiert. Zudem sorgt sich der Dezernent vor einem Mangel an Fachkräften in der Verwaltung, die qualifiziert sind, die Flut an Papier und Dateien abzuschöpfen, die aus der Betreuung der Zugereisten entsteht. Vor diesem Hintergrund könne die steigende Belastung „irgendwann auch zu Qualitätseinbußen führen“, warnt der Kreisbeigeordnete – schlechtere Erreichbarkeit und längere Dauer von Arbeitsprozessen inklusive.
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