Jahrzehntelang wird bereits darüber diskutiert: Sollte Cannabis legalisiert werden? Doch jetzt - durch die Befürworter aus den Reihen der SPD, FDP und der Grünen und Verhandlungen über eine Ampelkoalition auf Bundesebene -könnte daraus tatsächlich Realität werden. Aus diesem Anlass hat sich die Redaktion mit Nikita Girard, Sozialarbeiterin und stellvertretende Fachbereichsleiterin, und Adrian Steier-Bertz, Fachbereichsleiter der Prisma Suchthilfe und Prävention in Lampertheim getroffen.
Ob sie für eine Legalisierung der Droge sind oder dagegen? Schnell wird klar, dass sie sich nicht kategorisieren lassen möchten. „Wir sehen diese Frage nach der Legalisierung von Cannabis differenziert, aus verschiedenen Blickwinkeln“, so Girard. „Für uns ist das keine Stimmungsfrage. Uns geht es um die Menschen, die Betroffenen“, betont Steier-Bertz.
Denn mit ihnen haben sie persönlich Kontakt. Und dabei zeige sich, wie groß das Thema bereits jetzt ist: „Wenn Betroffene zu uns kommen, dann geht es etwa in jeder vierten Beratung um Cannabis.“ Wenn sich Angehörige von Betroffenen melden, dann drehe sich jedes dritte Gespräch darum. Betroffen seien vor allem jüngere Bergsträßer, ältere Bürger im Kreis haben stattdessen mehr Probleme mit Alkohol.
„In unserer Arbeit sehen wir, dass Konsumenten zum Teil gravierende soziale Konsequenzen zu tragen haben“, so Steier-Bertz. Dazu gehörten polizeiliche Ermittlungen, Prozesse mit Strafmaßen von Beratungsauflagen bis hin zu (Bewährungs-)Haftstrafen und Schulverweise von bekannt gewordenen Cannabis-Konsumenten.
Teilweise traumatisierende Folgen
Das sei nicht nur stigmatisierend, sondern wirke sich negativ auf die weitere Entwicklung der Jugendlichen aus. Teilweise erfahren junge Konsumenten traumatisierende Folgen, wie Girard und Steier-Bertz aus Gesprächen wissen: hervorgerufen durch beispielsweise Festnahmen, Ermittlungen und Verurteilungen durch ein teilweise überhartes Vorgehen. Eine bundeseinheitliche Regelung fehle hier.
„Einige Klienten haben durch den Konsum zum Beispiel auch ihren Führerschein, die Lehrstelle oder den Arbeitsplatz verloren, andere ihren Partner oder andere Bezugspersonen. Der Konsum von Cannabis kann auch zu einer Abhängigkeit führen. Das ist vielen nicht wirklich bewusst“, berichtet Girard.
Eine Qualitätskontrolle fehlt bisher
„Wir sehen außerdem ein erhebliches Risiko durch die unregulierte Verfügbarkeit von Cannabisprodukten auf dem Schwarzmarkt, die keinerlei Qualitätskontrollen unterliegen“, betont sie. Dass in diesen Fällen weder Informationen über den Gehalt und die Zusammensetzung der Wirkstoffe THC und CBD vorliegen noch über mögliche Streckmittel und weitere beigefügte psychoaktive Substanzen, stelle ein großes gesundheitliches Risiko für die Betroffenen dar. Daher sei eine Regulierung des Marktes besonders wichtig. Dennoch sei fraglich, ob Betroffene auf teureres Cannabis aus der Apotheke zurückgreifen würden, wenn sie auf dem Schwarzmarkt ein Gramm derzeit für rund 8 Euro bekommen.
Dass vor allem jüngere Menschen betroffen seien, sei in sofern bedenklich, da die Schädigungsmöglichkeit bei ihnen viel größer sei, als bei Älteren. „Das hat damit zu tun, dass der Hirnreifungsprozess mit 18 Jahren noch nicht abgeschlossen ist“, erklärt Girard. „Generell kann man sagen: Je älter, desto besser“, betont Steier-Bertz in Bezug auf eine Altersfreigabe und -beschränkung für Konsumenten.
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Ein großes Problem sehen Steier-Bertz und Girard daher im Bereich der Prävention: „Jugendliche sind zwar informiert, allerdings einseitig“, erklärt die Sozialarbeiterin, die sich beruflich auch intensiv mit Medienabhängigkeit befasst. „Die meisten von ihnen ziehen ihre Informationen von Online-Plattformen, über sogenannte Influencer und Youtuber“, berichtet sie.
Allerdings fehle dabei der Bezug zu den Jugendlichen selbst, der ihnen dabei helfen würde, sich zu reflektieren und eine eigene Meinung zu dem Thema bilden. „In der Prävention ist es entscheidend, Risikokompetenz zu fördern und es Menschen zu ermöglichen, eine informierte, kritische und reflektierte Haltung zu Cannabis zu entwickeln“, betont Girard.
Informationslücken auch bei Alkohol
In puncto Prävention ansetzen sollte man beispielsweise an den Schulen. Derzeit könne jede Schule selbst entscheiden, wie sie Sucht im Unterricht behandelt und Prävention umsetzt. Daher gebe es große Unterschiede - mit unterschiedlich effektiven Maßnahmen. Nicht nur, aber vor allem, wenn Cannabis legalisiert werden sollte, müsste der Fokus auf der Prävention liegen, betont Steier-Bertz: „Und zwar überall dort, wo man mit Jugendlichen in Kontakt kommt“, erklärt er.
Allerdings bestehe die Informationslücke längst nicht nur bei jungen Menschen: Auch Erwachsene hätten hier Nachholbedarf. Übrigens sei das - sowohl für jüngere, als auch ältere Menschen - auch bei Alkohol der Fall. Zwar sei Alkohol gesellschaftlich stark akzeptiert. Beispielsweise wüssten jedoch noch immer viele Menschen nicht, dass es sich dabei um ein Zellgift handelt, welchen Schaden Rauschtrinken anrichten und welche Folgen Alkoholkonsum in der Schwangerschaft haben kann.
Präventionsprojekt entwickelt
Eine Möglichkeit, um mit jungen Menschen über Cannabis ins Gespräch zu kommen, ist ein Präventionsprojekt, das Nikita Girard entwickelt hat. „Grasklar - Let’s talk about Cannabis“ heißt das Projekt, das sie für Jugendliche ab der siebten Klasse konzipiert hat. „Die Jugendlichen können sich an verschiedenen thematischen Stationen in Kleingruppen zu Fragestellungen rund um das Thema Cannabis austauschen und erhalten viele Informationen zum Thema“, erklärt Girard. „Das Ganze wird von uns mit einer pädagogischen Fachkraft unterstützt.“ Interessenten, die mit Jugendlichen zusammenarbeiten, können sich bei der Beratungsstelle melden. Nach einer Einführung könne man sich dann die Materialien und die dazugehörige Methodenbox ausleihen.
Dienstags von 15 bis 16 Uhr gibt es eine offene Sprechstunde bei der Beratungsstelle in Lampertheim. Außerdem kann man Termine für Gespräche vor Ort, am Telefon oder in Form von Videoberatung vereinbaren.
Alle Infos unter: http://www.drogenberatung-prisma.de/
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