Schwanheim. Beim Spaziergang durch die Felder rund um Schwanheim wird sich in den Sommermonaten der ein oder andere aufmerksame Beobachter verwundert die Augen gerieben haben: Kann das denn sein – ein großes Feld voller Hanf? Tatsächlich sorgten die krautigen Pflanzen mit den charakteristisch gezackten Blättern für einiges Aufsehen.
Vor allem die örtliche Jugend wurde am Feldrand gesichtet – und vielleicht wurde auch mal eine Cannabis-Pflanze geerntet. „Eines Tages kam sogar die Polizei bei uns vorbei“, berichtet Beate Schweickert vom Bauernhof Schweickert. Der landwirtschaftliche Familienbetrieb hat in diesem Jahr erstmals Hanf auf seinen Feldern angebaut, um aus den Samen hochwertiges Speiseöl herzustellen.
„Gras“ ohne Wirkung
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Die Polizeibeamten konnten schnell überzeugt werden, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Denn Nutzhanf, so wie er auf den Feldern der Familie Schweickert gewachsen ist, darf nur geringfügigste Mengen des berauschenden Stoffes THC enthalten. Selbst wenn man dieses „Gras“ rauchen würde, man würde wohl keine Wirkung spüren.
Dennoch ist der Anbau von Nutz- oder Speisehanf in Deutschland streng geregelt. Es dürfen nur von der EU genehmigte Sorten ausgesät werden, deren THC-Gehalt unter 0,2 Prozent liegt. Der Anbau ist ausschließlich Landwirten gestattet und für Privatpersonen untersagt. Bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung muss die verwendete Sorte angemeldet und ein Antrag gestellt werden. Blüht der Hanf, ist die Behörde zu informieren, die dann stichprobenartig die Blüten auf ihren THC-Wert überprüft.
Für Familie Schweickert war das alles Neuland – und im Kreis Bergstraße ist der Betrieb bisher der einzige, der sich im Hanfanbau versucht. „Wir machen hier Pionierarbeit“, sagt Jörg Schweickert. Lernen durch Ausprobieren, lautet derzeit die Devise. Auf 20 000 Quadratmetern Fläche haben Jörg Schweickert und sein Sohn Christoph Ende April Samen der Sorte Finola ausgesät. „Ein Niedrighanf mit hohem Samenertrag, der sich gut für die Ölherstellung eignet“, erläutert Christoph Schweickert im Gespräch mit dieser Zeitung. Nach der Bewässerung wächst der Hanf schnell heran, bereits nach gut zwei Wochen ist der Boden nahezu komplett bedeckt. Unkraut hat so kaum eine Chance, so dass beim Hanfanbau Pflanzenschutzmittel nicht notwendig sind. Auch sonst ist Cannabis ausgesprochen pflegeleicht.
Stroh als guter Rohstoff
Vor wenigen Tagen war es dann so weit: Die erste Ernte stand an. Mithilfe des Mähdreschers wurden die wenige Millimeter großen, hellbraunen Samen von den Pflanzen abgeschüttelt und gereinigt. In Kürze wird daraus das wertvolle Öl gepresst, das dann in Flaschen abgefüllt als Speiseöl im Hofladen verkauft wird. Neben den Samen soll auch die eigentliche Pflanze als Hanfstroh weitere Verwendung finden – „ein guter Rohstoff“, so Junior Christoph Schweickert, der an der Universität Hohenheim Agrarwissenschaften studiert. Eventuell ist eine Kooperation mit dem Kloster Lorsch geplant, das das Stroh zum Decken von Häusern im Freilichtlabor Lauresham verwenden könnte.
Das Hanföl ist dann das dritte Speiseöl, das der Schwanheimer Betrieb auf seinem Hof herstellt. Angefangen hat alles vor ein paar Jahren mit kaltgepresstem Rapsöl. Im vergangenen Jahr entschlossenen sich die Schweickerts, zusätzlich Lein anzubauen. Im August 2020 wurden die Samen des Goldleins geerntet und luftdicht verpackt.
Jede Woche frisch gepresst
Da Leinöl nur eine kurze Haltbarkeit besitzt, werden die Samen peu á peu verarbeitet. Einmal die Woche wird ganz frisch Öl gepresst und abgefüllt. Die wertvollen Überbleibsel – Leinpresskuchen genannt – werden ebenfalls weiterverarbeitet. Der Bensheimer Bäcker Anton Como backt daraus in seinem Holzofen ein Leinsamenbrot.
Für eine gesunde Ernährung sind sowohl Raps- als auch Lein- und Hanföl wegen ihres hohen Anteils an ungesättigten Fettsäuren sehr empfehlenswert. Das erläutert Heide Weißhäuptl, Diplom-Ernährungsberaterin und Schwester von Beate Schweickert, die gerne beratend zur Seite steht, wenn es um ernährungsphysiologische Aspekte der Hofprodukte geht.
Eine ideale Zusammensetzung haben laut Weißhäuptl insbesondere Lein- und Hanföl, weil sie mit einem guten Verhältnis von Omega 3- und Omega 6-Fettsäuren punkten und so bei der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen helfen oder entzündlichen Prozessen im Körper entgegenwirken können. In einigen Wochen, so schätzt Familie Schweickert, wird das Hanföl neben Raps- und Leinöl in den Regalen des Schwanheimer Hofladens stehen.
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