Bergstraße. Die Sommerferien an der Börse fallen dieses Jahr aus. Anleger immer wieder durch neue Inflationsdaten aufgeschreckt. Vor allem die aus den USA sind auch für andere Börsen relevant. Solange die Inflation hoch bleibt, in Regionen von sieben und mehr Prozent, wird die US-Notenbank Fed die Zinsen weiter zügig erhöhen.
Das fällt ihr leicht, da der Arbeitsmarkt in den Vereinigten Staaten brummt, die Arbeitslosigkeit ist auf einem Rekordtief. Die Gefahr einer Rezession durch die höheren Zinsen ist weit weg. Und die geringer als erwartet ausgefallene US-Inflationsrate im Juli ist noch kein Grund zur Entwarnung. Also dürfte die Fed weiter an der Zinsschraube drehen, um der Inflation Herr zu werden.
Drei Regionen – drei Depots: Das Aktienranking des Bergsträßer Anzeigers
Der Bergsträßer Anzeiger hat verschiedene regionale Aktiendepots zusammengestellt und berichtet in regelmäßigen Abständen über die Entwicklung dieser (fiktiven) Geldanlagen.
Im Depot Bergstraße/Südhessen sind die Anteilsscheine des Dentaltechnikweltmarktführers Dentsply Sirona enthalten, ebenso die Papiere von TE Connectivity. Beide Konzerne sind an US-Börsen notiert. Für den besseren Vergleich werden Euro-Wechselkurse verwendet. Mit von der Partie sind die Anteilsscheine des Flurfördertechnikunternehmens Jungheinrich und des Zwingenberger Biotechunternehmens Brain. Nicht fehlen darf natürlich der Dax-Konzern Merck aus Darmstadt.
Im Depot Rhein-Neckar liegen Aktien des Softwarekonzerns SAP, des Mannheimer Energieversorgers MVV, von Südzucker, dem Schmierstoffkonzern Fuchs Petrolub sowie der BASF.
Das Depot Rhein-Main enthält Papiere der Deutschen Bank und der Commerzbank, sowie von Lufthansa und Fraport. Hinzu kommt der Bad Homburger Fresenius-Konzern. mir
Auch auf die Europäische Zentralbank wächst so der Druck, ebenfalls schneller und heftiger die Zinsen anzuheben. Das hatte sich in den vergangenen Monaten sträflich vernachlässigt. Und muss es nun angesichts der steigenden Inflationsraten in der EU nachholen. Doch hohe Zinsen bedeuten lukrative Alternativen zur Geldanlage in Aktien, deren Kurse dann sinken. Dazu kommt: September und Oktober sind historisch betrachtet sowieso schwierige Börsenmonate.
TE Connectivity ragt heraus
In den Portfolios des BA-Aktienrankings spielten die Inflations- und Zins-Risiken an der Börse zuletzt noch keine Rolle. Im Gegenteil: Das Depot Bergstraße/Südhessen legte in den vergangenen vier Wochen um mehr als neun Prozent zu und hat sich so eine robuste Basis für kommende Unwägbarkeiten geschaffen. Zum Vergleich: Der Dax stieg im gleichen Zeitraum um sechs Prozent. Auch die Papiere aus dem Depot Rhein-Neckar und Rhein-Main waren auf Wachstumskurs, beide mit rund fünf Prozent.
Im Depot Bergstraße/Südhessen ragte diesmal die Aktie von TE Connectivity mit einem kräftigen Kursplus von mehr als zehn Prozent heraus. Der Hersteller von Steckverbindungen und Sensoren für Autos profitiert immer stärker von Elektroautoboom, der das traditionelle Geschäft mit der Kundschaft in der Autoindustrie ergänzt. Und angesichts des prognostizierten Wachstums auf dem E-Auto-Markt ist da noch viel Nachfrage, die auf TE und seinen Standort Bensheim wartet. Zuletzt meldete das Unternehmen Rekordwerte in seinem Quartalsabschluss, es dürften nicht die letzten sein.
Dentsply Sirona unter Druck
Beim anderen großen Arbeitgeber der Bergstraße, Dentsply Sirona, waren die jüngsten Nachrichten alles andere als gut. Schon zum zweiten Mal wurde kein vollständiger Quartalsbericht abgegeben. Der Hintergrund: Anscheinend wurden in der Vergangenheit zwielichtige Geschäfte in den USA gemacht. Der Vorwurf: eine mutmaßliche Abmachung mit Händlern. Die sollen Produkte von Dentsply Sirona abgenommen und dann auf Halde gelegt haben. Der Konzern verbuchte die Umsätze, obwohl die Produkte gar nicht in Zahnarztpraxen geliefert wurden. Derzeit läuft die Aufklärung intern und extern. Die nächste Frist der Börse zur Abgabe der beiden jüngsten Quartalsberichte endet Anfang November. Operativ laufe es gut teilte der Konzern zuletzt mit, die Aktie zuckte leicht nach oben, dümpelt ansonsten aber rund um ihr Zehnjahrestief.
Die Aktie von Merck hat sich von ihrem frühsommerlichen Tief bestens erholt und ist wieder auf dem Weg aufwärts. Bei den jüngsten Quartalszahlen wurden die Erwartungen übertroffen. Das könnte so weitergehen. Dominic Lang von der Schweizer Großbank UBS hat seine Ergebnisschätzungen für die Jahre bis 2027 angehoben.
Ordentlich nach oben ging es in den vergangenen Wochen auch für die Aktie von Jungheinrich. Und die Aussichten sind gut. Der Auftragseingang dürfte sich im zweiten Quartal auf einem hohen Niveau bewegen, meint Analyst Jorge Gonzalez Sadornil vom Bankhaus Hauck Aufhäuser. Im Gesamtjahr dürften die Margen des Gabelstapler- und Logistikspezialisten von sinkenden Stahlpreisen einerseits und steigenden Verkaufspreisen andererseits profitieren.
Die Aktie des Zwingenberger Biotechunternehmens Brain hingegen verlor noch weiter an Boden. Mittlerweile notiert sie bei rund sieben Euro. Beim Börsengang im Jahr 2016 waren es neun Euro. Ende des Monats werden Quartalszahlen vorgelegt. Noch immer warten die Anleger auf konkrete Aussagen, wann unter dem Strich schwarze Zahlen stehen sollen.
Steigende Energiekosten
Im Depot Rhein-Neckar könnte das Thema Energie die BASF teuer zu stehen kommen. Die Gasversorgung sei zwar kurzfristig ein Risiko, die strukturelle Veränderung in der Kostenkurve aufgrund höherer Gaspreise sei aber das eigentliche Problem, meint Analyst Chris Counihan vom Analysehaus Jeffries. Zudem bedeuteten die Investitionen in China einen finanziellen Aderlass für die Ludwigshafener.
Immerhin konnten zuletzt höhere Kosten in den Verkaufspreisen weitergegeben werden. Und die Tochter Wintershall verdiente prächtig an hohen Gas- und Ölpreisen. Der Aktienkurs der vergangenen Monate spricht aber eher für die These des Analysten.
Die Aktie des anderen Schwergewichts der Region Rhein-Neckar, der SAP, robbt sich mühsam an die Marke von 100 Euro heran. Ausgerechnet zum 50. Geburtstag des Unternehmens war die Aktie nicht in Feierlaune. Man hätte den 49. vor einem Jahr feiern sollen, da lag der Kurs um ein Viertel höher. Michael Briest von der Schweizer UBS glaubt, dass der Softwarekonzern zwar einige Herausforderungen zu meistern habe, aber der Wandel von Bezahl- zu Mietsoftware über die Cloud nehme weiter Fahrt auf. Allerdings wären da noch ein gesenkter operativen Ergebnisausblick, eine höhere Steuerquote und Währungseffekte.
Als Schmierstoffkonzern in einer Welt, in der immer mehr Elektroautos fahren (sollen) muss sich Fuchs Petrolub strecken. Aber es gibt auch Chancen. Eine gut mögliche, konjunkturbedingte Senkung des Ausblicks sollte zum Kauf der Aktie genutzt werden, denn viel billiger dürften die Papiere in dieser Qualitätsindustrie nicht mehr werden, sagt Analyst Sebastian Bray von der Privatbank Berenberg. Zwar hätten schon jüngsten Quartalszahlen des Schmierstoffherstellers moderat positiv überrascht. Er rechnet aber weiter für 2023 mit einem positiven Wendepunkt für die Gewinne.
Die könnte beim Energieversorger MVV schon früher kommen, wenn Gas- und Stromrechnungen für die Kundschaft bald teurer werden. Darauf deutet jedenfalls das Kursplus der vergangenen Tage hin.
Im Depot Rhein-Main, in dem die Sorgenbranchen der jüngeren Vergangenheit (Banken, Luftfahrt) versammelt sind, ging es zuletzt immerhin etwas aufwärts. Die Aktie der Deutschen Bank notiert immer noch unter zehn Euro. Und einfacher wird es nicht. Die kanadische Bank RBC sieht in der Aktie nach Quartalszahlen keine überwältigende Fantasie. Ein höherer Zinsüberschuss sei durch gestiegene Kosten zunichte gemacht worden, so Analystin Anke Reingen. Immerhin sollten sich die Trends im Investmentbanking als wichtigem Ertragsbringer im dritten Quartal fortsetzen.
Der Commerzbank werden starke Quartalszahlen attestiert und Analysten wie Kian Abouhossein von der US-Bank JP Morgan haben ihre Gewinnschätzungen bis ins Jahr 2024 hinein angehoben.
Gemischte Aussichten
Unweit des Bankenzentrums tun sich Lufthansa und Fraport weiterhin schwer. Patrick Cruset von der US-Investmentbank Goldman Sachs erhöhte für die Lufthansa zwar seine Schätzung für das operative Ergebnis und trug damit starken Resultaten der Fluggesellschaft Rechnung. Die Prognosen für die Folgejahre bis 2025 schraubte er aber angesichts der sich eintrübenden Konjunkturaussichten nach unten. Beim Flughafenbetreiber Fraport sieht es nur wenig besser aus. Fraport habe von der sich fortsetzenden Erholung des Passagierreiseverkehrs profitiert, meint Analyst Dirk Schlamp von der DZ Bank und erhöhte seine Umsatz- und Ergebnisprognosen. Für Elodie Rall von der US-Bank JPMorgan sind die Aussichten gemischt, höheren Gebühren stehe unter anderem ein niedrigeres Kostensparziel gegenüber.
Bleibt noch die Fresenius-Aktie. Hier ging es weiter bergab. Christoph Gretler von der schweizerischen Bank Credit Suisse meint, dass die deutlich gesenkten Ziele der Dialysetochter auch das Ergebnis je Fresenius-Aktie belastet. Ansonsten laufe es solide, ergänzte Christian Ehmann vom Analysehaus Warburg Research. (mir)
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