Zwingenberg. „Was macht Zwingenberg aus?“, fragte Historikerin Berenike Neumeister zu Beginn in die Runde. Mehr als ein Dutzend Interessierte hatten sich am Sonntagnachmittag zur Eröffnung der Ausstellung „750 Jahre Zwingenberg – von der gräflichen Marktstadt zur Cittaslow“ im Heimatmuseum versammelt.
Regelmäßig Schauplatz von historischen Ereignissen
Ein dreiviertel Jahrtausend Stadtgeschichte in einer Ausstellung zu verpacken, ist ein ambitioniertes Unterfangen. Das gilt besonders für die älteste Stadt an der Bergstraße, die regelmäßig Schauplatz historischer Ereignisse war. Wie gut, dass es Berenike Neumeister gibt, die das Publikum vermutlich stundenlang auf eine Reise durch die Zwingenberger Geschichte entführen könnte, ohne dabei einmal auf ihre Notizen zu schauen.
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Also Sprung zurück ins 13. Jahrhundert und damit in eine Zeit, die geprägt war von Kleinstaaterei. Denn Deutschland – genauer gesagt dessen Vorgänger „Heiliges Römisches Reich“ – war kein Nationalstaat im heutigen Sinne, sondern glich einer losen Verbindung von Territorien. Zwar gab es einen Kaiser, der Anspruch auf alle Gebiete erhob, doch wie es in der Politik manchmal so ist, war die Suche nach einem Nachfolger schon damals nicht einfach.
Denn nach dem Tod von Friedrich II. 1250 und dem Aussterben der Staufer konnten sich die Kurfürsten nur schwerlich auf einen neuen König einigen, ein mehrjähriges Machtvakuum war die Folge. Schließlich entschied man sich für einen vermeintlich unbedeutenden Monarchen: Rudolf von Habsburg. Dieser war bereits über 50 Jahre alt und galt nur als Übergangslösung. Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Rudolf hatte nämlich gute Gene, blieb von 1273 bis 1291 auf dem Thron und legte den Grundstein für den Aufstieg einer der mächtigsten Königsdynastien in Europa.
Zwingenberg war zwei Jahre menschenleer
Und was hat Zwingenberg damit zu tun? Man sollte die Rolle des ältesten Bergstraßenstädtchens nicht überbewerten, nicht alle großen Fragen wurden an der Strata Montana entschieden. Doch die Lage am strategisch wertvollen Verkehrsknotenpunkt ermöglichte Kontakte in höchste Kreise und die Grafschaft Katzenelnbogen, zu der Zwingenberg damals gehörte, pflegte einen engen Draht zu den Habsburgern. Diese waren auf Hilfe angewiesen: Denn der mächtige König von Böhmen erkannte die Wahl des Konkurrenten nicht an, woraufhin dieser mit finanzieller Unterstützung der Katzenelnbogens erfolgreich gegen seinen Widersacher zu Felde zog. Das langjährige Engagement des Grafen Dieter von Katzenelnbogen zahlte sich früh für seinen Ort aus. Bereits 1274 verlieh Rudolf I. Zwingenberg das Stadt- und Marktrecht. Im selben Jahr wurde auch Landau in der Pfalz vom König dieses Privileg zugeteilt.
Dass Zwingenberg allen Widrigkeiten der letzten Jahrhunderte standgehalten hat, ist nicht selbstverständlich. Während des Dreißigjährigen Kriegs (1618-1648) war die älteste Stadt an der Bergstraße von 1635 bis 1637 menschenleer. 1693 fiel sie den französischen Truppen im Pfälzischen Erbfolgekrieg zum Opfer und brannte nieder.
Zwingenberg und Rodau gegen das große Bensheim
Auch in der jüngeren Vergangenheit gab es Hürden. Im Zuge der hessischen Gebietsreform 1970 verloren viele kleinere Städte ihre Eigenständigkeit. Die Zukunft Zwingenbergs stand zur Debatte, denn die Kommune sollte Stadtteil von Bensheim werden. Ganz Zwingenberg? Nein! Ein von unbeugsamen Lokalpatrioten bevölkertes Dorf hörte nicht auf, den Reformern Widerstand zu leisten. Streng genommen gehörte Rodau damals noch nicht zu Zwingenberg, sondern war eine selbstständige Gemeinde. Doch der Gedanke, von Bensheim einverleibt zu werden, stieß bei den Einwohnern Zwingenbergs und Rodaus auf Ablehnung. Daher verbündeten sich die beiden Orte gegen die größte Stadt im Kreis, so dass zumindest das älteste Bergstraßenstädtchen seine Eigenständigkeit bewahren konnte – und die „Rorrer“ sicherten sich als einziger Stadtteil einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Geschicke in der Kernstadt.
Freizügigkeit in der Badestube
Zwingenberg sei in seiner Geschichte häufig das gallische Dorf gewesen, berichtete Neumeister. Aufsässig waren manche Bürger bei der Kleiderordnung. Dagmar Suur-Kramer vom Historischen Tanzkreis Bensheim präsentierte den Zuschauern die im 13. und 14. Jahrhundert unter den höchsten Gesellschaftsständen vorherrschende Mode. Seide kam im Spätmittelalter aus China über Konstantinopel (heute Istanbul) nach Europa, war entsprechend teuer und daher dem wohlhabenden Teil der Bevölkerung vorbehalten, erklärte Suur-Kramer. In der Zwingenberger Badestube, zu der auch Auswärtige anreisten, ließ man es hingegen freizügiger angehen, was nicht jedem gefiel.
Gegen den politischen Zeitgeist stelle sich auch Johann-Georg Dieffenbach, der 1832 den „Sängerkranz“ gründete und die Spielstätte des „Bunten Löwen“ vermutlich nicht nur zum Gesangsunterricht nutzte, wie Neumeister auf Nachfrage erzählte. Denn Vertreter liberaler Ideen erfuhren zur Zeit des Vormärz – so wird die Phase zwischen dem Wiener Kongress 1815 und der Märzrevolution 1848 genannt – Repressionen. Dieffenbach, dessen Wirken von der Geschichtswerkstatt der Geschwister-Scholl-Schule untersucht wird, könnte folglich ein Vorreiter deutscher Demokratiegeschichte gewesen sein.
Streben nach Innovation
Zurück in die Gegenwart. Seit einigen Jahren ist Zwingenberg Mitglied im Netzwerk „Cittaslow“, das sich für ein entschleunigtes Leben einsetzt. Gleichzeitig ist die Stadt gewachsen, die kleinste Gemarkung im Kreis hat so viele Einwohner wie nie zuvor. Ein Widerspruch? Oder doch Teil der eigenen Geschichte? Denn das Streben nach Innovation und der Wunsch, sich von anderen abzuheben, war schon vor 750 Jahren präsent. Vielleicht ist es das, was Zwingenberg ausmacht.
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