Kriegsende

Auf der Bergkirche wurde die weiße Fahne gehisst

Die US-Armee rückte am 27. März 1945 aus Richtung Norden und Westen in Zwingenberg ein. Bei einem Bombardement einen Tag zuvor kamen drei Einwohner ums Leben.

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Der Melibokusturm auf einer Postkarte aus dem Jahr 1902. Der Turm auf dem Melibokus wurde am 27. März 1945 von deutschen Soldaten gesprengt. © BA-Archiv

Zwingenberg. Am Samstag, 24. März, zogen etwa 50 deutsche Soldaten mit ihren Kettenfahrzeugen aus Zwingenberg ab, wo sie für eine Woche einquartiert waren. Bereits vorher waren vom „Volkssturm“ an strategischen Stellen Panzersperren aus Baumstämmen errichtet worden: Eine Sperre wurde auf der Darmstädter Straße erbaut, eine zweite war auf der Heidelberger Straße bei der katholischen Kirche und eine dritte Sperre war auf der Rodauer Straße/Ecke Bleichstraße errichtet worden. Bis nach dem Abzug der deutschen Soldaten blieben diese Sperren offen, danach wurden sie mit Baumstämmen geschlossen.

Bürger entfernten Panzersperren

Aus der Familienchronik der Familie Mischlich: „Beim Engpaß vor Metzger Falter hatte der „Volkssturm“ etwa 20-30 dicke Kiefernstämme tief in die Straße eingegraben, etwa 3 m hoch war das ganze. Das sollte die Panzer abhalten. (…) Die wären sicherlich links durch den Hof oder rechts durch die Gärten gerattert.

Die Panzersperren haben aber kurz vor dem Einmarsch einige beherzte Einwohner wieder herausgerissen.“ Zusätzlich waren im Wald oberhalb Zwingenbergs an mehreren Stellen Baumstämme als Sperre über die Waldwege gelegt worden. Helene Calvelli-Adorno, die mit ihrer Familie bei Else und Clementine Kühner in einem kleinen Häuschen an der Ecke Orbisstraße/Jugenheimer Straße wohnte, berichtete in ihrem Tagebuch, wie sich ihre Familie auf Luftangriffe vorbereitete.

Vorbereitung auf Luftangriffe

In den Kellern wurden provisorische Schlafstätten errichtet, gefüllte Wassereimer wurden bereitgestellt und die wichtigsten Habseligkeiten in Koffern verstaut. Tiefflieger griffen Eisenbahnzüge in Zwingenberg an; viele Zwingenberger suchten Schutz im Wald oberhalb des Weidentals, Schulgrunds und der Hohl vor potenziellen Angriffen der Amerikaner; andere, wie die Familie Calvelli-Adorno, flüchteten ins Freie und in die kalten, klammen Burgkeller in und um das Alsbacher Schloss. Von dort oben sahen sie, wie Gernsheim und andere Dörfer brannten, sahen die zerstörerischen Angriffe der Tiefflieger.

Am Sonntag, 25. März, verbreitete sich wie ein Lauffeuer die Nachricht, dass die amerikanischen Truppen in Sichtweite von Hähnlein über die Eisenbahnhaltestelle Hähnlein/Alsbach Richtung Bickenbach vorstießen. Von dort zogen sie allerdings nicht nach Zwingenberg, sondern über das Balkhäuser Tal Richtung Lindenfels. Amerikanische Aufklärer flogen über Zwingenberg. In der oberen Wetzbach war immer noch ein deutsches Geschütz stationiert – mit nur noch drei Granaten, wie die Soldaten angaben. Den ganzen Tag über waren Jagdbomber und Tiefflieger in Aktion; immer wieder war Gewehr- und Geschützfeuer zu hören. Helene Calvelli-Adorno: „Ewig wird es mir unvergeßlich sein, das Lager an der alten Schloßmauer (im Alsbacher Schloss), vor uns der Burgturm, darüber das Zischen und Pfeifen der Granaten, der Geschützdonner, das Echo! – von der Orbishöhe bollerte ‚unser‘ Geschütz, und von Rodau her beschossen die Amerikaner Zwingenberg! (…) Es war eine höllische Nacht!“

Beschuss der Stadt

Am Morgen des Montags, 26. März, begannen die Amerikaner Zwingenberg zu bombardieren. Drei Zwingenberger kamen dabei ums Leben: Anna Elisabeth Bernhardt, Wilhelm Kissel (Kleinkind des Landwirts Wilhelm Kissel 4.) und Anna Christine Kissel. Etliche Häuser wurden zerstört (das Haus von Hans Kissel und die gegenüberliegenden Scheunen in der Alsbacher Straße, das Lebensmittelgeschäft Argus und das Haus Wilhelm Kissel, beide in der Darmstädter Straße), viele Gebäude wurden in Mitleidenschaft gezogen – unter ihnen das Haus Marktplatz 7, das sogenannte Wasserschloss, und die Sparkasse.

Im Stadtpark war ein tiefer Bombentrichter, ein Blindgänger fiel in die Untergasse nahe dem „Schlösschen“, dem heutigen Rathaus. Zusätzlich beschoss die amerikanische Artillerie Zwingenberg: Die evangelische Kirche wurde getroffen, die Scheuer des Schmieds Machleid in der Wetzbach in Brand geschossen, der gelöscht werden konnte, während der Beschuss fortgesetzt wurde. Einige vereinzelte Artillerieeinschläge trafen Häuser „Auf dem Berg“ und in der Heidelberger Straße. Die letzten deutschen Soldaten flüchteten wahrscheinlich Dienstag, 27. März, früh aus Zwingenberg Richtung Bensheim.

In der Nacht vom Montag, 26. März, auf Dienstag öffneten zwei Zwingenberger eine Panzersperre mit Handgranaten; auch hissten die beiden in einer gewagten Aktion eine große weiße Fahne auf dem Turm der evangelischen Kirche. Mit der 1,5 mal 5 Meter großen weißen Fahne kletterten sie in am Seil der Totenglocke in den Kirchturm hinauf, weil es keine Treppe gab, und begannen mit Nägel und Hammer, die Fahne zu befestigen. Nach wenigen Hammerschlägen wurden sie vom Platz vor der Kirche von einem Waffen-SS-Mann harsch aufgefordert, die Fahne sofort zu entfernen.

In Panik rutschten sie das Glockenseil hinunter und rissen sich dabei die Haut ihrer Hände auf. Der SS-Mann stürmte mit gezogener Pistole in die Kirche, aber glücklicherweise konnten sich die Beiden rechtzeitig verstecken und schließlich entkommen. Es wird berichtet, dass auch auf der katholischen Kirche eine weiße Fahne gehisst wurde. Etliche andere Zwingenberger wollten gleichfalls eine weiße Fahne zum Schutz ihrer Häuser aufhängen – meist war dies ein Betttuch. In vielen Fällen wurden sie von den Nationalsozialisten genötigt, das Betttuch sofort wieder abzuhängen. Im Lauf des Tages blieben aber immer mehr Fahnen hängen.

Bericht von Zeitzeugen

Dazu schrieb Helene Calvelli-Adorno: „Als das Orbisheim (Altersheim) geflaggt hatte, steckten wir mit Bewegtheit unsere Flaggen heraus. (…) Auf der Fissanfabrik wehte bereits eine weiße Fahne, auch auf der evangelischen Kirche. Das Schießen in der Ferne hatte nachgelassen, im Ried zogen große Rauchwolken. Früh hatte noch das Geschütz über Zwingenberg nach Bickenbach hineingeschossen, wo am Waldrand amerikanische Panzer standen, aber diese Wahnsinnstat war auch bald beendet. Ein furchtbarer Knall erschreckte uns gegen 9 Uhr, der gemütliche alte Melibokus-Turm war von den Deutschen in die Luft gesprengt worden.“

An diesem Dienstag, 27. März, waren die amerikanischen Truppen um 11 Uhr in Alsbach und um 12 Uhr in Bickenbach einmarschiert. Nach Zwingenberg kamen die Amerikaner schließlich mittags von Norden und Westen. Beim Eintreffen der Amerikaner von Norden an der Ecke B3/Bahnhofstraße übergab Bürgermeister Kissel Zwingenberg. Per Megafon wurden die anwesenden Zwingenberger aufgefordert, sich ruhig zu verhalten und nach Hause zu gehen. Hinter dem Stoßtrupp zogen amerikanische Panzer in Zwingenberg ein.

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Der Krieg war für Zwingenberg zu Ende. Insgesamt 173 Kriegstote – die meisten als Soldaten umgekommen – und Vermisste waren unter den Einwohnern zu beklagen – weiterhin 17 Bürger, die – von den Nationalsozialisten verfolgt – auf der Flucht starben, in Konzentrationslagern umkamen oder Selbstmord begingen. Nach der Befreiung Zwingenbergs beschlagnahmten die Amerikaner mehrere Häuser auf dem Orbis, darunter auch die Villa von Dr. Arthur Sauer, Inhaber der „Deutschen Milchwerke“ („Fissan“), in der Stuckertstraße. Henry Kissinger, der spätere amerikanische Außenminister, war persönlich bei dieser Beschlagnahme anwesend und zog später in die Sauer‘sche Villa ein.

Die amerikanischen Soldaten, die auf dem Orbis einquartiert waren, gehörten zu einer Presseabteilung der 7. Armee, die eine Druckerei in den beschlagnahmten „Deutschen Milchwerken“ des Dr. Sauer errichtete. Die Produktion der „Deutschen Milchwerke“ musste daraufhin ausgelagert werden, unter anderem in die Zwingenberger Markthalle am Bahnhof. Auch der Adlersaal war beschlagnahmt worden; dort richteten die Amerikaner ein Kino ein und gründeten später einen Klub für ihre Soldaten bzw. für Jugendliche. In der Bahnhofstraße 17 wurde ein „Country-Club“ eingerichtet. Weitere Privathäuser sowie die Jugendherberge und der Gasthof „Zur Linde“ – dort befindet sich heute der REWE-Supermarkt – waren von den Amerikanern besetzt worden.

Der Text stammt aus der von Dr. Fritz Kilthau verfassten Broschüre „Kriegsende 1945 – Zwingenberg an der Bergstraße und Umgebung“.

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