Lautertal. Vor 80 Jahren, im März 1945, erreichten die Soldaten der US-Armee im zusammenbrechenden Deutschen Reich die Dörfer Lautertals. Seit Mitte März verloren die deutschen Truppen immer mehr Boden. Die amerikanischen Verbände erreichten das Rheinufer zwischen Mainz und Mannheim. Die erste Rheinüberquerung in der Region erfolgte am 22. März bei Oppenheim. Am 25. März wurden die Riedgemeinden im Kreis Bergstraße besetzt.
Es kam zu dramatischen Szenen angesichts des Umstands, dass die deutsche Bevölkerung nicht wusste, was sie erwartete und gleichzeitig zurückweichende Einheiten der Wehrmacht teilweise ohne Rücksicht auf die Bewohner der Dörfer Widerstand leisteten.
Das Kriegsende in Beedenkirchen ist im Tagebuch des evangelischen Pfarrers Rudolf Wintermann festgehalten. Am Palmsonntag, dem 25. März, sollte Wintermann eigentlich in Darmstadt predigen, doch die Situation verhinderte seine Reise. Stattdessen entschied er sich, in Beedenkirchen die Konfirmation zu feiern. Der Volkssturm war am Freitag, 23. März, einberufen worden, kehrte jedoch am selben Abend zurück, da keine Uniformen verfügbar waren – angeblich waren sie gestohlen worden.
Eine Konfirmationsfeier kurz vor dem Einmarsch
Am Morgen des 25. März traf Pfarrer Wintermann im Dorf auf den Glöckner Roß, der ihm mitteilte, dass das Pfarrhaus voller deutscher Soldaten sei und die Konfirmation daher ausfallen müsse. Wintermann bestand jedoch auf der Zeremonie. Trotz der angespannten Lage verlief der Gottesdienst ungestört.
Kurz danach hörte die Gemeinde die ersten amerikanischen Panzer, die eine Rundfahrt durch die benachbarten Dörfer machten. Obwohl die Truppen nicht direkt nach Beedenkirchen kamen, sorgte diese Machtdemonstration für Unruhe. In Schmal-Beerbach wurde ein US-amerikanischer Soldat, der auf der Flucht war, von deutschen Soldaten erschossen. Der Bürgermeister des Dorfes mit Namen Beutel wurde versehentlich getötet, weil er mit einem anderen Mann verwechselt worden war, der als Verräter gesucht wurde.
Pfarrer Wintermann fuhr am Abend unbehelligt nach Reichenbach, wo noch Ruhe herrschte. Am 27. März erreichten die Truppen Bensheim, das wegen des Widerstands deutscher Truppen bombardiert wurde, bevor sich die Stadt ergab..
Einer der ersten Lautertaler, der die Ankunft der US-Amerikaner miterlebte, war Mario Rheinfurth. Der Sohn des Reichenbacher evangelischen Pfarrers war zu Besuch bei seinem Großvater in Schönberg, als er die heranrückenden Panzer hörte. Er machte sich auf den Weg nach Hause, wurde aber von den US-Truppen eingeholt. Ein Jeep-Fahrer hielt ihn an und fragte nach seinem Woher und Wohin. Nach einer kurzen Erklärung in seinem noch unvollkommenen Schulenglisch durfte Rheinfurth sein Fahrrad an den Jeep hängen und sich so in Sicherheit bringen.
Widerstand am Kernberg wird im Keim erstickt
Doch die Situation eskalierte schnell, als am Ortsausgang von Wilmshausen ein Scharmützel mit versprengten deutschen Soldaten ausbrach. Rheinfurth suchte mit seinem Fahrrad hinter einem amerikanischen Panzer Deckung vor den Kugeln.
Die im vergangenen Jahr verstorbene Else Roth aus Reichenbach hat viele Details zum Einmarsch der US-Armee in ihrem Tagebuch festgehalten. Roth wohnte am Ortsausgang Richtung Elmshausen.
„Es waren lange Tage, als wir wussten, dass sie kommen und doch nicht wussten, was wird“, beschrieb sie die Zeit vor dem Einmarsch. Artilleriebeschuss durch die Amerikaner kündigte an, dass die Besetzung bevorstand. Roth schrieb in ihr Tagebuch: „Menschen hat der Beschuss keine gefordert, unser Dörfchen steht Gott sei Dank noch.“ Dies war auch dem Umstand zu verdanken, dass deutsche Soldaten, die am Kernberg Widerstand leisten wollten, schnell in die Flucht geschlagen wurden.
Die US-Soldaten wurden in den Häusern der Familien Roth, Mink, Knaup, Pappert, Dr. Baunach und Laut einquartiert. Else Roth schrieb in ihr Tagebuch: „Wir haben es gut getroffen, vier Mann schlafen in der Scheune auf Stroh, und auch sonst können wir nicht klagen.“
Wenige Tage nach den ersten Truppenverbänden kam die Nachhut in Reichenbach an, begleitet von vielen Fahrzeugen und Soldaten. Die Reichenbacher Häuser am Dorfeingang wurden erneut besetzt, und die Bewohner mussten sie verlassen, um bei Verwandten oder Bekannten unterzukommen.
Das Gasthaus „Zur Traube“ wurde für drei Monate zur Zentrale der US-Truppen im Lautertal. Von dort aus wurden die neuen Bürgermeister der Dörfer bestimmt und eine Großbürgermeisterei Reichenbach eingerichtet. Diese war in den Anfangsjahren verantwortlich für nahezu dieselben Dörfer, die heute zur Gemeinde Lautertal gehören.
Gadernheim wird eine Nacht lang beschossen
Doch zuvor musste noch der Rest des Tales besetzt werden. Der Einmarsch in Gadernheim – ebenfalls am 27. März – verlief alles andere als reibungslos. Die deutsche Wehrmacht hatte entschieden, den Ort nicht kampflos aufzugeben.
Der Ortskommandant ließ Straßensperren errichten. Ein Panzerabwehrtrupp mit 25 Soldaten positionierte sich im Dorf, in dem es zwei Verpflegungslager der Wehrmacht gab. Als die amerikanischen Truppen sich näherten, wurden die Lager für die Bevölkerung geöffnet.
Während die Einwohner sich mit Lebensmitteln eindeckten, beschossen die deutschen Truppen die amerikanischen Einheiten. Die bauten daraufhin sechs Artillerie-Kanonen in Reichenbach auf. Sie wurden auf der Nibelungenstraße, dem TSV-Sportplatz, im Falltorweg und am Kernberg positioniert. Die Folge war ein massiver Beschuss Gadernheims, der die ganze Nacht andauerte.
Hans Degenhardt, damals 14 Jahre alt, erinnerte sich an die dramatischen Szenen: „Auch bei uns waren deutsche Soldaten. Die haben in der Waschküche geschlafen.“ Als die Amerikaner vorrückten, gaben die deutschen Soldaten ihre Lager frei. Hans Degenhardt machte sich auf den Weg, doch er wurde von dem Beschuss überrascht. Ein deutscher Soldat kümmerte sich um ihn und einen anderen Jungen. Sie suchten Schutz in einer Mulde, wo heute die Tankstelle steht, und rannten in einer Feuerpause in den Sicherheitskeller in der nahen Turmstraße. Dort fand ihn seine Mutter, die durch einen Granatsplitter verletzt worden war.
Neun Zivilisten und drei deutsche Soldaten kamen bei dem stundenlangen Beschuss Gadernheims ums Leben. Die Granaten trafen mehrere Gebäude, darunter die evangelische Kirche sowie die Gaststätte und Metzgerei Rettig sowie einen Stall, in dem eine Kuh starb. Die Stromversorgung war schwer beschädigt.
Noch bevor die ersten US-Soldaten in Gadernheim eintrafen, zogen die deutschen Truppen ab. Am Morgen des 28. März zogen die Amerikaner mit Panzern durch das Dorf und weiter Richtung Lindenfels.
In der Nacht zum 1. April, dem Ostersonntag, wurde Gadernheim erneut beschossen, da die US-Armee den Verdacht hatte, im Dorf bereite sich Widerstand vor. Am nächsten Tag durchkämmten die US-Soldaten alle Häuser.
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