Lorsch. Der 27. März 1945 war ein Dienstag. Die Karwoche hatte gerade begonnen, Ostern stand kurz bevor. An ein unbeschwertes Feiern des Fests aber war damals nicht zu denken. In Deutschland herrschte Krieg. Jener Dienstag vor genau 80 Jahren aber hat eine besondere Bedeutung für Lorsch. Am 27. März nämlich marschierten amerikanische Truppen in Lorsch ein.
Vielerorts erlebten Menschen in Deutschland in jenen letzten Kriegstagen schwere Luftangriffe der Alliierten. Es gibt Städte unter Bombenhagel, eine Vielzahl von Toten und Verletzten. Im zerstörten Mannheim etwa, auf das es im Krieg 150 Luftangriffe gab, versucht die Wehrmacht, den Einmarsch der Amerikaner noch zu stoppen, Brücken werden zerstört. Die US-Army aber lässt sich nicht aufhalten. Sie rückt vor, auch in Richtung Ried.
Durchhalteparolen sind auch in Lorsch zu hören. „Lorsch wird verteidigt – und wenn ein Trümmerhaufen zurückbleibt“. Der Lorscher Peter Dorn hat dieses Zitat von Offizieren für das Buch mit dem Titel „Zwischen den Zeiten“ festgehalten. Es beschäftigt sich, herausgegeben vom Heimat- und Kulturverein, mit den Jahren 1945 bis 1949 in Lorsch.
Die Front rückte in jenen Märztagen immer näher. Die militärische Überlegenheit der Alliierten ist überdeutlich. Wer aber die deutsche Kampfkraft in Frage stellte, der war zum Tode verurteilt. Längst machen sich viele Gedanken darüber, wie es wird, wenn der Feind bald die Heimat besetzt. Aber „es war streng verboten, in der Öffentlichkeit über dieses Thema zu reden“, notiert Dorn.
Geschützfeuer und Artillerietätigkeit waren auch in Lorsch zu vernehmen. Dazu die Fliegerangriffe auf den Bibliser Flugplatz, die Eisenbahnlinie Frankfurt-Heidelberg, die Autobahn Frankfurt-Mannheim und natürlich verbreiteten sich auch alle Schreckensnachrichten aus anderen Orten in Windeseile. Einer Gruppe von mutigen Frauen jedoch ist es wohl zu verdanken, dass Lorsch, damals eine kleine Gemeinde, von schlimmen Kampfhandlungen, von vernichtenden Angriffen am Kriegsende verschont bleibt.
Die Frauen in Lorsch jedenfalls entschieden, aus Angst um das eigene Überleben und das ihrer Familien, dass es besser sei, wenn Lorsch dem US-Militär nicht auch noch Widerstand entgegensetzt. Seit Palmsonntag war Lorsch unter Beschuss. In der Hoffnung, das Richtige zu tun, beseitigten die Frauen daher heimlich eine gewaltige Panzersperre, die von der Wehrmacht an der Autobahnbrücke errichtet worden war. Wie es den 15 Frauen aus der Nibelungenstraße gelang, die Sperre aus schweren Baumstämmen, mit Sand und Steinen verfüllt und in die Erde gerammt, wegzuräumen?
Angst, Ungewissheit, Chaos und Schrecken in Lorsch
Die Heldinnen verfügten in dieser außerordentlich gefährlichen Situation möglicherweise über „übermenschliche Kräfte“, vermutet Dorn, der unter anderem Augenzeugenberichte seiner Tanten referiert. Als Kind hat der vor einigen Jahren verstorbene Dorn selbst angstvolle Aufenthalte im Luftschutzkeller in der Bahnhofstraße erleben müssen. Ein Teil des Hauses wurde von einer Granate getroffen.
Die existenzielle Angst, die Ungewissheit, das Chaos und der Schrecken wird im Lorscher Buch von zahlreichen Zeugen eindringlich geschildert. Der Mangel und der Hunger sind gleichfalls ein Dauerthema in den Beschreibungen des damaligen Alltags.
Überall waren Panzer und Jeeps zu sehen
Weiße Windeln, Betttücher und helle Stofffetzen wurden von den Lorscherinnen am 27. März 1945 entlang der Straße aufgehängt. Sie sollten den amerikanischen Soldaten signalisieren, dass der Ort keinen Widerstand leistet. Ihr gewagtes Vorhaben klappt. „Die ganze Straße stand voller Panzer, einer hinter dem anderen“, erinnerte sich Dorn an die Stunden, als die „Amis“ kamen, an die „beklemmende Stimmung“ und die Furcht, dass Lorsch vielleicht doch noch verteidigt werden sollte.
Auch Katharina Witzenbacher berichtet von Truppen und Panzern überall am 25. März und einem von Soldaten besetzten Rathaus. Dr. Hans Brunnengräber schreibt von einer Granate, die in der Nibelungenstraße explodierte, der Besetzung der Schreinerei seiner Familie – und auch er weiß von der Panzersperre, die von Lorscherinnen beseitigt wurde. An den Fahrzeugtross der Amerikaner mit Panzern und Jeeps in der Nibelungenstraße erinnert Amalie Grün. Fotoapparate hätten die Besiegten abgeben müssen. Auch Peter Dorn schreibt von „nicht enden wollenden Kolonnen“ von Panzern, die durch Lorsch rollten.
„Gott sei Dank“ aber enden mit der Ankunft der US-Soldaten Zerstörungen und Bedrohungen. Es gab die ersten Kaugummis und Schokolade von den Soldaten, kann man im Beitrag von Hermann Heckmann lesen. Sehr begehrt waren auch die Reste von Büchsenfleisch und der Kaffeesatz. Kinder sammelten diesen ein, für einen zweiten Aufguss daheim, so Walter Schumacher. In der Jahnstraße lag das „Offizierskasino“.
Der Kampf ums tägliche Brot bestimmt den Alltag auch nach Kriegsende. 1947 und 1948 waren die Höhepunkte der Hungerszeit. Im lesenswerten Heimatkundebuch kann man zudem einiges über die Neugründung der Parteien, die Situation der Heimkehrer und die Kultur des Erinners erfahren.
200 Seiten über schwere Zeiten
Der verstorbene Lorscher Hermann Heckmann hatte die Idee für das Buch „Zwischen den Zeiten“. Der Heimat- und Kulturverein kümmerte sich gemeinsam mit Zeitzeugen und Autoren um die Realisierung. Das Buch erschien 2009 und beschreibt auf über 200 Seiten die Jahre 1945 bis 1949 in Lorsch. Erhältlich ist es beim Verlag Laurissa Lorsch, zu bestellen über 06251/5506556.
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