Zwingenberg. Seit vielen Jahrzehnten widmet sich Fritz Kilthau mit großem persönlichem Engagement der Erinnerungskultur. Mit zahlreichen Veröffentlichungen, in Vorträgen, öffentlichen Veranstaltungen, bei Führungen zu lokalen Orten jüdischer Geschichte (Beispiel: Jüdischer Friedhof in Alsbach) und mit weiteren Projekten sorgt er dafür, dass die Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes in Zwingenberg und der Region nicht vergessen werden und das jüdische Leben während des Nationalsozialismus wach gehalten wird. „Er wolle den Menschen wieder ein Gesicht geben“, hat er einmal gesagt.
Jetzt hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den unermüdlichen Mahner und beispielhaften Versöhner für dessen besondere Verdienste an Volk und Staat die einzige und höchste Ehrung der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Landrat Christian Engelhardt überreichte Fritz Kilthau während eines Festaktes im Diefenbachsaal im „Bunten Löwen“ das Bundesverdienstkreuz. Initiiert und angestoßen hatten die Auszeichnung die frühere Vorsitzende des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge, Claudia Becker, Ehrenbürgermeister und AK-Mitglied Kurt Knapp sowie Bürgermeister Holger Habich, der von einem „besonderen Ereignis“ sprach. „Es hat sich sehr gut angefühlt, als die positive Nachricht von der Hessischen Staatskanzlei uns erreicht hat.“
Bei der Begrüßung der Ehrengäste, darunter CDU-Landtagsabgeordnete Birgit Heitland, Mitglieder des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung sowie der Vorstand des AK Zwingenberger Synagoge, würdigte Habich die „große Leistung für das Gemeinwesen“ von Kilthau.
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Auf uneigennützige und vielfältige Weise habe dieser viele Spuren hinterlassen und gleichzeitig durch Publikationen sichtbar gemacht sowie Geschichte hautnah vermittelt. Die Verlegung von Stolpersteinen und der Stolperschwelle an der ehemaligen Zwingenberger Synagoge nannte Habich „Herzensprojekte“ von Fritz Kilthau, dessen Ziel unter anderem die Nutzung der ehemaligen Synagoge sei.
Ehe Landrat Engelhardt dem Hochgelobten das Bundesverdienstkreuz ans Revers heftete („eine herausragende Ehrung“) und die dazu gehörige Urkunde überreichte, fand er ebenfalls Worte der Anerkennung und des Respekts. Fritz Kilthau habe sich wie kaum ein anderer dafür eingesetzt, dass die Opfer des Faschismus in der Region nach Kriegsende nicht „automatisch aus unseren Köpfen verschwinden“. Er habe die Erinnerung an das dunkelste Kapitel unsere Geschichte in 16 Veröffentlichungen – unter anderem über die Kirchbergmorde in Bensheim – wach gehalten, die Lokalgeschichte zwischen 1933 und 1947 erforscht und die Aufarbeitung des Holocaust vorangetrieben.
Kilthau habe die Biografien zahlreicher jüdischen Mitbürgerinnen und -bürger in Zwingenberg bis zu deren Vertreibung recherchiert und aufgearbeitet, Kontakte zu deren Nachfahren geknüpft und der jüngeren Generationen als Ansprechpartner „entscheidende Impulse“ gegeben. Seine ehrenamtliche Arbeit, seine Schriften seien umso wichtiger, da es immer weniger Zeitzeugen gebe, fuhr Engelhardt fort, der von „Geschichten über Geschichte, die emotionale berühren“ sprach. Kilthau bezeichnete er als „Vorbild für das Ehrenamt“ und dankte Ehefrau Gabriele und Sohn Matthias für deren Unterstützung des Ehemanns und Vaters.
Einen Verein mitbegründet und ein Buch geschrieben
Begonnen hat Fritz Kilthau seine Recherchen über die jüdischen Opfer während der NS-Zeit im Jahr 1977 in Archiven von Bensheim und Darmstadt. 1997 wurde er vom Zwingenberger Magistrat mit der Aufarbeitung der Lebensgeschichte ehemaliger jüdischen Bürger in Zwingenberg beauftragt. Er ist Mitbegründer des Vereins Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger und hat nach der Veröffentlichung seines Buchs „Mitten unter uns“ an der Entstehung des gleichnamigen Theaterstücks mitgewirkt.
Im Jahr 2013 wurde der Lokalhistoriker und Spurensucher mit der Goldenen Ehrennadel des Kreises Bergstraße ausgezeichnet. Außerdem erhielt er in Anerkennung für sein Wirken für dass deutsch-jüdische Zusammenleben in der Vergangenheit den seltenen Obermayer German Jewish History Award.
Stadtverordnetenvorsteher Andreas Kovar (CDU) gratulierte in einem Grußwort Fritz Kilthau zu der hohen Ehrung und richtete mahnende Worte an die Allgemeinheit, eine gelebte Erinnerungskultur nicht Einzelnen zu überlassen. Claudia Becker, Gründungsmitglied des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge, erinnerte an die Anfänge der Initiative in den neunziger Jahren mit dem verstorbenen Architekten Heinz Frassine, Hanns Werner, Kurt Knapp und Fritz Kilthau.
„Kilthau ist ein Mann der ersten Stunde in unserem Verein. Er ist Vorsitzender und Motor“, so Ulrike Jaspers, Stellvertretende AK-Vorsitzende: „Er ist der Arbeitskreis und wir unterstützen ihn im Team.“ Daniel Unrath, stellvertretender SPD-Vorsitzender, dankte dem Zwingenberger Bürger und Träger des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für seine nicht nachlassende selbstlose Hingabe wider das Vergessen.
Er sei „ein bisschen verlegen“ so viel Lob auf einmal zu hören, bekannte Kilthau und richtete Dankesworte an seine Wegbegleiter und Gründungsmitglieder des AK Zwingenberger Synagoge. So habe sich beispielsweise Ehrenmitglied und Ehrenbürgermeister Kurt Knapp früh dafür eingesetzt, dass die Stadt Mitglied im Verein werde. Auch in Zukunft gelte es, Aufklärungsarbeit zu leisten, so Kilthau, der um neue Mitglieder im Arbeitskreis warb.
Musikalisch begleitete die charismatische Musikerin und Königin des Klezmer, Irith Gabriely, die Festveranstaltung zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande an Fritz Kilthau mit ihrem unverwechselbaren, beschwingten Klarinettenspiel. Ihrem Freund Fritz widmete sie den Klassiker „Bei mir bistu shein.“
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