Zwingenberg. Hört sich nach einer leichteren Übung an: Grenzgang rund um die Kernstadt. Zwingenberg ist bekanntlich nicht nur das älteste Städtchen der hessischen Bergstraße, sondern zugleich die kleinste Gemarkung im Kreis – also dürften die Demarkationslinien der Kommune schnell abgelaufen sein. Dass in der Einladung aus dem Rathaus die Laufzeit mit „circa drei Stunden“ angegeben wird, überrascht allerdings ein wenig. Wahrscheinlich sind im Zeitplan mehrere Pausen jeweils mit Einkehr inklusive Auffüllen des Kohlehydratspeichers eingerechnet. Rast- und Einkehrmöglichkeiten sind in der Kernstadt schließlich reichlich vorhanden.
Neuland für Holger Habich
23 Grenzgänger versammeln sich an einem frühlingshaft-sonnigen Samstagmorgen im Rathaushof. Bürgermeister Holger Habich begrüßt die Wanderer. Die Idee zur kompletten Umrundung der Kernstadt stammt von Stadträtin Ingrid Germann – und könnte eine Premiere sein. Die letzten 20 Jahre hat ein Grenzgang in dieser Form nicht stattgefunden, sagt Germann. Für Habich, seit 2007 auf dem Chefsessel im Rathaus, ist die Unternehmung ebenfalls Neuland. „In meiner Amtszeit gab’s das noch nicht.“ Der Bürgermeister ist die Strecke zuvor Probe gelaufen. Dabei war er mit einem seiner Mitarbeiter länger unterwegs als vermutet. Aus den veranschlagten eineinhalb wurden für das Duo zweieinhalb Stunden. „Mit einer größeren Gruppe dürfte es noch etwas länger dauern“, vermutet Habich. Logisch. Es zieht sich schließlich, bis alle 23 „aufgetankt“ haben an den Versorgungsstationen.
Heute kein Mittagstisch
Vom Rathaushof geht es durch die Scheuergasse Richtung Melibokushalle zum ersten Stopp. Ein bisschen früh für eine Rast, aber wenn die Crew vom Verein Zwingenberger Mittagstisch, der seine Mahlzeiten im Foyer der Melibokushalle kredenzt, einen Snack vorbereitet haben sollte, wäre das in Ordnung. Statt eines ersten Energieschubs erläutert Holger Habich die neue Situation ab Sommer auf dem Parkplatz der Halle.
Der geplante Schulhausneubau zur Erweiterung der Melibokusschule wird voraussichtlich Mitte des Jahres 2027 fertiggestellt. Den räumlichen Engpass der Grundschule will der Landkreis Bergstraße als Schulträger bis dahin durch weitere Modulbauten auffangen. Die Container sollen auf dem mittleren Abschnitt des Melibokusparkplatzes errichtet werden. Dadurch fallen während der Bauphase 24 Parkplätze weg, erklärt Habich.
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Kaum hat die Gruppe wieder Schritttempo aufgenommen, ertönt parallel zur Bahnstrecke auf dem Gelände des ehemaligen Bau- und heutigen Wertstoffhofes das nächste Haltesignal. Auch auf diesem Areal wird sich einiges verändern. Hier soll Wohnbebauung – etwa Reihenhäuser im unteren sowie ein größerer Wohnkomplex im oberen Bereich – entstehen.
Der nächste Infopunkt liegt nur einige Meter weiter nördlich. Der 100 Meter tiefe Brunnen 1 in unmittelbarer Nähe zur Eisenbahnbrücke liefert rund 50 Prozent der Trinkwasserversorgung der Kernstadt. Wegen des erhöhten Eisen- und Mangangehalts im Wasser muss der Brunnen mit einer Aufbereitungsanlage ausgestattet werden. Die Kosten für diese Maßnahme belaufen sich auf rund 300 000 Euro. Auf dem Feldweg wird der Weg nach Süden fortgesetzt. Angesichts der hohen Stop-and-go-Frequenz scheinen drei Stunden für die Tour ein ambitioniertes Ziel zu sein. In Höhe einer Auto-Werkstatt am südlichen Ortsausgang wird die Route gen Osten eingeschlagen und anschließend die B 3 überquert.
Umweg über Auerbach
Bevor der steile Aufstieg in die (Wein-)Berge beginnt, ruft Holger Habich die Truppe zusammen. Offenbar, um die Sinne zu schärfen. „Wir verlassen jetzt zeitweise die Zwingenberger Gemarkung.“
Hört sich fast wie eine Warnung an. Es passiert: nichts. Die Zwingenberger durchstreifen unbehelligt Auerbacher Gebiet. Dass nahezu die gesamten 190 Höhenmeter der Wanderung in einem Aufstieg bewältigt werden, ist eine schöne Grenzerfahrung. Eigentlich mal wieder Zeit für eine kleine Pause. Weiter oben steigt der Aufregungspegel, als die Rede auf einen verschwundenen Zwingenberger Grenzstein kommt. Im Rathaus ist die Abgängigkeit der amtlichen Markierung bekannt.
Nach der glücklichen Rückkehr auf Zwingenberger Heimatboden bieten sich zwischen der Weinlage „Alte Burg“ und der Luciberghütte herrliche Aussichten in die Rheinebene, auf den Pfälzer Wald oder den Donnersberg. „1,7 Millionen Euro“, sagt Holger Habich und holt die Wanderer zurück in die Realität. Diese Summe kostet die Flurbereinigung in den örtlichen Weinbergen, die vor allem mit Fördergeldern aus Brüssel finanziert wird. Ein bislang gelungenes Projekt findet der Bürgermeister. „Darauf können die Zwingenberger stolz sein.“
Kulturlandschaft erhalten
Die Terrassierung der Weinberge sorgt im Zusammenspiel mit der digital gesteuerten Wasserversorgung für ein effektives Wassermanagement in diesem Gebiet. „Das dient dem Erhalt der Kulturlandschaft“, hebt Ingrid Germann einen weiteren Effekt der Flurbereinigung hervor. Die Maßnahme ist noch nicht abgeschlossen. Unter anderem steht etwa die Anlage und Sanierung der Trockenmauern entlang der Wege aus.
Oberhalb der Luciberghütte ist die Beton-Bodenplatte für eine Wingerthütte fertiggestellt. Das Gebäude wird in Holzständerbauweise „in Bälde“ (Habich) errichtet und circa 20 Personen Platz bieten. Genutzt werden soll die Hütte von der Stadt und den Winzern für Weinproben und kleinere Events. Eine kommerzielle Vermietung wird es laut Habich nicht geben. Auf dem angrenzenden Hang soll eine Streuobstwiese entstehen. Im Herbst sollen die ersten Bäume gepflanzt werden.
Parallel zu den Weinbergen führt die Route weiter und eröffnet einen Blick auf die ehemalige Jugendherberge, die die Stadt nach dem jüngsten Beschluss der Stadtverordnetenversammlung kaufen will. Vorbei am weitgehend brachliegenden Gröbenberg, der mit Zustimmung der Eigentümer durchaus noch in das offene Verfahren der Flurbereinigung einbezogen werden könnte, wird der Steinbruch passiert. Am Orbisteich erklärt Stephan Rützert die Fortschritte bei der Renaturierung des Gewässers, die von einer Gruppe Zwingenberger Bürger initiiert wurde und – mit Unterstützung der Stadt und des Bauhofes – tatkräftig umgesetzt wird. Die Zuwegung zum Teich wird demnächst fertiggestellt. Im Amphibienteich haben sich unter anderem Feuersalamander und Erdkröten angesiedelt.
Das Haus Orbishöhe ist die letzte Bergstation vor dem Abstieg ins Tal. Die Nieder-Ramstädter Diakonie, Eigentümerin des Metzendorf-Hauses und der weiteren Gebäudeteile, will die Immobilie in bester Lage verkaufen. Die Stadt hat das Objekt auf dem Radar. Über den Bebauungsplan hat die Kommune die Möglichkeit, bei der weiteren Entwicklung steuernd einzugreifen, erläutert Habich.
Grenzweg und Bahnunterführung sind die nächsten markanten Punkte des Trips. Am Horizont taucht der Obst- und Spargelhof Wendel auf, dort soll ein Imbiss serviert werden. Als die Vorhut links abbiegend Kurs auf den Wendel-Hof nehmen will, schreitet der Bürgermeister energisch ein. Wo Grenzgang draufsteht, ist auch Grenzgang drin. Die Trennlinie zu Alsbach-Hähnlein(-Sandwiese) muss zumindest annähernd tangiert werden. Also weiter geradeaus in den Norden der Gemarkung. Das Gelände des Vereins der Hundefreunde Zwingenberg liegt auf dem Alsbach-Hähnleiner Reutershügel, die Anlage selbst ist aber Zwingenberg, berichtet Habich, während die Exkursion zeitgleich das nahe Zwingenberger Pappelwäldchen bestaunt.
Zum Abschluss ein Snack
Beim Hof angekommen, gibt Sigrid Wendel einen kurzen Überblick über den Betrieb. Anfang April ist in der Region mit dem ersten Spargel zu rechnen, sagt die Gastgeberin. Der Kilo-Preis? „Wir versuchen, die Preise des Vorjahres annähernd zu halten.“ Dazu beitragen sollen die Reduzierung der Anbaufläche sowie Straffungen im Ablauf. Nach über drei Stunden Laufzeit wartet schließlich eine von der Stadt gesponserte Vesper auf die Grenzgänger, ehe es zurück in den Rathaushof geht. Dort endet der XXL-Grenzgang nach 12,2 Kilometern.
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