Lorsch. Heutzutage fällt es leicht, das Lorscher Klostergelände mit der schmucken Königshalle zu bewundern. Die Relikte aus dem frühen Mittelalter präsentieren sich gepflegt und einladend – und die Stadt und ihre Bürger sind stolz auf ihr Kulturerbe. Lange Zeit wirkte die berühmte Welterbestätte allerdings keineswegs wie ein Juwel – und nach Meinung nicht weniger Lorscher sollte das alte Gemäuer am besten abgerissen werden. Dass sich die kleine Torhalle über die Zeit von bereits mehr als 1250 Jahren behaupten, alle Stürme überstehen und schließlich mit dem überaus begehrten Unesco-Titel geadelt werden konnte, gleicht einem kleinen Wunder. Maßgeblich mitgewirkt hat daran Paul Schnitzer.
Welchen Schatz sie mitten in ihrer Stadt beherbergen, das haben auch im vorigen Jahrhundert nur wenige Lorscher so klar erkannt wie Paul Schnitzer. Der Oberstudienrat war historisch gebildet, er hatte neben katholischer Religion unter anderem Geschichte studiert und unterrichtete am AKG in Bensheim. Er beließ es aber nicht beim fachlichen Wissen und der Theorie. Mit einigen Mitstreitern gründete Schnitzer vielmehr die Initiative „Rettet die Königshalle“.
Risse in der Torhalle
Die Aktion hatte gegen allerlei Widerstände Erfolg – und dieser war auch dringend erforderlich. Denn an der Königshalle zeigten sich in den 1960er Jahren bereits deutliche Risse. Es bestand die Gefahr, dass sie baufällig wurde.
Na und – was soll´s, das ist der Lauf der Zeit, ließ sich damals argumentieren. Für die Klosteranlage, die mit ihrer vorzüglich bestückten Bibliothek im frühen Mittelalter zu einem der bedeutendsten Wissenszentren in Europa gehörte, hat sich in späteren Jahrhunderten, als das Kloster zerstört und verlassen war, schließlich lange kaum jemand mehr ernsthaft interessiert. Die Anlage, zur Zeit Karls des Großen ein reiches und machtvolles Königskloster, wurde jahrzehntelang nur noch als Steinbruch genutzt. Hätte es der Architekt Georg Moller im frühen 19. Jahrhundert nicht geschafft, den Großherzog von Hessen Darmstadt zu einer ersten Denkmalschutzordnung zu bewegen, vom Lorscher Kloster wäre wahrscheinlich schon damals nichts mehr übrig geblieben.
Das Welterbe-Areal, das heute – im Herzen der Stadt – als großzügiges Gelände mit der Königshalle und dem mächtigen Kirchenrest alle Blicke auf sich zieht, lockte noch vor wenigen Jahrzehnten nur bei Kennern Begeisterung hervor. Die wussten um die Bedeutung von Lorsch und kannten auch den kunsthistorischen Wert der Torhalle.
Noch vor 50 Jahren aber war es alles andere als selbstverständlich, in dem Bauwerk „ein einzigartiges Monument“ zu entdecken, das „für alle Zeiten für die Menschheit zu bewahren“ ist, wie es Aufgabe einer Welterbestätte ist. Die Königshalle war damals zum Beispiel noch nicht restauriert.
„Sie war in einem schlechten Zustand“, erinnert Reinhard Diehl, Vorsitzender des Heimat- und Kulturvereins. „Sehr, sehr bescheiden“ habe das Bauwerk gewirkt, in dessen rechtem Turm zeitweilig ein kleiner Verkaufsstand eingerichtet war. „Sie sah ein bisschen erbärmlich aus“, fügt der Lorscher auf Nachfrage zur Königshalle an.
Das leicht verwilderte Gelände der ehemaligen Benediktinerabtei war bei Kindern beliebt, Autofahrer aber brausten direkt an der ungeschützten Königshalle vorbei – und auch der Schwerlastverkehr donnerte lange in unmittelbarer Nähe der heutigen Welterbestätte aus der Karolingerzeit vorüber. Die vielen Fahrzeuge auf den damals an der Königshalle vorbeilaufenden Bundesstraßen 460 und 47 verursachten schließlich die Risse im Mauerwerk.
Wohnungen im Klosterareal
„Reißt doch das alte Ding ab – was wollt ihr denn damit?“, so hatten sich zahlreiche Lorscher angesichts des traurigen Anblicks der Torhalle geäußert. Tatsächlich, so weiß Reinhard Diehl, habe es sogar die Überlegung gegeben, das historisch bedeutende Grundstück mitten im Ort freizumachen und dort ein Wohnquartier mit dem Bau attraktiver neuer Bungalows einzurichten.
Paul Schnitzer aber war sich der großen Bedeutung des Klosters Lorsch stets bewusst. Wie „ein Rufer in der Wüste“ habe dieser in den Anfangsjahren seines Engagements gewirkt, formulierte der frühere Stadtverordnetenvorsteher Harald Horlebein in seiner Laudatio für Paul Schnitzer vor 20 Jahren.
Es habe sich der Vergleich mit dem Propheten aufgedrängt, der im eigenen Land bekanntlich am wenigsten gilt. Selbst in der eigenen Fraktion zeigte sich mancher Christdemokrat jedenfalls genervt vom Einsatz des Parteifreundes Schnitzer für die Historie seiner Heimatstadt. „Der Paul mit seinem Kapellchen“, lauteten entsprechende Kommentare, berichtet der Christdemokrat Horlebein.
Die Gruppe um Paul Schnitzer, zu der auch der Vater von Reinhard Diehl zählte, sei als Gruppe von „Exoten“ betrachtet worden.
Paul Schnitzer jedoch ließ sich weder beirren noch entmutigen und warf auch sein kommunalpolitisches Gewicht in die Waagschale. Mehr als 20 Jahre gehörte er dem Magistrat an, einige Jahre als Erster Stadtrat, auch als Stadtverordneter engagierte er sich für die Lorscher Kultur. Seine Initiative „Rettet die Königshalle“ war letztlich erfolgreich.
Paul Schnitzer dürfe man deshalb selbstverständlich als „Retter der Königshalle“ bezeichnen, meint Reinhard Diehl. Denn die spätere Umgehungsstraße im Norden von Lorsch trug wesentlich dazu bei, das Bauwerk vor weiteren Schäden zu schützen.
Vorrang für Fußgänger
Die Verkehrsberuhigung im Zentrum ermöglichte es im Anschluss, den gesamten Bereich neu zu gestalten und den heutigen Charakter des Benediktinerplatzes vor der Torhalle zu entwickeln, in dem Fußgänger Vorrang haben.
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