Deutschland singt

Lorsch zum ersten Mal bei Aktion "Deutschland singt" dabei

Es war ein Konzert vor der Königshalle, für das es keine Probe gab. Rund 100 Aktive – Sänger und Ungeübte – machten mit.

Von 
Nina Schmelzing
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Auf den Stufen der Königshalle postierten sich geübte Chorsänger, auf den Bänken und Stehplätzen rundum versammelten sich Besucher, die einstimmten. © Neu

Lorsch. „Die Gedanken sind frei“, tönte es am Dienstagabend über den Benediktinerplatz. Das bekannte Volkslied, das auch während der friedlichen Revolution 1989 auf den Straßen der damaligen DDR gesungen wurde, bildete den Auftakt einer besonderen Singstunde. Erstmals beteiligte sich Lorsch an der bundesweiten Aktion „Deutschland singt“. Diese wurde 2020 zum Tag der Deutschen Einheit vom Bundesmusikverband der Chöre initiiert und fordert seitdem jedes Jahr am 3. Oktober zum Mitmachen auf. Der Liederkranz unter Vorsitz von Marion Roth-Hinz ergriff für Lorsch jetzt die Initiative – und die Premiere kam gut an.

Knapp 60 erfahrene Sänger und Sängerinnen versammelten sich auf den Stufen der Königshalle, Kerzen wurden entzündet, Dirigent Andreas Beraldo setzte sich ans Piano – und jeder Passant war eingeladen, einfach miteinzustimmen. Es war nicht erforderlich, Texte auswendig zu können: Liedblätter wurden verteilt.

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Zwölf Stücke unterschiedlichsten Stils – vom Gospel bis zu Marius Müller-Westernhagen – sangen die Chormitglieder von Liederkranz, Germania und den evangelischen Kirchenchören gemeinsam mit allen Besuchern, die die Aktion ins Stadtzentrum gezogen hatte.

Von den Bänken vor dem Museumszentrum aus wurde mitgesungen, auf den Stehplätzen vor der Torhalle sowieso. Manche Passanten mit Eis in der Hand zückten ihre Smartphones. Sogar aus dem gerade Kerb feiernden Einhausen hatte sich eine Frau auf den Weg nach Lorsch gemacht – eigens aus Interesse an dieser besonderen Aktion. Lediglich einige Jugendliche, die aus dem Klostergelände kamen, zeigten sich nicht sehr angetan.

Wir-Gefühl statt Wertungsnoten

Dass diese große Singgemeinschaft aus insgesamt gut 100 Beteiligten, die sich spontan zusammengefunden hatte, vorher noch nie gemeinsam geprobt hat, konnte man natürlich nicht überhören. Mancher Ungeübte brummte, mancher krächzte ein wenig, nicht immer legten alle gemeinsam los – und einen Song von Herbert Grönemeyer kann sowieso niemand anderes so rau und mitreißend von sich geben wie der in Bochum aufgewachsene Popstar selbst. Aber um ein Wertungssingen ging es in diesem Fall schließlich nicht.

Die Aktion, bei der zeitgleich an zahlreichen Orten in ganz Deutschland dasselbe Repertoire erklingt, soll vielmehr zu einem „Wir-Gefühl“ beitragen. Gerne habe man auch in Lorsch eine Bühne bereiten wollen, um daran zu erinnern, was für eine Errungenschaft die Wiedervereinigung war – und dass auch Lieder auf dem Weg dahin eine Rolle spielten, erläuterte Marion Roth-Hintz. Die Liederkranz-Chefin moderierte das offene Singen unter freiem Himmel, zu dem wohl noch deutlich mehr Menschen gekommen wären, wenn es nicht kurz zuvor heftig geregnet hätte.

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Viel Lob für die „tolle Veranstaltungspremiere“ kam von Alexander Löffelholz. Der Erste Stadtrat überbrachte Grüße des Magistrats und erklärte, dass die Aktion gerade in der derzeitigen Lage zu begrüßen sei, in der sich nicht wenige Sorgen machten wegen Uneinigkeiten im Land und einem gesellschaftlichen Grundkonsens, der in Schieflage geraten könne. Als ein „starkes“ und „bewegendes Zeichen“ beurteilte auch Renatus Keller die Zusammenkunft an der Torhalle.

Sich für Einheit einzusetzen, sei nicht gleichbedeutend mit Gleichmacherei, unterstrich der Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Lorsch in seiner Rede. Musik verbinde, jede Stimme zähle, es gehe um Einheit in Vielfalt. Keller zitierte zudem Verse des Liedermachers Manfred Siebald mit dem Titel „Die Hoffnung lebt zuerst“.

Von Gospels bis Grönemeyer

„Tage wie diese“ von den „Toten Hosen“ und seit Jahrhunderten gesungene Lieder wie „Großer Gott, wir loben dich“ sowie der schwungvolle Gospel „Oh Happy Day“ kamen zu Gehör. Viele im Publikum bewegten sich im Takt mit und nach jedem Titel wurde applaudiert.

Mehrere Friedens- und Freiheitslieder, die jeder kennt, wurden im Laufe des Abends angestimmt, zum Teil auch in verschiedenen Sprachen: „Hevenu shalom alechem“ etwa sogar in Ukrainisch. Auch die ungemein berührenden Zeilen, die Dietrich Bonhoeffer kurz vor seiner Hinrichtung durch die Nazis aus seiner Zelle schrieb, gehörten zum Repertoire: „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Für „We shall overcome“ mit der Botschaft, dass die Welt – eines Tages – in Frieden leben werde, brauchte kaum jemand ein Textbuch. Für „Der Mond ist aufgegangen“, einen der größten Hits aller Zeiten, wie Roth-Hintz erinnerte, galt das ebenso.

Neuauflage erwünscht

In die Nacht hinein wurde zum Abschluss die Nationalhymne gesungen, es folgte die Europahymne. Oft werde diese bewusst nur instrumental gespielt, um keine Sprache zu bevorzugen, so die Liederkranz-Vorsitzende. Auf dem Benediktinerplatz aber durfte zu Beethovens Musik Schillers Text erklingen. „Freude schöner Götterfunken“ wurde zu einem imposanten Finale. Mehrere Besucher äußerten den Wunsch, dass es 2024 eine Neuauflage dieser Singstunde geben möge.

Redaktion

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